Schwetzingen/Rhein-Neckar, 19. September 2015. (red/cr) Das erste Schwetzinger Integrationsfest auf den “Kleinen Planken” vergangene Woche war ein schöner Erfolg – denn es kam zu vielen Begegnungen zwischen den Bürgern und den Flüchtlingen. Unsere Reporterin Christin Rudolph hat mit vielen Flüchtlingen gesprochen – was haben sie erlebt, wie ist es ihnen auf der Flucht und dann in Europa ergangen. Insbesondere die Gambier sind sehr kommunikativ – manchmal zu sehr.
Von Christin Rudolph
Am 11. September veranstaltete der Schwetzinger Gemeinderat ein Integrations- und Sommerfest um das Kennenlernen zwischen Bürgerinnen und Bürgern und Flüchtlingen zu erleichtern. Diese fraktionsübergreifende Aktion fand gute Resonanz in der Bevölkerung.
Die Besucher sind in der Altersstruktur bunt gemischt, einige Familien mit Kindern sind da, die bei der Kinderbetreuung basteln oder sich in der Hüpfburg austoben.
Essen, Gespräch und Musik verbinden
Nicht zuletzt liegt die gute Stimmung an der engagierten Arbeit der vielen freiwilligen Helfer, ob an den Verpflegungsständen, der Kinder-Spielstation, den Helfern beim Arbeitskreis Asyl oder hinter den Kulissen. Doch auch die Flüchtlinge selbst tragen dazu bei. Einige haben Spezialitäten ihrer Länder gekocht. Das afghanische, somalische, eritreische und gambische Essen kommt sehr gut an. Das macht die Männer unglaublich stolz.
Kurz vor 18:00 Uhr kommen einige Männer aus Gambia spontan auf die Bühne und singen, tanzen und rappen zur Musik. Zum Tanz stößt noch ein Mann in einem Helfer-T-Shirt. Ein Flüchtling erzählt mir später, das sei der Hausmeister des Hotel Atlanta:
He´s the best!
Er kümmere sich wirklich engagiert, die Flüchtlinge fühlen sich bei ihm gut aufgehoben.
Nur nicht nach Italien
Ein Mann aus Gambia spricht mich auf Deutsch an -fließend und fast akzentfrei. Verblüfft frage ich ihn, wie lange er schon hier ist. Zwar sei er wie die anderen Bewohner des Hotel Atlanta erst seit Juni in Schwetzingen, doch bevor er nach Deutschland kam, habe er fünf Jahre in Wien gelebt. Dort hat er in einem Logistikunternemen gearbeitet, doch das ist pleite gegangen. Österreich sei zwar ein gutes Land für Flüchtlinge, doch zu klein für die Menschenmengen, die aktuell Zuflucht suchten. Wie viele andere kam er über Italien nach Europa. Doch in Italien wollte er auf keinen Fall bleiben. Die Perspektiven dort seien nicht gut genug, um sich eine Existenz aufzubauen.
Andere Gambier berichten ebenfalls, in Italien sei es schwer Arbeit zu finden. Teilweise sogar, die Italiener seien rassistisch und wollten die Afrikaner nicht in ihrem Land haben. Einer erzählt, sein Bruder habe in Italien bereits Fuß gefasst, er habe ein Haus, einen Job, ein Auto und Familie.
Unmöglich dort zu bleiben, ist es also nicht. Er selbst jedoch habe keine Arbeit finden können und hoffe nun, dass ihm das in Deutschland gelingt. Zwei meiner Gesprächspartner wollten sich in Italien nicht registrieren lassen, aus Angst, aus Deutschland dorthin zurückgeschickt zu werden.
If they have your fingerprint in Italy they can send you back there.
Plötzliches Wiedersehen
Auf einer der Bänke sitzt ein Gambianer alleine. Ich setze mich zu ihm. Wir haben uns noch nicht einmal einander vorgestellt, kommen ein weiterer Mann und ein Junge. Die drei begrüßen sich stürmisch, als würden sie sich zum ersten Mal nach langer Zeit wiedersehen.
Später erzählt der Gambier den Hintergrund dieses freudigen Wiedersehens: Der Mann und sein Sohn sind ebenfalls Flüchtlinge. Sie kamen mit ihrer Familie aus Eritrea. Bei der Überfahrt übes Mittelmeer saßen sie mit dem Gambier im selben Boot. Nun haben sie sich in Schwetzingen wiedergefunden. Als ich nachfrage, erzählt mir der Eritreer, dass er mit seiner Familie in einer Wohnung in Ketsch lebt und bereits Arbeit gefunden hat.
Vater Soldat in Gambia, Mutter mit Geschwistern im Senegal, Lamin in Deutschland
Auch Lamin aus Gambia erzählt mir von seinem Heimatland. Das kleine Land werde von einem Fluss durchzogen. Draufhin frage ich, ob viele als Fischer arbeiteten und was er denn beruflich gemacht habe vor der Flucht. Er ist Schüler, 19 Jahre alt. Sein Vater ist Soldat und keiner weiß, wann er zurückkommt. Seine Mutter ist mit seinen Geschwistern in das Nachbarland Senegal gezogen – dahin, wo die Städte größer sind. Einige Gambier kennen Karlsruhe oder Mannheim, weil sie dort in einer Landeserstaufnahmestelle (LEA) waren. In Gambia, erzählen sie, seien selbst die größten Städte kleiner als Karlsruhe oder Mannheim. Unsere Städte seien “riesig”.
Auf der Flucht den Freund verloren
Als Lamin von der Flucht erzählt, merke ich, dass seine Erlebnisse ihn viel älter gemacht haben. Er ist allein hier. Aufgebrochen ist er in Gambia zusammen mit einem Freund. Man muss nicht nur das Mittelmeer, sondern auch die Sahara queren. In der Wüste sei man als Flüchtling darauf angewiesen sich an Autos zu hängen. Ohne Geld sei man ständig in Gefahr als “nutzlos” von Stammeskriegern getötet zu werden. Sein Freund und er hatten zwar Glück, landeten aber in verschiedenen Autos. Am Horizont konnte Lamin beobachten, wie das Auto, in dem sein Freund saß, einen Unfall hatte. Wie es seinem Freund ergangen ist, weiß er nicht. Das war das letzte Mal, dass er ihn gesehen hat.
Zunächst konnte es Lamin gar nicht fassen, endlich in Deutschland angekommen zu sein. Er sagt nicht nur, wie dankbar er ist – man sieht es ihm auch an. Er will unbedingt, dass ich ihn fotografiere.
Im Laufe des Festes werde ich noch drei andere Lamins aus Gambia kennenlernen und erfahren, dass “Lamin” ein sehr häufiger Name in Gambia ist. Die anderen Lamins und ihre Landsleute sind auch freundlich und kontaktfreudig. Es ist einfach mit ihnen zu reden, da fast alle gutes Englisch sprechen.
Freundlich, aber leider auch aufdringlich
Nach einer Weile habe ich allerdings das Gefühl von ihnen eine “besondere Aufmerksamkeit” zu bekommen. Und das nicht nur weil ich mit einer Kamera herumlaufe – sondern weil sie junge Männer sind, meist allein in Deutschland, und ich eine junge Frau, die oft ein paar Jahre älter geschätzt wird. Sie fragen fast alle, wo ich denn herkomme und laden mich zu sich ins Hotel Atlanta ein. Viele wollen Fotos mit mir machen.
Ein Flüchtling aus Gambia fragt nach meinem Alter (18) und meint, er sei 22 Jahre alt. Die ältere Besucherin neben mir lacht und erzählt mir, dass er bei ihrem ersten Treffen angegeben hat, 36 zu sein. Er ist ein witziger Typ. Aber auch charmantes Auftreten kann irgendwann aufdringlich werden.
Vor allem sind die Gambianer hartnäckig und glauben oder akzeptieren meistens nicht, wenn ich mitteile, dass ich einen Freund habe. Das macht es schwer ein längeres Gespräch aufzubauen. Und je mehr Interesse sie an mir als Flirt statt als Journalistin oder als Mensch zeigen, desto anstrengender wird es, auf das eigentliche Gesprächsthema zurückzukommen.
Nach der Veranstaltung muss ich am Abend auf die Bahn warten. Joe, ebenfalls gambischer Flüchtling, wartet auf den selben Zug. Wir unterhalten uns. Ich frage ihn, ob er nachts nicht in der Unterkunft sein sollte:
They won´t recognize.
Er meint, die Sozialarbeiter seien nur montags uns donnerstags im Hotel Atlanta, da könne er am Wochenende ruhig einen Freund in Mannheim besuchen.
Zwischenzeitlich haben wir ein wirklich interessantes Gespräch, unter anderem über seinen Besuch bei einem Fußball-Bundesligaspiel, woran sich eine konstruktive Diskussion über die Kommerzialisierung des Sports anschließt. Joe erzählt, er habe in Gambia Landwirtschaft studiert und bei einer kanadischen Hilfsorgsanisation gearbeitet. Dabei wurde er gut bezahlt und konnte vielen Menschen helfen. Natürlich erwähnt er auch, dass vor allem die Frauen sehr beeindruckt von ihm waren. Die Anbaggerei nervt. Auch ihn muss ich mehrere Male deutlich zurückweisen.
Anfänge, Hoffnungen, Erfolge
Als ich mich dann endgültig auf den Nachhauseweg mache, bin ich im Besitz der Handynummern drei meiner hartnäckigsten Verehrer, darunter die von Joe. Es ist nicht das, was ich gehofft hatte, von den jungen Gambiern mit nach Hause zu nehmen. Sie haben schon einiges über unsere Kultur gelernt, zum Beispiel, dass man sich hier im Gegensatz zu den Sitten in Gambia bei der Begrüßung nicht so nah mit den Köpfen kommt. Aber anscheinend hat ihnen leider noch niemand erklärt, dass in Deutschland schon das erste deutliche “Nein” auch “Nein” heißt.
Außerdem haben mich die Gambier so vereinnahmt, dass ich kaum Kontakt zu Flüchtlingen anderer Nationalitäten hatte. Ich habe mit Eritreern gesprochen, deren Englisch und Deutsch nicht so gut war. Dementsprechend waren sie etwas unsicher. Aber trotzdem haben sie Dankbarkeit und Offenheit vermittelt und sich ehrlich mit mir unterhalten.
Es waren andere Eritreer auf dem Integrationsfest, die bis vor eineinhalb Jahren noch in den Containern auf dem Kilbourne-Gelände untergebracht waren und sich inzwischen integriert haben. Sie wohnen in normalen Wohnungen und arbeiten dafür. Man konnte ihnen ansehen, dass das ihnen Selbstvertrauen gegeben hat. Solche Erfolgsgeschichten ermutigen sowohl Ehrenamtliche als auch neu angekommene Flüchtlinge. Vor allem unter Geflüchteten mit derselben Nationalität besteht meist ein guter Gruppenzusammenhalt.
Was ich aber mitnehmen konnte, egal ob ich mit Somaliern, Eritreern, Afghanen oder Gambiern gesprochen habe – sie sind alle dankbar, hier in Deutschland sein zu können. Trotz der teils schwierigen Bedingungen und den Erlebnissen der Flucht haben sie ihre Lebensfreude nicht verloren.
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