Rhein-Neckar/Ahrtal/Recklinghausen, 18. Januar 2025. (red/pro/kb) Der Influencer Markus Wipperfürth „labert“ viel und gerne auf seinem Facebook-Kanal „Lohnunternehmen Markus Wipperfürth“, gibt sich als kritischer Beobachter und altruistischer Helferheld. Nach und nach zeigt sich aber, dass viel von dem, was er als „Wahrheit“ in zwei teuren Büchern verkauft, eher individuelle Wahrnehmungen, vage Interpretationen oder frei erfundene Geschichten sind. Seiner Community der „Wippianer“ ist das egal. Kritischen Fragen stellt nicht nur er sich nicht, auch einer seiner Experten schweigt auf Anfrage: Godehard Pötter, Heilpraktiker für Psychotherapie aus Recklinghausen, bezeichnet im neuen „Buch 2“ Kritiker unter anderem als „destruktive Hyänen“. Angeblich ist er „Schulleiter für Kriseninterventionsfachkräfte“ – doch die Suche nach dieser Schule bleibt ergebnislos. Fragen dazu beantwortet Herr Pötter, der sich auch als Fachmann für „gewaltfreie Kommunikation“ anpreist, nicht.
Von Hardy Prothmann
Im Sommer 2021 hatte ich noch einen direkten und guten Kontakt zum Lohnunternehmer und Influencer Markus Wipperfürth, der über seine Facebook-Seite quasi täglich mehrere Videos über den Zustand des Ahrtals und die benötigte Hilfe vor Ort veröffentlichte. Damals empfahl er mir Godehard Pötter, einen Psychotherapeuten, „der es voll drauf habe und das alles hier ganz einfach erklären kann“.
Das mit dem guten Kontakt änderte sich gewaltig, als ich nach und nach Zweifel an der „ehrenamtlichen“ und altruistischen Hilfsleistung des Pulheimers hatte, der vorgibt, Landwirt zu sein. Die Sache mit dem Landwirt (Bauer) ist ihm sehr wichtig – kürzlich erst hat er einen Lohnunternehmer-Kollegen verklagt, der den Status „Landwirt“ in Frage stellte. Herr Wipperfürth wollte vor dem Landgericht Essen per Einstweiliger Verfügung diesen geäußerten Zweifel untersagen lassen – und verlor.
Völlig kurios: Vor Gericht „belegte“ er seinen Status als Landwirt, er habe gerade 80 Tonnen Weizen verkauft, damit auch der Vorsitzende Richter morgens sein Brötchen auf dem Tisch hat. Als wenn der Wipperfürthsche Weizen sich ausgerechnet bei diesem Essener Richter morgens in ein Brötchen verwandeln würde. So ist das mit der „speziellen Wahrheit“ von Herrn Wipperfürth – er hat eine durchaus große Fantasie.
Das erste Wipperfürthsche Gesetz – meine Wahrnehmung ist die Wahrheit
Natürlich könnte es „wahr“ sein, dass der Richter morgens ein Brötchen isst, das aus dem Weizen von Herrn Wipperfürth gebacken worden ist. Das könnte sein. Angesichts einer deutschlandweiten jährlichen Produktion von rund 18 Millionen Tonnen Winterweizen ist das eher un“wahr“scheinlich – aber mit einer Null-Komma-viele-Nullen-prozentigen Wahrscheinlichkeit nicht gänzlich ausgeschlossen. Das gilt auch für Strom aus einer Biogasanlage, für die er bis Jahresende als „Hausmeister“ tätig war und immer wieder freudig verkündete, dass „ihr damit morgens euren Kaffee kocht“ – also alle, die ihm bei seinen morgendlichen Kreisfahrten zuschauen, egal wo.
Während Herr Wipperfürth sehr umfangreich seinen Energiemais-Anbau dokumentiert, quasi täglich seine Reitanlagen zeigt, sind Videos über den eigenen Anbau von „Lebensmitteln“ eher rar. Wahrscheinlicher ist, dass er auf dem Blatt Landwirtschaft betreibt, das könnte steuerliche Gründe haben und auch den Zugang zu Subventionen sichern – aber die Produktion von Nahrungsmitteln eher spärlich ausfällt. Das hält ihn aber nicht davon ab, von „wir Bauern, die für Euch die Lebensmittel produzieren“ zu reden. Vor dem Essener Gericht sagte er tatsächlich auch, dass alle 240.000 Landwirte ihn und seinen Kanal kennen würden. Man könnte das auch ein „besonderes Selbstbewusstsein“ nennen.
Gewinn- und Verlustrechnungen
Das passt auch zur Selbstdarstellung in der Ahrtalhilfe – man könnte meinen, er als „ich“ habe das alleine gerockt. Natürlich ist selbst ihm das zu verwegen, deswegen spricht er häufig auch von „wir“ – wer immer das auch ist, jedenfalls gehört sein „ich“ dazu und damit hat er irgendwie auch einen Anteil an allen Hilfen. Zumindest könnte das ja so sein.
Herr Wipperfürth stammt nach seinen Angaben aus Fliesteden, einem kleinen Dorf im Rhein-Erft-Kreis unweit von Pulheim, wo er heute in einem Ortsteil lebt. Pulheim, nordwestlich von Köln gehört zum Rhein-Erft-Kreis. Das hält Herrn Wipperfürth nicht davon ab, hier und da auch von „Wir Kölner“ zu reden – auch wenn er weder aus Köln kommt noch dort lebt. (Anm. d. Autors: Ich wurde in Köln „gemacht“ – geschlüpft bin ich in Ludwigshafen, aufgewachsen überwiegend in Frankenthal – was bin ich jetzt?)
Seine Hilfe im Ahrtal habe Herrn Wipperfürth angeblich einen hohen Verlust gebracht – er spricht von über 300.000 Euro, belegt das aber nie.
Und hier gibt es Ähnlichkeiten zu Herrn Pötter. Auch dieser beklagt in einem Video, das Nachwuchsjournalisten der Rhein-Zeitung produziert haben, einen „in Summe fünfstelligen Verlust bei seiner Praxis“ durch seine Hilfe im Ahrtal. Auch Herr Wipperfürth hat angeblich seinen eigentlichen Betrieb vernachlässigt – kann man das glauben? Hat Herr Wipperfürth seinen Ernten liegen lassen, Lohnaufträge nicht bearbeitet, Kunden vor den Kopf gestoßen und hängen lassen? Und was bedeutet der Verlust bei Herrn Pötter, der eine Privatpraxis betreibt? Hat er tatsächlich seine Bestandspatienten im Stich gelassen, Termine storniert, weil er eben im Ahrtal war? Kann man das glauben? Oder hat er keine oder kaum Patienten und der Verlust war eine theoretische Rechnung?
„Destruktive Hyänen“, Neid und Missgunst
Im Buch „Die Welle nach der Flut – gefangen im Netz aus Hass und Hetze“ wird Herr Pötter als Experte präsentiert, unter anderem als „Schulleiter für Kriseninterventionsfachkräfte“ und als „Fachdozent“ (Dozent allein reicht nicht) für psychosoziale Themen“. Interviewt von Sandra Fischer, frühere Mitarbeiterin der Rhein-Zeitung, die unter anderem seit einer RNB-Recherche dort nicht mehr arbeiten darf, da die Chefredaktion feststellen musste, dass Frau Fischer bei einem Artikel über angeblich gefundene Kinderleichen jegliche journalistische Sorgfaltspflicht missachtet hatte und dieser Artikel Fake News ist.
Das Interview hat überwiegend nichts mit „psychosozialen Themen“ zu tun, sondern liest sich wie ein bestelltes Erklärstück, warum Markus Wipperfürth und sein Kumpel Wilhelm Hartmann (der sich als „Gärtner“ der Landwirtschaft zugehörig fühlt, tatsächlich überwiegend im Straßenräumdienst tätig ist) insgesamt Helden sind und alle, die diese kritisieren ganz einfach „Neider“. Frau Fischer lässt sich und den Buchleser/innen (gibt es die eigentlich oder steht das nur im Regal?) erklären, wie alles im und ums Ahrtal in einem „Drama-Dreieck“ abläuft und abgelaufen ist und irgendwie wirkt der Rest des Buchs so, als hätte Herr Pötter den Leitfaden vorgegeben.
Kritiker bezeichnet Herr Pötter, wohlgemerkt ein Heilpraktiker für Psychotherapie und angeblich Experte für „gewaltfreie Kommunikation“, als „destruktive Hyänen“ oder „Grabenkrieger“. Er behauptet, andere neideten den „Erfolg“ von Herrn Wipperfürth und wollten diesen „abwerten“, spricht von Täter-Opfer-Umkehr und beschreibt damit eigentlich zutreffend, was Herr Wipperfürth und Teile seiner Community mit Kritikern treiben. (Abgesehen davon sind Hyänen faszinierende Tiere mit einem komplexen Sozialsystem.)
Gefangen im eigenen „Drama-Dreieck“?
Im Video der Rhein-Zeitung präsentiert sich Herr Pötter mit seinem „Einsatzfahrzeug“, einem rot-lackierten Klein-Lkw (vielleicht ein früheres Feuerwehrfahrzeug?), das nach „sechs Wochen Einsatz im Ahrtal“ völlig blitzblank gewienert ist und aussieht, als käme es direkt aus der Full-Service-Waschstraße mit Innenraumreinigung und Handpolitur.
Eine „Schule für Kriseninterventionsfachkräfte“, die Herr Pötter angeblich „leitet“, konnte ich nicht finden – also habe ich nachgefragt. Und wie von Herrn Wipperfürth oder Herrn Hartmann oder Frau Fischer schon gewohnt – keine Antwort erhalten. Als „Fachdozent“ konnte ich eine Fundstelle ausmachen – als Seminarleiter für „Trauma und Fluchterfahrung“ bei der „Akademie Klausenhof“: „Ein Schwerpunkt des Seminars liegt auf Maßnahmen der Psychohygiene als Prävention vor Sekundärtraumatisierung und Burnout.“
Interessant ist die Selbstdarstellung als „Experte“ – nach den eigenen Informationen ist Herr Pötter etwa seit 2012 nach einer Ausbildung als Heilpraktiker „zugelassen“, also erst gut ein Jahrzehnt „im Geschäft“. Ebenfalls 2012 erscheint ein Artikel in den „Westfälischen Nachrichten“: „Bewegende Worte eines Opfers“. Darin heißt es über Herrn Pötter: „Der gebürtige Recklinghäuser ist eines von zwei derzeit Schule und Internat bekannten Opfern von Missachtung, Misshandlung oder Missbrauch. Als Pennäler habe er unter den Übergriffen einiger Mitschüler sowie eines Lehrers gelitten und die Loburg schließlich verlassen. Im Anschluss daran wurde er – weit weg von Ostbevern – von einem Geistlichen missbraucht.“ Hat sein persönliches Schicksal etwas mit seinem Drang zu tun, „alles ganz einfach zu erklären“? „Drama-Dreieck“? Erinnerungen an „destruktive Hyänen“?
Im Video der Rhein-Zeitung sagt er: „Ich habe noch nie so viel gelernt, wie im Erft- und Ahrtal, das ist die effektivste Fortbildung, die ich in meinem Leben absolviert habe.“ Interessant: War er nun als „Notfallseelsorger“ vor Ort oder hat er eine „Fortbildung“ für sich selbst gemacht? Auf Anfrage sagt eine Psychotherapeutin dazu: „Das mit einer „Fortbildung“ zu vergleichen ist sehr schräg, denn eine Fortbildung hat einen ganz anderen Ansatz und inkludiert eher Fachpersonal, von dem der Therapeut lernt, den wissenschaftlichen Forschungsstand auf Höhe bringt und seine methodischen Kompetenzen erweitert. Betroffene/Patienten kommen da höchstens als theoretisches Fallbeispiel auf Papier vor. Und: auch die Erfahrungen mit den vielen Menschen im Ahrtal bedürfen eigentlich einer fachlichen Reflexion durch Supervision, wenn sie über bloßen Anekdotenstatus hinaus die therapeutische Arbeit positiv beeinflussen sollen.“
Belege? Fehlanzeige
Im „Interview“, das eher Stichworte für ausuferndes Dozieren liefert, gibt er sich kenntnisreich, weiß auch über die geschäftlichen Hintergründe bei Wipperfürth und Hartmann Bescheid, und kann den gesamten Komplex „Flutkatastrophe“ erklären, politische Hintergründe sowieso. Tatsächlich liest sich das Interview wie die Bestandsaufnahme eigener Überforderung, er redet von „Spiel“ und „Erfolg“ und „Eskalationen“, von „Enttäuschungen“ und „Wünschen“ und „hätte man die Helfer einfach nur gelassen“. Und natürlich weiß er alles über die Motive und Motivationen von „investigativen Journalisten“, „Internettrolle“ und „einschlägig bekannte Plattformen“ (wer genau, was genau lässt er offen, setzt aber alles gleich), die ein gemeinsames Ziel haben: „Die Helfer gegeneinander aufzubringen.“ Belege für solche schräge Sichtweisen gibt es keine – die würden nur seine „Analyse“ stören.
Interessant ist auch hier der „allwissende“ Anspruch – woher will Herr Pötter wissen, wie es „allen“ oder „vielen“ Helfern geht? Hatte er mit allen 100.000 Helfern, die angeblich über Herrn Wipperfürth ins Ahrtal kamen, persönlich Kontakt? Oder nur mit der engeren Wipperfürth-Blase, die sich seitdem in der Community selbst bestätigt?
Im Buch erklärt Herr Pötter das, was in der Community dann mantrahaft wiederholt wird: „3. Je bekannter und beliebter die aktiven Engagierten werden, umso größer und schmerzhafter erleben diese Leute den Kontrast zu ihrem eigenen Nichtstun. Es entstehen Neid und Missgunst bis hin zum offenen Hass. 4. Da sich diese missgünstigen Leute nicht aufschwingen können in den Olymp derer, die getan und geleistet haben, bleibt ihnen nur übrig, deren Leistung zu entwerten und in den Schmutz zu treten, um den riesigen Abstand zu entwerten.“
Küchenpsychologisches Ping-Pong
Klingt wie Küchenpsychologie, ist vermutlich auch nicht mehr. Das Finale liest sich so: „Ansonsten kann ich nur sagen, ein Ping-Pong-Spiel funktioniert nur solange, wie auf ein Ping auch ein Pong kommt. Wenn kein Pong mehr kommt, hört auch das Spiel auf, wenn auch vielleicht mit einer kleinen Karenzzeit. Aber in dem Spiel gehen alle unter, da gibt es keine Sieger.“ „Ping-Pong“ war über Wochen die Essenz, die vor allem in der engeren, intellektuell eher höchsteinfachen „Wommunity“ von Wipperfürth die Runde machte. „Ist doch klar, wo kein Ping, da kein Pong.“ Das gab viele Likes und Herzchen.
Doch wie geht Herr Pötter mit der Falschinformation der angeblich auf einem Rücksitz gefundenen toten Kinder um? Kann er nachvollziehen, dass weder Herr Wipperfürth noch Frau Fischer diese Falschinformation nicht korrigieren? Und ebenso wenig, dass nicht nur ein betroffener Ahrtaler, der eine Korrektur dieser Falschinformation verlangte, im Buch als Teil einer „sektenartigen Struktur“ verunglimpft wird, die eine Kampagne zu Lasten von Herrn Wipperfürth veranstalten würde? Wie geht ein „Experte für psychosoziale Themen“ mit solchen ehrabschneidenden Vorwürfen um? Noch dazu als Teil dieses Buches, das diese angebliche Kampagne als „Wahrheit“ belegen soll? An dem Herr Pötter mitwirkt? Was sagt der Experte für „gewaltfreie Kommunikation“ dazu, wenn ein tatsächlich Flutbetroffener diffamiert wird? Etwa: „Naja, der hätte ja nicht Ping machen müssen, dann hätte es auch kein Pong gegeben?“
Hier die Fragen an Herrn Pötter, abgesendet am 13. Januar 2025, 17:48 Uhr. Bis heute nicht beantwortet.
Sehr geehrter Herr Pötter,
im Rahmen einer Recherche bitte ich um Antworten auf folgende Fragen:
Im aktuellen Buch von Herrn Wipperfürth steht zu ihrer Person, ´Sie seien Leiter einer Schule für Kriseninterventionsfachkräfte sowie Dozent fur psychosoziale Themen an verschiedenen Akademien:
Wie heißt die Schule, wo befindet sich diese und was wird dort an wen unterrichtet?
An welchen Akademien sind Sie Dozent für welche Themen?
In einem Porträt von Nachwuchsjournalisten über Sie, teilen Sie mit, dass Sie sechs Wochen im Einsatz seien, einen fünfstelligen Verlust gemacht haben, sich in den Einsatz drücken und reden häufig von „wir“.
Wie kommt es zu dem Verlust?
Wer hat Ihre Patienten in den sechs Wochen betreut?
In welchen Einsatz welcher Organisation haben Sie sich gedrückt?
Wen meinen Sie mit „wir“?
Wie viele Personen haben Sie als Notfallseelsorger betreut?
Über wen wurde das abgerechnet?
Im Buch nennen Sie Menschen „Hyänen“ – würden Sie bitte erklären, wieso Sie Tiervergleiche anstellen und dazu noch zu solch scheußlichen Tieren?
Wen meinen Sie mit solchen Vergleichen?
Weiter meinen Sie, auch investigative Journalisten hätten „ein Leichtes daran gehabt, Helfer gegeneinander aufzubringen“. Was meinen Sie damit?
Sie behaupten, Herr Wipperfürth habe allein 100.000 Helfer ins Tal gebracht – wie belegen Sie das?
Überhaupt behaupten Sie sehr viele Details, wie etwa, Herr Wipperfürth haben seinen Betrieb brach liegen lassen – woher haben Sie alle diese Informationen? Wie lange haben Sie für diesen Text recherchiert und daran gearbeitet?
Gab es ein Honorar oder eine Umsatzbeteiligung?
Mit freundlichen Grüßen
Hardy Prothmann