Mannheim, 18. Februar 2017. (red/cr) lesen.hören 11 wurde von einem Autor eröffnet, der in seinem neuesten Werk nichts geringeres erzählt als die Entstehung der Erde. Ein Festivalbeginn voller Ambitionen und grundsätzlicher Fragen, der Lust auf mehr macht.
Von Christin Rudolph
Die Entstehung des Lebens erklären. Wie wir es heute kennen. So richtig. So alles. Vom Urknall und der Entstehung der Erde über das erste Leben, Bakterien und Kragengeißeltierchen bis hin zum Menschen.
Das macht Raoul Schrott in seinem neuen Buch „Erste Erde Epos“.
Das ist kein Größenwahn – nur Neugier,
so der Autor über seinem Antrieb. Wenn man sich in einem Buchgeschäft befinde, könne man an der Größe der Regale schnell erkennen, dass sich die große Mehrheit der Literatur mit den Menschen und ihrem Verhalten beschäftige. Was aber ist mit der Bühne, auf der diese Geschichten spielen? Der Erde? „Ein paar Fotobände und Sachbücher“, so Herr Schrott.
Er habe versucht, die Menschen mit ihrer Bühne in einer Geschichte zu verbinden. So wird die Geschichte der Erde teilweise durch die Geschichten der Charaktere erzählt, die Raoul Schrott in seinem Buch auftreten lässt. Daher hat er die Form des Epos gewählt. Eine Mischform aus Prosa und Poesie, die gleichzeitig dem enzyklopädischen Anspruch genügt.
Zwischen Wissenschaft und Poesie
Was auch immer seine Motivation für dieses riesige Projekt war, sie muss stark gewesen – und vor allem geblieben – sein. Sieben Jahre lang ist er wortwörtlich durch die Weltgeschichte gereist, hat Schauplätze der Naturgeschichte besucht, recherchiert und mit Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen gesprochen.
Herausgekommen ist ein schweres Buch – physisch wie inhaltlich. Wie so vieles an diesem Abend umschreibt der Autor auch das selbstironisch:
Das Buch ist dick, ich weiß. Aber 14 Millionen Jahre – dünner ging´s nicht!
Mit diesem Buch und diesem Autor, der es „einfach wissen will“, wurde die elfte Ausgabe des Literaturfestivals lesen.hören in der Alten Feuerwache am vergangenen Donnerstagabend offiziell eröffnet. Die Programmleiterin Insa Wilke erklärte es in ihrer frischen und humorvollen Eröffnungsrede so:
Der Abend steht am Anfang des Festivals, weil die Frage im Zentrum steht „Wie wollen wir uns denn erzählen?“
Der Mensch als winziger Teil der Erde
Von seinem Bild des Menschen und dessen Beziehung zur Erde erzählte Raoul Schrott, indem er evolutionäre und geologische Prozesse beschrieb.
Durch seine Faszination, als er vom ältesten Gestein der Erde sprach – und seiner trockenen Art als er erzählte, wie er auf dem Weg dorthin fast in der kanadischen Wildnis hätte überwintern müssen und beinahe von einem Schwarzbären angegriffen worden wäre.
Für ihn haben, so der Autor, die Weltbilder von Wissenschaft, Religion und Alltag nur wenige Überschneidungen. Umso spannender war es, als er nach der Lesung in einer Diskussionsrunde auf „Wissenschaft“ und „Religion“ traf.
Drei verschiedene Welten sollten es sein
Die Wissenschaft verkörperte Petra Schwille, Direktorin am Max-Planck-Institut für Biochemie in München. Als Vertreter der Religion bei diesem Gipfeltreffen nahm Nikolaus Schneider, dem ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, teil. Anders als Raoul Schrott sprachen sie von vielen Gemeinsamkeiten zwischen ihren Disziplinen und dessen Weltepos.
Frau Schwille zeigte sich inspiriert von dem Buch und freute sich darüber, dass wissenschaftliche Erkenntnisse so einem Laien-Publikum näher gebracht werden. Herr Schneider zeigte sich ebenfalls beeindruckt:
Es ist eine große Leistung, das so zu beschreiben, dass man gerne zuhört – und es auch noch stimmt!
Widersprüche zu seinem eigenen Weltbild, so der Theologe, habe er nicht gefunden. Mehr betrachte er das Buch als eine neuere Version der biblischen Schöpfungsgeschichte – die habe zur Zeit ihrer Entstehung schließlich auch den damaligen Wissenstand wiedergegeben. Offensichtlich konnte er nicht nachvollziehen, warum der Autor Atheist ist.
Ausladende Diskussion über Glauben
Der widersprach dagegen pragmatisch, Gott bringe einfach keinen Erkenntnisgewinn in der Frage nach der Entstehung der Welt. Die Frage, was vor dem Urknall war, verlagere sich nur nach vorne: Wenn Gott den Anfang der Welt initiiert hat, woher kommt dann Gott? Und gab es etwas vor ihm? Herr Schrott tut Religion als eine zu einfache Erklärung der Welt ab.
Wie die Programmleiterin Insa Wilke sagte: Diese Diskussion hätte sich über alle folgenden Festivaltage noch fortführen lassen. Zumindest dem Schlusswort konnten alle Diskussionsteilnehmer zustimmen.
Die Biochemikerin Petra Schwille sagte, es reiche nicht sich darauf zu verlassen, dass alles im Internet wahr ist. Nur durch kritisches Lesen und Zuhören könne man sein Wissen erweitern.
Einer fehlte – Roger Willemsen
Dem zugestimmt hätte wohl auch eine Person, die an diesem Abend fehlte. Sowohl Sören Gerhold, der Geschäftsführer der Alten Feuerwache, als auch Programmleiterin Insa Wilke nahmen Bezug auf Roger Willemsen.
Der Autor und Moderator war bis zu seinem Tod am 07. Februar 2016 Schirmherr von lesen.hören gewesen und hatte am Programm mitgearbeitet. Sowohl Herr Gerhold als auch Frau Wilke erklärten, das Festival in seinem Sinne weiterführen zu wollen.
Roger Willemsen wurde in dem Programm des diesjährigen Festivals, „dem ersten bei dem man das Gefühl hat, dass er nicht mehr da ist“, wie es Insa Wilke ausdrückte, ein ganzer Abend gewidmet. Der ist bereits ausverkauft.
Das Literaturfestival lesen.hören 11 läuft noch bis zum 04. März. Dabei wird in der Alten Feuerwache, dem Atlantis Kino, dem Planetarium, der Jugendbibliothek Dalberghaus und in der Christuskirche ein Programm für Erwachsene und eines für Kinder und Jugendliche gezeigt.