Weinheim, 19. November 2015. (red/ms) Aktualisiert. Die mediale Aufmerksamkeit ist Weinheim gewiss: Am kommenden Wochenende wird die Stadt wieder bundesweit Schlagzeilen machen. Dabei will Weinheim sich als „bunt, tolerant und weltoffen“ präsentieren – doch womöglich wird friedlicher Protest durch gewalttätige Ausschreitungen überschattet. In einer Erklärung distanziert sich die Mehrheit des Gemeinderats schon vorab von Gewalt und Extremismus jeglicher Art und bedankt sich bei der Polizei für ihren bevorstehenden Einsatz.
Von Minh Schredle
Die Polizei bereitet sich auf einen Großeinsatz vor. Die Straßen um die Stadthalle werden weitläufig abgesperrt. Die Situation ist auch für die Einsatzkräfte angespannt: Parteien sind gesetzlich dazu verpflichtet, einmal im Jahr einen Bundesparteitag abzuhalten – das gilt auch für die NPD. Der Staat muss demnach ihre Parteitage ermöglichen und für einen störungsfreien Ablauf sorgen.
Seit Wochen und Monaten mobilisieren antifaschistische Organisationen den Widerstand. Das erklärte Ziel: Den NPD-Bundesparteitag verhindern. Wie weit die Aktivisten dafür gehen werden, ist unklar – sicher scheint dagegen, dass es zu Auseinandersetzungen mit Polizeibeamten kommen wird. Diese müssen laut Gesetz den NPD-Delegierten den Zugang zur Stadthalle ermöglichen. Wenn sie das nicht schaffen, begeht die Polizei einen Rechtsbruch und riskiert eine Klage gegen das Land Baden-Württemberg, mit der sich die NPD brüsten kann.
Somit können schon Sitzblockaden für Konflikte sorgen. Die Polizei muss einen einen störungsfreien Ablauf garantieren. Nicht um „Nazis zu schützen“, sondern weil der Rechtsstaat für alle gilt. So lange die NPD nicht verboten ist, hat die Polizei gar keine andere Wahl – weil genau das ihre Pflicht, Aufgabe und Funktion ist: Als exekutive Gewalt die Gesetzgebung umzusetzen. Egal, wie gut oder schlecht das welchen Gruppen auch immer gefällt.
Wer anders denkt, ist Feind
Die Polizei deswegen als „rechten Schutzwall für Faschisten“ darzustellen, ist demnach entweder blanke Unkenntnis unseres Rechtssystems oder bewusst undemokratisch. Eben das tun aber linksextremistische Organisationen, die offen dazu aufrufen, den NPD-Parteitag zu „stören, blockieren und zu verhindern“. Unverholen wird in einschlägigen Internetportalen zur Selbstjustiz aufgerufen. Etwa auf Indymedia:
Der NPD Bundesparteitag darf nicht stattfinden!!! Nazis bekämpfen mit allen Mitteln und auf allen Ebenen!!! Aber auch, keine Anbiederung an die bürgerlichen Kräfte, sich auf die eigenen Kraft stützen!!! (sic)
Da sich das Bündnis „Weinheim bleibt bunt“ im Vorfeld ausdrücklich von Gewalt und rechtswidrigen Protesten distanziert hat, wird ihm seitens Indymedia vorgeworfen, den Widerstand gegen die NPD zu spalten. Zu besagter Erklärung heißt es:
Mit Ihrem Skandalartikel distanziert sich „Weinheim bleibt bunt“ von allen denen, die mehr Anstand zeigen, wie dieser erbärmliche Haufen, gescheiterter Provinzpolitiker und Kirchenfuzzis. (sic)
Angeblich seien Sorgen über Ausschreitungen ungerechtfertigt: „Blockaden sind keine Gewalt und der Konsenz unter den Blockierern ist friedlich zu blockieren“ (sic), heißt es. An anderer Stelle wird wiederum aufgerufen, zu „allen Mitteln auf allen Ebenen“ zu greifen, um den Parteitag zu verhindern. Sei es „durch Blockaden, Demonstrationen, Kundgebungen oder direkte Aktionen“. Was genau unter „direkte Aktionen“ verstanden wird, wird offen gelassen. „Mit allen Mitteln und auf allen Ebenen“ klingt aber stark danach, als sei die Antifa im Zweifelsfall bereit, ihrem Widerstand durch noch mehr als Sitzblockaden Ausdruck zu verleihen. Vielleicht helfen ja Bengalos und Trillerpfeifen, ein paar Hardcore-Nazis zu bekehren?
Werte müssen gewaltfrei vorgelebt werden
Jeder auch nur ansatzweise vernünftig denkende Mensch verurteilt die Diskriminierung anderer aufgrund ihres Aussehens, ihres Geschlechts, ihrer Weltanschaaung, ihrer Religion, Hautfarbe, sexueller Orientierung und ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Wer aber überzeugter Rassist und Fremdenfeind ist, wird nicht von seiner menschenverachtenden Ideologie abweichen, weil ihm jemand einen Stein gegen den Kopf schmeißt.
Von Seiten der Stadtverwaltung und des Gemeinderats wird ganz klar und unmissverständlich aufgerufen, sich der NPD entgegenzustellen und für die Werte einzustehen, die eine moderne Gesellschaft ausmachen: Weltoffenheit, Toleranz und Respekt. Aber jegliche Demonstationen müssen „friedlich und strikt gewaltfrei“ bleiben.
Und durch diesen Aufruf soll der Widerstand gespalten werden? Das macht die Appellierenden zu einem „erbärmlichen Haufen“?
Aus Sicht der Antifa schon. Man will sich davon aber nicht beeindrucken lassen und weiterhin zu allen Mitteln greifen, den Pateitag zu verhindern, „auch und gerade dann, wenn deutlich wird, dass staatliche Stellen und etablierte Politiker*innen alles daran setzen werden, der Nazi-Partei durch Repression, Spaltung und „friedlichen Protest“ einen „ordnungsgemäßen Ablauf“ zu garantieren.“
Steht Weinheim eine Straßenschlacht bevor?
Was wird Weinheim also am kommenden Wochenende erwarten? Und was kann die Stadt im Vorfeld tun, damit es friedlich bleibt? Das bunte Kulturfest rechnet mit bis zu 5.000 Teilnehmern – seitens der Antifa könnten ebenfalls tausende Aktivisten vor Ort sein: Nach unseren Informationen gab es bundesweit Aufrufe und Mobilisierung, unter anderem in Mannheim, Heidelberg, Karlsruhe, Frankfurt, Köln, Berlin und Hamburg. Muss man Zuständen wie zuletzt in Hamburg rechnen oder jährlich zum 1. Mai in Berlin?
Es ist nicht auszuschließen, dass es zu Ausschreitungen und möglicherweise zu einer Eskalation der Gewalt kommt. Die Stimmung unter allen Beteiligten ist nervös, angespannt, teils aufgereizt. Steht Weinheim eine Straßenschlacht bevor?
Das hofft niemand. Einige befürchten es. Viele von ihnen bleiben aus eben dieser Sorge den Gegendemonstrationen fern, sie haben Angst, selbst „etwas abzubekommen“. Sie werden demnach kein deutliches Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit setzen. Aber wessen Schuld ist das?
„Alle friedlichen Demonstranten sind herzlich willkommen“
Oberbürgermeister Heiner Bernhard (SPD) hat am vergangenen Mittwoch eine Erklärung verlesen, die in Abstimmung mit dem Bündnis Weinheim bleibt bunt ausgearbeitet worden ist. Darin heißt es, Weinheim sei „eine Stadt, die keinen Platz für Rechtsextremisten, Linksextremisten und Demagogen, für Hetze und Stimmungsmache bietet“. Weinheim stehe „strikt gewaltfrei für Toleranz und eine weltoffene Stadtgesellschaft“. Alle Gäste, die ihren Protest friedlich zum Ausdruck bringen wollen, sind herzlich willkommen. Wir dokumentieren die Erklärung im Wortlaut:
„Der Gemeinderat der Stadt Weinheim bittet die Bürgerschaft, am Wochenende 21./22. November die Veranstaltungen des Bündnisses „Weinheim bleibt bunt“ anlässlich des NPD-Bundesparteitags, der zum dritten Mal in Folge in unserer Stadt angekündigt ist, zu unterstützen. Die Fraktionen und Gruppen des Gemeinderats sind wie die Stadt selbst Mitglieder in diesem Bündnis.
Bei der Kundgebung des „Bunten Weinheim“ am 21.11. um 10 Uhr an der Weschnitzbrücke ist dies ebenso wichtig, wie beim „Bunten Festival“, das um 11 Uhr im Zelt in der unteren Werderstraße beginnt. Lassen Sie uns an diesem Wochenende gemeinsam deutlich machen, dass Weinheim eine weltoffene und tolerante Stadt ist. Eine Stadt, die keinen Platz für Rechtsextremisten, Linksextremisten und Demagogen, für Hetze und Stimmungsmache bietet. Eine Stimmungsmache, die sich insbesondere gegen Menschen richten soll, die nach Weinheim zugewandert sind oder hier als Flüchtlinge Unterkunft und Schutz gefunden haben.
Zusammen mit dem Bündnis „Weinheim bleibt bunt“ macht der Gemeinderat zugleich unmissverständlich deutlich, dass Weinheim sich friedlich und strikt gewaltfrei für Toleranz und eine weltoffene Stadtgesellschaft einsetzen will und wird. Das muss für alle Veranstaltungen gelten, die am Wochenende 21./22.11. geplant sind. Wir begrüßen alle Gäste, die am 21. und 22. November nach Weinheim kommen und friedlich ihren Protest gegen den NPD-Bundesparteitag zum Ausdruck bringen wollen.
Wir danken vorab der Polizei für ihren Einsatz und hoffen dass es gelingt, in Weinheim unseren Protest friedlich zum Ausdruck zu bringen.“
Weinheimer Liste hat offene Fragen
Aktualisierung, 20. November, 12:12 Uhr: Im Gemeinderat fand in der vergangenen Sitzung keine Aussprache zu der Erklärung statt. Ein entsprechender Antrag der Weinheimer Liste wurde mit großer Mehrheit abgelehnt. Dazu nimmt die Weinheimer Liste wie folgt Stellung:
„Nachdem zu Anfang der vergangenen Gemeinderatssitzung eine Resolution verlesen wurde, sieht sich die Fraktion der Weinheimer Liste in der Pflicht, diese Erklärung zu relativieren und zu berichtigen.
Die Fraktion beantragte eine Aussprache zu dieser Resolution. Diese Aussprache wurde durch die überwältigende Mehrheit des Gemeinderates abgelehnt. So war es uns nicht möglich, auf einige offensichtliche Fehler innerhalb dieser Erklärung hinzuweisen.
Nach der Verlesung konnten wir unsere Bedenken gegen eine solche Resolution nicht einmal durch eine Abstimmung deutlich machen, da der Oberbürgermeister nach dem Verlesen der Resolution zur Tagesordnung überging. Dieses Vorgehen erachten wir als groben Verstoß gegen die Geschäftsordnung des Gemeinderates und wir fühlen uns in unseren demokratischen Rechten verletzt, da uns jegliche Art der Stellungnahme hierzu genommen wurde. Hier soll bewusst eine Geschlossenheit und Legitimation geschaffen werden, die in diesem Umfang nicht besteht.
In der Resolution selbst heißt es:
Alle Fraktionen und Gruppierungen des Gemeinderates sind wie die Stadt selbst Mitglied des Bündnisses.
Das stimmt nicht. Die Fraktion der Weinheimer Liste ist zu keiner Zeit diesem Bündnis durch Beschluss beigetreten. Wir als Fraktion verwahren uns gegen eine Zwangsmitgliedschaft in einem solchen Bündnis.
Ebenso sind wir verwundert, dass die Stadtverwaltung in diesem Bündnis aktiv Mitglied sein kann. Ist dies doch eine unzulässige Verletzung der Neutralitätspflicht der Stadt Weinheim. Es gibt keinen Beschluss des Gemeinderates explizit diesem Bündnis beizutreten. Wieso tritt man dann nicht auch dem Bündnis „Weinheim gegen rechts“ bei?
Der Aufruf zur Gewaltfreiheit ist sicherlich gut gemeint, wir erachten dies jedoch nur als Ausdruck der Angst vor den Geistern, die man mit der intensiven „Bewerbung“ der Veranstaltung rief und der linke Block und die Antifa nunmehr im gesamten Bundesgebiet und den angrenzenden Staaten dazu aufruft, den Parteitag der NPD zu stören und das mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln.
Wir von der Weinheimer Liste sind auch gegen braunes Gedankengut, müssen uns aber nicht vor einen „Karren“ spannen lassen um das zum Ausdruck zu bringen. Im Gegenteil haben wir nachfolgende klare Meinung zu diesem Sachverhalt und würden uns wünschen diese auch zu vertreten zu dürfen:
(1) Die Weinheimer Liste ist eine Wählervereinigung, die auf kommunaler Ebene für Demokratie und Rechtsstaat eintritt. Wir verurteilen alle Handlungen, die den rechtsstaatlichen Grundsätzen unseres demokratischen Staates nicht entsprechen. Wahrhaftes und transparentes Tun ist uns wichtig. Missachtung unserer freiheitlichen Grundordnung, wie Angriffe gegen unseren Rechtsstaat verurteilen wir gleichermaßen, egal aus welcher Ecke und Richtung auch kommend.
(2) Die Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit sind Stützpfeiler unserer Demokratie mit Grundrechtsrang. Solange eine Partei nicht gesetzlich verboten ist, stehen diese Rechte auch Splitterparteien, wie z.B. der NPD zu.
(3) Die Weinheimer Liste möchte durch eigenes Auftreten – der NPD in Weinheim, die nur bloße Splittergruppe mit wenigen Personen ist – keine zusätzliche Aufmerksamkeit geben. Erst die Proteste gegen Versammlungen und Treffen der NPD in Weinheim haben der NPD hier ein Podium und Gelegenheit beschafft, das jetzt Weinheim in der bundesweiten Wahrnehmung zu einer „NPD-Bundesparteitagsstadt“ macht.
(4) Wir sind überzeugt, dass ein Ignorieren der NPD dieser jede Lust auf weitere Aktionen genommen hätte. Eine Haltung etwa wie „Die NPD ist in der Stadt, niemand beachtet sie und niemand geht hin“ hätten wir für angemessener und strategisch besser gehalten.
(5) Wir befürchten, dass durch die bundesweite Mobilisierung und die erst dadurch bedingte Verschaffung von Bedeutung des NPD Bundesparteitages, Weinheim als NPD-Hochburg angesehen wird. Gleichzeitig befürchten wie aber auch, dass dieser Anlass als Kampffeld von vielen, die am Rande oder sogar außerhalb unseres Rechtsstaates stehen, zu Ausschreitungen missbraucht wird. Großpolizeieinsätze und möglicherweise sogar Straßenschlachten sind das Letzte, was sich Weinheim und die Weinheimer wünschen können.
(6) Die Weinheimer Liste stellt es in ihrem demokratischen Selbstverständnis ihren Mitgliedern selbstverständlich frei, an Aktionen gegen die NPD teilzunehmen. Aus den oben genannten Gründen wollen wir aber nicht als Organisatoren eines Gegenprotestes auftreten.
(7) Der Ablauf des Bundesparteitages wird aufzeigen, was Weinheim bezogen auf die NPD zukünftig erwartet. Gelassenheit und Glaubwürdigkeit in der eigenen politischen und demokratischen Überzeugung sind geeignete Mittel zum Schutz unseres Rechtsstaates.“