Rhein-Neckar/Berlin, 19. Januar 2018. (red/pro/grev) Die Medien braucht es nicht für den Erfolg der AfD. Das erledigen die etablierten Parteien schon selbst. Die „Sozialen Medien“ dienen derweil als Lautsprecher der Rechtsnationalisten – die klassischen Medien verstärken das nur.
Von Ludwig Greven
Der AfD kann alles, was im Moment in der deutschen Politik passiert, nur recht sein: Stimmen die Sozialdemokraten auf ihrem Parteitag am Sonntag in Bonn einer erneuten großen Koalition zu, ist sie demnächst Oppositionsführerin im Bundestag und kann die Bühne des Parlaments nutzen, um gegen das „Kartell der Altparteien“ zu hetzen und für ihre rechtsnationalen, fremden- und europafeindlichen Positionen zu trommeln. Verweigert sich die SPD einer dritten Kooperation mit Merkel und der Union seit 2005, kommt es zur Neuwahl, bei der die AfD mit weiteren kräftigen Stimmengewinnen rechen kann. Vielleicht wird sie sogar zweitstärkste Partei – vor der SPD.
Angst frisst die politische Seele auf
Besorgte Sozial- und Christdemokraten schließen das jedenfalls nicht aus. Es wäre ein Szenario ähnlich wie in Österreich und anderen westeuropäischen Ländern, wo rechtspopulistische, rechte oder gar halb-faschistische Parteien wie in Frankreich, Italien oder den Niederlanden zu den etablierten Parteien aufgeschlossen oder sie gar überholt haben. Ohne dass sie selbst dafür viel tun mussten, außer die vorhandene Proteststimmung gegen die jeweilige politische Führungen zu schüren.
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Kaum anders macht es die AfD. Sie provoziert, wo sie nur kann, wie einst die 68er, nur eben mit rechten Parolen. Gegen die politische und wirtschaftliche Elite, gegen Andersfarbige und -denkende, gegen Ausländer und Fremde, gegen Muslime, auch gegen die etablierten Medien. Die greifen dennoch die Provokationen bereitwillig auf und verbreiten sie weiter, selbst wenn diese sich gegen sie selbst richten. Allerdings in der Regel mit Abscheu und Empörung.
Aber das kümmert die Gaulands, Höckes und Weidels und ihre Gefolgsleute nicht: Die Botschaft ist gesetzt, sie kommt bei denen an, an die sie gerichtet ist. Nicht an die Regierenden und die Politiker der anderen Parteien, nicht einmal an "die Medien" und Journalisten der von ihnen geschmähten „Lügenpresse“. Nein, beim „Volk“, das sie für sich reklamieren. Genauer - bei den Wutbürgern vornehmlich der unteren Mittelschicht, die sich vor der Globalisierung, Europäisierung und den Migranten fürchten, die ins Land kommen mit ihrer fremden Kultur. Obwohl es ihnen objektiv gesehen im Schnitt nicht schlechter geht als früher. Aber Angst frisst die politische Seele auf.
Klassische Medien erreichen AfD-Fans gar nicht erst

Ludwig Greven ist Politikredakteur und freier Autor. Foto: privat
Die Botschaft landet bei den Betreffenden ganz ohne die klassischen Medien. Denn die Wutbürger und AfD-Fans misstrauen ihnen ohnehin, genauso wie den etablierten Politikern. Weshalb ihre empörten Reaktionen auf Ausfälle wie den jüngsten „Halbneger“-Tweet des AfD-Abgeordneten Jens Mayer gegen den Boris-Becker-Sohn Noah sie im Zweifel nur in ihren Vorurteilen und Ressentiments bestärken. Nach dem Motto: Wenn die so reagieren, muss ja was dran sein.
Der Vorwurf, die klassischen Medien hätten die AfD und Pegida erst groß gemacht, der schon nach der Bundestagswahl diskutiert wurde, geht schon deshalb fehl: Die allermeisten AfD-Anhänger und sonstigen Rechten nutzen die klassischen Medien gar nicht mehr. Sie lesen weder Zeitung noch schauen und hören sie die öffentlich-rechtlichen Sender, deren Abschaffung sie lauthals fordern.
Stattdessen „informieren“ sie sich im Internet in einschlägigen Foren und und auf entsprechenden Websites, auf denen ihnen stets nur ihre „Wahrheit“ präsentiert wird - in der berüchtigten rechten Blase. Das hat im vergangenen Jahr eindrücklich eine Studie der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung belegt.
Hätten die etablierten Medien die AfD in den vergangenen Jahren komplett totgeschwiegen, hätte das nichts geändert. Sie wäre in den Umfragen und bei den Wahlen trotzdem nach oben geklettert. Womöglich sogar noch stärker, weil sie selbst und ihre Anhänger ihre Ausgrenzung aus der traditionellen Öffentlichkeit erst recht als Beleg dafür angeführt hätten, wie die „Altparteien“ im Verbund mit den „Altmedien“ die Bevölkerung angeblich manipulieren. So wie das geschah, als sich die rheinland-pfälzische SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer 2016 vor der Landtagswahl weigerte, mit einem AfD-Vertreter im Fernsehen zu diskutierten.
Mediale Warnungen haben den Triumphzug der AfD nicht verhindert
Zeigen lässt sich das auch an der Entwicklung während des Bundestagswahlkampfs und danach. Bis zum 24. September waren die Zeitungen und Fernsehsendungen voll von Warnungen vor einem Erstarken der AfD. Das hat ihren Triumphzug aber nicht verhindert. Im Gegenteil: Sie wurde zur drittstärksten Fraktion. Seitdem steht sie jedoch weitgehend im Abseits der Berichterstattung, weil die sich ganz auf die Versuche der etablierten Parteien konzentrieren, eine neue Regierung zu bilden (oder eben nicht).
Trotzdem hat die AfD in den Umfragen sogar noch zulegt. Weil sich die Zustimmung zu ihr und ihren rechten, populistischen Losungen eben nicht aus den klassischen Medien speist, sondern aus dem Unvermögen der anderen Parteien, eine Regierungskoalition zu bilden und eine Politik zu formulieren, die auch die überzeugt, die an Politik und Demokratie zweifeln, ohne unbedingt überzeugte rechte Fanatiker zu sein. Was dann auf Facebook, Twitter und rechten Seiten immer aufs Neue verstärkt wird.
Ohnehin wird die Wirkung von Medien schon lange überschätzt. Erstes Beispiel: "Bild" gilt bis heute als „rechte“ Zeitung. Sie verbreitet tatsächlich häufig wie andere Boulevard-Medien mit ihrer Art der Skandalisierung rechte und konservative Auffassungen und stützt die Vorstellung, dass „die da oben“ sich selbst bedienen, während „das Volk“ darbt. Dass „Ausländer“ ihnen Jobs, Wohnungen oder gar Frauen „wegnehmen“. Oder das wir ständig vom Terror bedroht seien, obwohl die Gefahr, im Haushalt von der Leiter zu stürzen oder überfahren zu werden, nach den Statistiken wesentlich höher ist als in Deutschland Opfer eines islamistischen Attentäters zu werden. Also Ressentiments, derer sich auch die Rechts- (und Links-)Populisten bedienen.

Volles Haus vor der Landtagswahl 2016 bei einer AfD-Wahlveranstaltung - gut 400 Personen kamen in eine Mannheimer Gaststätte, um der damaligen Bundesvorsitzenden Frauke Petry zu lauschen - 200 weitere standen vor der Tür und hörten über Lautsprecher mit. Eine Zeitung skandalisierte einen angeblichen Schießbefehl - wenige Wochen später gewann Rüdiger Klos im Mannheimer Norden das Direktmandat, das letzte, dass die SPD im Südwesten noch hatte.
Die meisten Leser der "Bild" sind jedoch Arbeiter und einfache Angestellte. Lange Zeit zumindest waren sie meist Wähler der SPD und haben sich davon selbst durch die Propaganda aus dem Springer-Verlag nicht abbringen lassen. Inzwischen sind allerdings viele von ihnen zur AfD abgewandert – wegen ihrer Unzufriedenheit mit der konkreten Politik, nicht wegen Bild. Die ist heute im Vergleich gesehen harmloser als noch in den 1980er oder 1990er Jahren und haut auch schon mal auf AfD-Politiker ein.
Ein zweites Beispiel: Nach fast jedem Amoklauf an einer Schule oder sonstigen spektakulären Gewalttaten von Jugendlichen wird darüber spekuliert, ob Gewaltvideos und -spiele sie dazu verleitet haben. Zahlreiche Untersuchungen und Experimente haben jedoch gezeigt: Setzt man Kinder und Jugendliche, die zuhause und im Freundeskreis gelernt haben, dass Gewalt kein legitimes Mittel der Auseinandersetzung ist, vor solche Medien, weckt das in ihnen in aller Regel keine Gewaltgelüste.
Ist aber jemand mit Gewalterfahrungen aufgewachsen und hat gelernt, dass Gewalt ein völlig "normales Mittel" ist, seine „Feinde“ zu besiegen, um sich selbst größer zu machen, war er (oder sie) gar selbst Opfer von Gewalt, können solche Filme und Killerspiele ihre Gewaltphantasien so verstärken, dass sie sie in Realität umsetzen. Dennoch verursachen diese Medien nicht die Gewalt, sie ebnen ihr allenfalls den Weg.

Fehlerhafte Berichterstattung - angeblich zeigt diese Szene Müll in der Neckarstadt-West, tatsächlich wurde die Aufnahme im Jungbusch gemacht. Der Einspieler wurde bei "Anne Will" ausgestrahlt.
Pegida und AfD sind Ausdruck, nicht Ursache eines rechten Weltbilds
Nicht viel anders, sagen Medienforscher, ist das zum Beispiel bei Übergriffen auf Fremde und Ausländer oder bei Anschlägen auf Asylbewerberheime. Die Täter haben sehr häufig ein mehr oder weniger gefestigtes rechtes, ausländerfeindliches Weltbild. Die fremdenfeindliche Stimmung, die seit der Massenzuwanderung ab 2015 insbesondere im Osten stark gewachsen ist und deren Ausdruck, nicht Ursache Pegida und die AfD sind, haben in ihren Augen eine Legitimation geschaffen, ihre Wut und ihren Hass, der sich eigentlich gegen die Verursacher ihrer Lebensverhältnisse richten müssten, gegen Ausländer und Zugewanderte zu wenden. Mit teils tödlicher Wirkung.
Das Fatale: Aufklärungsbemühungen von Politikern und Medien, dass Ausländer und Migranten gar nicht für die Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot oder die eigene Abhängigkeit von Hartz IV verantwortlich sind, erreichen diese Zielgruppe nicht. Weil die weder den einen noch den anderen trauen, betrachten sie die aufklärerisch gemeinten Artikel, Reden oder Fernsehsendungen lediglich als Ablenkungsmanöver, als „Lügen“ oder Teil einer Verschwörung.
Anm. d. Red.: Dieser Artikel ist Ergebnis eines Experiments. Im vergangenen Jahre haben wir "Inhalt gegen Geld" gefordert - also erst Bezahlung, dann Recherche und Bericht. Das hat funktioniert und das führen wir weiter. Dabei hatten wir die technische Bedingung übersehen, dass sich die URL für bepreiste Artikel nicht ändern lässt, das berücksichtigen wir künftig. Unser Dank gilt an alle, die vorab gezahlt haben! Die, die noch nicht gezahlt haben profitieren davon, weil wir diesen Text für eine Woche frei zugänglich halten, dann aber auch bepreisen (Wer bereits die Ankündigung bezahlt hat, hat weiter Zugriff auf den Text und kann ihn dort auch lesen. Wer per Paypal bezahlt, hat, bekommt ihn per email.) Unser neues Thema aus der Reihe "Inhalt gegen Geld" heißt: Rettungsdienst in Not?
Für heute freuen wir uns auf den ersten Text (bezahlt durch 146 Leser) des geschätzten Kollegen Ludwig Greven, der vor vielen Jahren als Politikredakteur bei "Die Woche" den Autoren Hardy Prothmann betreut hat.
Medien tragen trotzdem Verantwortung
Das alles besagt allerdings nicht, dass die etablierten Medien "schuldlos" wären. Nicht, weil sie über die AfD oder Angriffe auf Geflüchtete und Migranten berichten. Das ist ihre Pflicht. Oder zu viel berichten, sondern weil sie häufig falsch berichten. So haben die „Mainstream-Medien“ 2015 erst die „Willkommenspolitik“ der Dr. Angela Merkel zumeist völlig unkritisch unterstützt, ohne - wie auch die Kanzlerin - über die Folgen nachzudenken. (So wie sie schon vorher ihre Politik in der Euro- und Finanzkrise genauso wie Merkel häufig als „alternativlos“ dargestellt hatten, ohne deren Folgen für die normalen Bürger zu bedenken – bis hin zur stillen Enteignung der Sparer, deren Guthaben Merkel doch nach der Pleite der Lehman-Brothers-Bank garantiert hatte, durch die Geldpolitik von EZB-Chef Mario Draghi.)
Nach der Anfangseuphorie schwenkten die Medien dann um. In wiederum völlig und übertriebener Breite berichteten sie nun über Probleme bei der Unterbringung, Versorgung und Integration der Migranten, also ob das deutsche Abendland tatsächlich vor dem Untergang stünde. Obwohl tatsächlich weit ärmere Länder wie die Türkei oder der Libanon Millionen und damit weit mehr Menschen aus Syrien und dem Irak aufgenommen haben, und Pakistan weit mehr Flüchtlinge aus Afghanistan. Und obwohl auch in Westeuropa – gemessen an der Bevölkerungszahl – andere Länder wie Schweden und selbst Malta mehr Flüchtlinge beherbergen.
Massive mediale Übertreibungen
Diese massive Übertreibung der Berichterstattung und entsprechender Kommentierung in die gegensätzlichen Richtungen – erst Selbstlob für die vermeintliche Selbstlosigkeit der Deutschen, dann Sorgen und Befürchtungen ohne Ende – bot den Ausländer- und Europafeinden von der AfD gleich doppelte Nahrung. Erst, indem sie die angebliche Begeisterung einer breiten Mehrheit über den Flüchtlingsandrang als das „entlarvte“, was sie war - eine politisch-mediale Überinszenierung. Und dann, indem sie nur auf die Katastrophenberichterstattung der etablierten Medien verweisen brauchte, als die Flüchtlinge in den Städten angekommen waren und es zu ersten Gewaltausbrüchen und Terrortaten von - insgesamt betrachtet - wenigen kam.
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Höhepunkt dieser Anti-Willkommens-Inszenierung war das TV-Duell zwischen Merkel und ihrem SPD-Herausforderer Martin Schulz vor der Bundestagswahl. Das Thema Flüchtlingspolitik nahm den breitesten Raum und die meiste Zeit ein. Alle vier Moderatoren befragten die beiden Kandidaten, als gäbe es in Deutschland so gut wie keine anderen Themen, Sorgen und Nöte als die Flüchtlingskrise, die immer noch diesen Namen trägt, obwohl die meisten Erstaufnahmelager längste geschlossen sind, weil bei weitem nicht mehr so viele Menschen kommen. Und obwohl die ersten der 2015 und 2016 Gekommenen nach ihrem Sprach- und Integrationskurs gerade im Arbeitsmarkt ankommen oder eine Ausbildung machen.
Sucht Lösungen und setzt sie um
Kein Wunder, dass die AfD da außer ihren gezielten, bewussten Provokationen kaum noch eigenen Wahlkampf machen musste. Das erledigten die „Altmedien“ und „Altpolitiker“ für sie, indem sie die Themen der AfD beständig groß und ihre eigenen klein machten und machen.
Der Rat an Politiker wie Medien: Kümmert Euch um die echten, konkreten Problem der Bürger. Baut Wohnungen. Schafft neue Arbeitsplätze für die, die ihre durch die Globalisierung und Digitalisierung der Wirtschaft verlieren. Hört auf, immer nur über „Krisen“ zu reden. Sucht Lösungen und setzt sie um. Dann, und nur dann, könnt ihr Schritt für Schritt der AfD, den Fremdenfeinden, den Demokratie- und Politikverächtern den Boden entziehen. Wenn nicht, lachen die sich ins Fäustchen. Und werden immer stärker.
Zur Person: Ludwig Greven ist Politik-Redakteur bei ZEIT ONLINE und freier Autor. Profilseite bei ZEIT ONLINE, sein Blog Quersatz, Facebook, Twitter.
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