Mannheim, 18. Juni 2015. (red/cb) Nach der Reaktion der Besucher zu urteilen, war das Stück „Afrika“ nicht leicht zu verstehen. Im Zuge der 18. Schillertage des Nationaltheaters, erlebte „Afrika“ am Dienstag seine deutsche Erstaufführung in der Kirche des Benjamin Franklin Villages in Mannheim. Mit einer guten Organisation konnte das Nationaltheater hierbei punkten, mit einer überzeugenden Darstellung leider nicht.
Von Carolin Beez
We are not being good. Please do not clap your hands.
Die Zuschauer sind verwirrt über diesen ersten und gleichzeitig letzten Satz der Vorstellung. Viele Fragen gehen ihnen in diesem Moment durch den Kopf. Ist das deren Ernst? Sollen wir nicht klatschen? Gehört das zum Stück, oder sind sie wirklich so unzufrieden mit ihrer Performance? Ist das Stück denn jetzt fertig, oder kommt noch was?
„Was ist los?,“ fragt eine ältere Frau ihren Mann, der neben ihr sitzt, nach einer kurzen Pause der Fassungslosigkeit im Publikum. „Er meinte, wir sollen nicht klatschen, das Stück ist zu Ende, glaube ich.“ Dann stehen die beiden als erste der rund 70 Zuschauer auf und laufen aus der Kirche.
Interessant und merkwürdig
Einige aus den ersten beiden Reihen beginnen dann trotzdem noch zu applaudieren, doch die anderen machen nicht mit. Nachdem allen klar ist, dass die Show zu Ende ist, stehen sie nach und nach auf und gehen hinaus. Was der südafrikanische Regisseur Sello Pesa mit dieser Tanzperformance ausdrücken wollte, bleibt vermutlich allen Zuschauern verschlossen.
Zwischendurch hatte ich mal ganz kurz das Gefühl, dass ich etwas verstanden hätte. Allerdings war das dann auch ganz schnell wieder verflogen,
sagt einer der Zuschauer
Na das war ja mal (Pause) interessant.
sagt ein anderer, beim Hinauslaufen. Und interessant war die Vorführung der drei Schauspieler auf der Bühne tatsächlich. Interessant und irgendwie merkwürdig. Schon zu Beginn, ist man sich im Zuschauerraum nicht ganz sicher, ob die Vorstellung schon begonnen hat oder ob die drei Personen auf der Bühne noch auf etwas warten.
Verwirrendes Ende, verwirrender Anfang
Hinter einem Tisch sitzen sie still nebeneinander auf der Bühne. Alle drei sind groß, durchtrainiert und dunkelhäutig. Sie starren nach vorne. Einer putzt sich seine Brille. Ein anderer trinkt aus einer Flasche Wasser. Die Zeit vergeht und die drei Darsteller sitzen da. Aus dem Zuschauerraum hört man hin und wieder ein Knarren der Kirchenbänke, ansonsten ist es völlig ruhig.
Einer der drei Schauspieler steht auf. Er beginnt zu tanzen. Fließende Bewegungen, die er nur mit dem Oberkörper und völlig geräuschlos ausführt. Nach und nach machen die anderen beiden mit. Alle drei bewegen sich im gleichen Bewegungsablauf und das eine ganze Weile.
Dann beginnen sie dazu zu stampfen. Einen simplen, eingängigen Rhythmus. Das tun sie dann wieder eine Weile. Dann sondert sich einer der drei ab, er trägt ein Hemd, auf dem Nelson Mandela abgebildet ist. Er beginnt sich zu drehen und wedelt mit kleinen Fähnchen, die auf dem Tisch liegen. Kleine südafrikanische Fähnchen.
Dann nehmen sich auch die anderen beiden Fähnchen. Der Ausreißer mit dem Nelson Mandela Hemd steckt sich die Fähnchen in den Mund. Erst eine, dann zwei – zum Schluss sind es fünf. Aber warum?
Skurril und einschüchternd
Immer weiter tanzt er durch die Gegend, rekelt sich am Boden, an Stühlen und kaut auf seinen Fähnchen herum. Die anderen beiden laufen weiter, rhythmisch stampfend über die Bühne und wedeln mit den Fähnchen. Alles in allem eine seltsame Situation, die sich über mehr als 20 Minuten hinzieht. Dann verändert sich die Szenerie. Die drei sitzen auf Pastikstühlen vor der Bühne, auf Höhe der Zuschauer. Und erst jetzt beginnt der skurrilste Teil der Vorstellung.
Musik wird abgespielt. Aber in einer dermaßen schlechten Qualität, dass kaum etwas zu verstehen ist. Eine einzelne Stimmte singt etwas, dann setzt ein Chor ein – durch das starke Rauschen der Lautsprecher klingt das aber sehr diffus und schlichtweg unverständlich. Einer der drei beginnt wieder wie am Anfang zu tanzen, der nächste beginnt wie ein Affe zu schreien, der Nächste hat einen Karton voll mit Bananen vor sich und beginnt eine nach der anderen zu essen. Dabei wirken alle todernst. Ihre Blicke sind finster. Einschüchternd.
Affentheater
Der Mann mit den Bananen klettert er über die Kirchenbänke, zwischen den Besuchern hindurch. Gelegentlich lehnt er sich über zwei Sitzreihen hinweg und macht auf die Lehnen gestützt Liegestützen direkt neben den Köpfen der Zuschauer – die sind sichtlich überrascht. Währenddessen isst er immer weiter Bananen, die Schalen wirft er achtlos auf den Boden. Dann isst er die Bananen nicht mehr, sondern bewirft seinen Spielkollegen, der unterweil auch über die Kirchenbänke klettert und dabei weiter Affengeräusche nachahmt.
Im wahrsten Sinne also ein „Affentheater“ das hier veranstaltet wird. Aber zu welchem Zweck? Das versteht man leider nicht. Einige der Zuschauer beginnen unsicher zu lachen. Aber sie sind sich nicht sicher, ob es lustig sein soll. Manche setzen sich auf die Sitzlehnen der Bänke, um mehr zu sehen – vermutlich suchen sie, das, was es nicht gab: Einen Hinweis darauf, was das soll. Andere schütteln nur den Kopf.
Kunst oder Schrott?
Kaum einer der Gäste scheint zu wissen, was man mit dieser Darbietung anfangen soll. Die Fragen in ihren Köpfen: Ist das noch Kunst? Oder einfach nur Schrott? Hat man irgendetwas nicht verstanden oder gab es gar nichts zu verstehen? Ist das Kultur in Südafrika? Weiß ich vielleicht einfach zu wenig über andere Kulturen, um das hier zu verstehen? Werden hier in Wahrheit die Zuschauer parodiert, die keine Ahnung über die Wirklichkeit in Afrika haben, aber ihre Kultur verstehen wollen?
Antworten gibt es keine. Die Zuschauer werden alleine gelassen. In der Ankündigung zur Veranstaltung heißt es, die Aufführung solle den Rassismus zwischen afrikanischen Stammensvölkern thematisieren – davon ist aber überhaupt nichts zu spüren. Es gibt keine Pointe oder Erklärung, die dieses Affentheater auflösen würde, es gibt keine erkennbare Botschaft. Und dann dieser vernichtende Abschlussatz – etwas freier übersetzt:
Wir sind schlecht. Bitte gebt uns keinen Applaus, sondern geht.
Das Publikum ist verwirrt. In der Ankündigung zu den Schillertagen hieß es, das Stück befasse sich mit Fragen wie: „Was bedeutet es, afrikanischer Herkunft zu sein?“ oder „Warum konzentriert sich Fremdenfeindlichkeit in Südafrika auf andere afrikanische Nationalitäten und erstreckt sich in der Regel nicht auf aus Europa, Amerika oder Asien?“
Vielleicht braucht deutlich mehr Intelligenz oder interkulturelle Bildung um diesem affigen Ausdruckstanz etwas abgewinnen zu können. Aber die meisten Zuschauer werden keine Antworten gefunden haben – und erst recht nicht durch diese Aufführung. In dem Programmheft heißt es außerdem:
„Afrika“ richtet seinen Blick auf Stereotypen und deckt die Intoleranz auf, die Gruppen von Menschen anderen Gruppen von Menschen gegenüber hegen.
Das klingt nach einem interessanten Ansatz – wird aber durch das Stück an sich nicht deutlich. Heißt das vielleicht, dass das Stück die Zuschauer – als die eine Menschengruppe – darauf aufmerksam machen will, welche Stereotypen sie gegenüber den Südafrikanern – als die zweite Menschengruppe – haben? Soll man seine Toleranz einer Performance gegenüber ausdrücken, auch wenn man sie nicht versteht? Wahrscheinlich ist Toleranz ein gutes Stichwort bei diesem Tanztheater von Sello Pesa.
Das Problem dabei ist aber, dass man als Zuschauer, der sich das Programmheft nicht durchgelesen hat, gar nicht weiß, dass es hier um Rassismus, Intoleranz und Diskriminierung geht. Soll das Stück jetzt aussagen, dass man einfach grundsätzlich tolerant sein soll, gegenüber anderen Kulturen? Dass man alles, was als Kunst gedacht ist, auch als Kunst betrachten soll?
Fest steht: Eindeutige Botschaften gibt es nicht. Die Aussage fehlt. Und sie wird auch nach langem Nachdenken und Analysieren nicht klar. Warum sollte man als Besucher der Schillertage also Eintritt für diese Vorstellung bezahlen, wenn man im Nachhinein so in der Luft hängen gelassen wird?
Gut gelungen ist wenigstens die Organisation hinter der Veranstaltung. Von einem Infopoint am Eingang des Banjamin Franklin Villages fuhr ein Shuttle-Bus zum Veranstaltungsort, einer ehemaligen Kirche der US-Bürger, die hier bis 2012 gewohnt haben. Das verlief ohne Probleme. Mit offenem Verdeck wurden die Besucher dann über das Gelände gefahren und bekamen Informationen zu dem „Stadtteil der Zukunft“ der flächenmäßig so groß ist, wie die gesamte Mannheimer Innenstadt.