Mannheim, 18. Juli 2016. (red/cr) Eine Sängerin ohne Gesang, Zitate aus einem anderen Stück und reichlich Kunstblut – mit der Premiere der Mozart-Oper „Idomeneo“ wurde der Mozartsommer am Nationaltheater eröffnet. Die Inszenierung von Ingo Kerkhof stellt dabei das Werk infrage – ist das wirklich so gewesen? Dafür tritt sogar eine zusätzliche Darstellerin auf. Außerdem wurde eine Klanginstallation des Videokünstlers Peter Missotten präsentiert.
Idomeneo sei nicht länger König, es sei Idamante und Ilia sei dessen Gattin!
Was für ein glücklicher Ausgang. Das Dilemma wird aufgelöst. Ein Happy End für den griechischen Mythos.
So klingt es zumindest in der Musik Mozarts. Was sich allerdings auf der Bühne des Nationaltheaters abspielt, spricht eine ganz andere Sprache. Ingo Kerkhofs Inszenierung scheint dem Text und der Musik der Oper stellenweise geradezu zu widersprechen.
Alle liegen reglos am Boden, nur König Idomeneo starrt mit einem Anflug von Wahnsinn auf das Meer. Das Meer, das ihn zu einem schrecklichen Versprechen brachte. Mit dem Rücken zum Publikum. Vor ihm ein Wandgemälde, das je nach Beleuchtung Himmel oder Meer zu sein scheint.
Der Palast, in dem sich die Figuren bewegen, ist heruntergekommen. Die Anordnung der Möbel wirkt chaotisch.
Mit großen Schritten in den Abgrund?
So nimmt das düstere Bühnenbild das tragische Ende fast schon vorweg. Zumindest spiegelt es Idomeneos Inneres. Welchen Ausweg kann es für ihn noch geben?
Denn Idomeneo, der König von Kreta, fährt nach zehn Jahren trojanischen Krieges mit dem Schiff gen Heimat. Jedoch kommt ein Sturm auf, der die Flotte zu versenken droht. In Todesangst verspricht Idomeneo dem Meeresgott Neptun den ersten Menschen als Opfer, dem er an Land begegnet.
Wie könnte es in einer griechischen Erzählung anders sein – der erste Mensch, dem er begegnet, ist sein eigener Sohn Idamante. In Entsetzen weist Idomeneo ihn von sich.
Idamante versteht die Zurückweisung nicht und ist gekränkt.
König ohne Krone
Um die schreckliche Opferung abzuwenden, schickt Idomeneo seinen Sohn fort. Mitgehen soll Elektra, die Tochter des Königs von Argos. Die schwebt ob dieser Entscheidung im siebten Himmel, sie ist nämlich in Idamante und damit ihre Chance auf den kretischen Thron verliebt.
Idamante jedoch liebt Ilia. Die liebt ihn zwar eigentlich auch. Doch sie ist die Prinzessin von Troja und empfindet es als Pflicht, alle Kreter zu hassen. Schließlich haben sie ihre Familie ermordet und Troja geschlagen.
Idomeneo, Ilia und Elektra tragen also ihre ganz eigenen Kämpfe aus. Das verdeutlichen auch die Kostüme. Die beiden Damen tragen militärisch streng anmutende Mäntel.
Der König Idomeneo trägt einen riesigen Mantel mit Pelzbesatz, der im Verlaufe des Stücks jedoch oft den Besitzer wechselt.
Einsamer König
Oft scheint es, als würde er damit seine Autorität abgeben. Ohne das majestätische Kostüm trägt er schlicht Hemd und Hose, die denen seines Sohnes, ja fast denen der einfachen Trojaner gleichen.
Er irrt auf der Bühne umher wie ein Geist. Als etwa Ilia ihm eine emotionale Arie widmet, auf die man eine Antwort erwarten würde, geht er einfach von der Bühne ab.
Idomeneo ist allein. Am Anfang wie am Ende.
Allerdings zumindest äußerlich nicht ganz. Es gibt jemanden, der außerhalb der Geschichte existiert. Sie erscheint als junge Frau. Wer oder was sie ist, bleibt ungewiss.
Unbekannte ohne Rolle
Auf jeden Fall ist sie ein Fremdkörper. Während sich die Figuren der Oper getreu nach Mozart musikalisch ausdrücken, spricht sie. Dabei zitiert sie aus Roland Schimmelpfennings Theaterstück „Idomeneus“, in dem verschiedene Varianten der Geschichte erwogen werden.
Zum einen tritt sie erklärend auf. Zu Beginn etwa erläutert sie die Ausgangssituation. Zum anderen stiftet sie Verwirrung und reißt den Zuschauer aus der Handlung.
Nachdem etwa Idomeneo an den Strand gespült und dort von Idamante gefunden wird, sich beide aber zuerst nicht erkennen, bestreitet die Unbekannte diese Version.
So sei es nicht gewesen. Stattdessen erzählt sie von einer innigen Umarmung zur Begrüßung. Damit zeigt sie immer wieder: Man weiß nicht, wie es gewesen ist. Das Libretto ist nicht absolut. Geradezu als Rechtfertigung für die Widersprüche zur Musik, wie etwa das düstere Ende.
Ein bisschen Wahnsinn
Es gibt „Schockmomente“. Die liegen allerdings nicht in der chronologischen Folge der Handlung. So ersticht etwa Idomeneo seinen Sohn. In der Handlung stirbt dieser jedoch nicht und tritt nach dieser Szene wider lebendig auf.
Der König der Kreter wirkt in der Inszenierung Ingo Kerkhof stellenweise, als hätte er den Verstand verloren. So auch, als er das Wandgemälde im Hintergrund mit weißer Farbe übermalt. Ein spektakulärer Effekt, als die Farbe von künstlichem Regen abgewaschen wird.
An Kunstblut wird ebenfalls nicht gespart. Teilweise kommt dabei die Rolle der Unbekannten zum Tragen. Außerhalb der Handlung beschmiert sie Idomeneo mit Blut. Sie spielt mit Papierschiffchen, die die Bühne selbst zur unruhigen See werden lassen.
Äußere Zeichen der inneren Handlung
Mal stehen die Schiffchen auf dem Boden, mal werden sie umgeworfen, ein paar sogar verbrannt.
Das alles sind keine Taten innerhalb der Handlung, sondern der inneren Handlung. Eine weitere Ebene der Oper, wie sie Mozart geschrieben hat.
Zum Schluss zitiert die Unbekannte aus einem Brief von Wolfgang Amadeus Mozart an seinen Vater. Das weitet den Blick des Zuschauers von der Beziehung zwischen Idomeneo und Idamante auf die des Komponisten selbst zu seinem Vater.
Vom Publikum wurde die Opernpremiere zur Eröffnung des Mozartsommers begeistert aufgenommen. Weitere Vorstellungen sind am 18., 20. und 27. Juli geplant. Außerdem die Wiederaufnahme in der kommenden Spielzeit.
Bilder zu Mozarts Musik
Am Samstagabend der Aufführung wurde zudem die Klanginstallation mit dem Titel „Basta Vincesti“ eröffnet. Sie ist täglich im Unteren Foyer des Nationaltheaters zu erleben. Der Titel ist der der Arie, die für die Installation verwendet wurde: Die Konzertarie „Basta vincesti“ wurde 1778 von Wolfgang Amadeus Mozart in Mannheim komponiert.
Der Text dieser Arie stammt aus Metastasios Libretto Didone abbandonata. Darin überreicht Dido Aeneas ein Dokument, das es ihm ermöglicht, Karthago zu verlassen, und fleht ihn gleichzeitig an, der Liebe wegen zu bleiben.
Zu dieser Arie schuf der belgische Künstler Peter Missotten Videos. Die im Nationaltheater basiert hauptsächlich auf Gemälden, die Dido zeigen. In die Figuren der Bilder hinein wird das transparente Foto eines nackten Mannes ein- und wieder ausgeblendet. So verschwimmen die Grenzen zwischen Gemaltem und Foto.
Körper als Metronom der Zeit
Zusätzlich werden auf eine unregelmäßige schwarze Oberfläche Schatten und Licht projiziert. Dadurch scheint es, als würde ein Körper schwerelos durch das sich bewegende Wasser treiben.
Beide Teile der Installation wirken auf eine faszinierende Art beruhigend. Aber auch irritierend. Auge und Hirn sind Bewegungen mit einer Richtung gewöhnt – kein Hin- und Hertreiben ohne erkennbaren Grund oder ständiges Auftauchen und Verschwinden.
„Den Körper als Metronom der Zeit“ habe man darstellen wollen, so Herr Missotten bei seiner Begrüßung. Eines seiner Videos war bereits im Nationaltheater zu sehen, in der Oper „Der Golem“. Eine zweite Installation befindet sich im Schwetzinger Schlosspark in der Grotte unter dem Apollotempel .