Mannheim, 18. Dezember 2015. (red/ms) Ab 2019 wird es richtig eng mit dem Haushalt für Mannheim – noch leistet man sich teure Ausgaben und reicht Anträge ohne Gegenfinanzierung ein. Der Countdown läuft – dann wird gestrichen werden müssen. Teils knallhart.
Von Minh Schredle
Haushalt ist Schwarzbrot. Für die meisten Menschen gibt es deutlich angenehmere Betätigungen, als sich stundenlang durch zähe Zahlenwerke zu kauen oder sich durch staubtrockene Analysen zu quälen. Es lohnt sich trotzdem. Es ist sogar notwendig, wenn man mitreden will – und wer in welcher Form auch immer gestalten will, muss wissen, wie es um die Finanzierungsmöglichkeiten steht. Denn auch die prächtigsten Einfälle bleiben bloß Luftschlösser, wenn es kein Geld gibt, sie zu verwirklichen.
Haushalt ist Ungewissheit. Plan und Realität können weit von einander abweichen. Niemand weiß, wie sich kommunale Einnahmen und Ausgaben über ein Jahr hinweg entwickeln. Es gibt zwar Prognosen, und oft sind diese sehr fundiert – dann treten aber Ereignisse ein, die niemand hat vorhersehen können und alle Planungen sind futsch.
Haushalt ist Kontroverse: Es geht um Verteilungskämpfe. Wofür kann wie viel Geld aufgewendet werden? An welchen Stellen kann man sinnvoll sparen? An welchen nicht? Das sind die Kernfragen jeder politischen Debatte – sie gipfeln in den Haushaltsberatungen. Und natürlich wollen die gewählten Volksvertreter ihr Klientel zufriedenstellen. Nur fehlen meist die Mittel, um es allen recht zu machen.
Mannheim ist in einer misslichen Lage
Die Stadt Mannheim ist aktuell in einer misslichen Lage. Der Haushaltsplan für 2016/2017 gibt zwar oberflächlich betrachtet wenig Anlass zur Sorge – mittelfristig wird es allerdings zu massiven Streichungen und Einsparungen kommen müssen. Und das wird richtig schmerzhaft. Noch wird das große Sparen verschoben. Spätestens ab 2018 führt jedoch kein Weg mehr daran vorbei.
Zunächst ein Blick auf den Haushaltsplan, der vergangenen Dienstag mit großer Mehrheit im Mannheimer Gemeinderat beschlossen wurde: In den kommenden beiden Jahren belaufen sich Einnahmen und Ausgaben auf jeweils knapp 1,2 Milliarden Euro.
Nach Abzug der laufenden Verwaltungskosten – etwa der Bezahlung städtischer Mitarbeiter oder Zuschüsse für Eigenbetriebe – verbleiben insgesamt 200 Millionen Euro, die bis Ende 2017 investiert werden sollen. Davon fließen fast 40 Millionen Euro in die Sanierung und Bestandspflege der städtischen Schulen und knapp 33,5 Millionen Euro in die Erneuerung von Straßen und Infrastruktur.
Hohe Millionenbeträge für Sanierungen benötigt
Durch diese nachhaltigen Investitionen soll die Zukunftsfähigkeit der Stadt gewährleistet werden. Und es ist wichtig, diese Arbeiten anzugehen, denn Mannheim steht vor einem massiven Sanierungsstau: Neben Schulen und Straßen gibt es insbesondere bei den Bädern und städtischen Verwaltungsgebäuden einen Erneuerungsbedarf im mehrstelligem Millionenbereich. Daneben stehen einzelne Großprojekte an, für die ebenfalls gewaltige Summen zu veranschlagen sind – etwa die Sanierung des Nationaltheaters für voraussichtlich mindestens 80 Millionen Euro.
Das wird die Stadt in Finanzierungsnot bringen. Erschwerend kommt hinzu, dass nach den Prognosen der Kämmerei immer weniger Geld für freie Investitionen zur Verfügung stehen wird. Der Anteil der laufenden Kosten nimmt seit Jahren kontinuierlich zu. Zwar steigen die Einnahmen der Stadt – doch die Ausgaben steigen noch schneller. Das geht vielleicht noch ein paar Jahre gut. Aber leider keine Ewigkeit.
Einsparung von 72 Millionen Euro
Um verstehen zu können, wodurch die strukturellen Defizite in den Stadtfinanzen kommen, muss man deutlich tiefer in die Materie einsteigen und sich mit den Entwicklungen der vergangenen Jahre oder sogar Jahrzehnte befassen. Gleichzeitig reicht es nicht, für Zukunftspläne nur ein paar Monate vorauszuschauen; es braucht eine langfristige Strategie.
Das betonen auch Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz (SPD) und Erster Bürgermeister Christian Specht (CDU) schon heute immer wieder mit Nachdruck. Sogenannte Haushaltsstrukturprogramme sollen helfen. Der ambitionierte Plan: Die wiederkehrenden Ausgaben der Stadt strukturell entschlanken. Dabei geht es nicht um Peanuts – sondern um 72 Millionen Euro von heute bis 2019.
Noch ist unklar, wo der Rotstift genau angesetzt wird – so gut wie sicher ist dagegen schon jetzt, dass die Stadt sich bei ihren freiwilligen Leistungen deutlich einschränken werden muss. Das könnte beispielsweise Sport und Freizeit betreffen, Bäder schließen oder das Kulturaufgebot massiv zurückfahren. Darüber wird heute noch nicht offen geredet. Doch die Diskussionen über „Wohlfahrtskosten“ werden unausweichlich sein.
Rücklage ist fast aufgebraucht
Gemeinden und Städte haben nur begrenzte Möglichkeiten, ihre Investitionen zu finanzieren. Geld kommt oft als Zuschuss von Bund, Land oder EU – das ist aber meistens an konkrete Projekte gebunden und die Einflussnahme der Kommune auf die Höhe der Zuschüsse ist sehr beschränkt. Neue Projekte können über Kredite bezahlt werden. In Mannheim ist das gegenwärtig keine Option, weil 2008 ein städtisches Neuverschuldungsverbot beschlossen wurde.
Investitionen können auch durch Entnahmen aus der Rücklage, also den kommunalen Ersparnissen, finanziert werden – nur sind die in Mannheim schon jetzt gering und bis zum Ende 2017 auf das rechtlich zulässige Minimum zusammengeschrumpft (etwa 10,7 Millionen Euro – die 9.000-Einwohner-Gemeinde llvesheim wird bis zum Ende des Jahres rund 15 Millionen Euro angespart haben). Lange wird sich Mannheim also nicht mehr an den Rücklagen bedienen können.
Kaum noch Tafelsilber im Topf
Eine weitere Option an Geld zu kommen, ist es, Vermögen zu veräußern – das ist allerdings ein Schritt, den Stadtplaner und Fachverwaltung sehr ungern gehen, denn es nimmt Gestaltungsfreiräume. Die Stadt hat ohnehin kaum noch Grundstücke, die sie verkaufen könnte. Erster Bürgermeister Christian Specht sagt dazu:
Dieser Topf fällt eigentlich aus.
Uneigentlich würden hier noch Milliardenbeträge liquide gemacht werden können – das will aber niemand verantworten. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft besitzt fast 20.000 Wohneinheiten. In der Kunsthalle werden Werke ausgestellt, die für dreistellige Millionenbeträge verkauft werden könnten.
Als ultima ratio stünden diese Optionen offen – diesen Schritt will aber eigentlich niemand gehen. Zumal auch durch Verkäufe, die hohe Beträge einbringen, keine strukturellen Verbesserungen erzeugt werden. Ein paar Jahre sind die Kassen voll – dann geht es wieder bergab. Ein Beispiel: 2007 hat Mannheim 16,1 Prozent der MVV-Aktien für gut 300 Millionen Euro verkauft. Davon ist heute nichts mehr übrig.
Fixe Kosten fressen 90 Prozent
Im Grunde bleibt damit nur ein Konzept für die Zukunft: Die laufenden Kosten reduzieren, damit mehr Geld für freie Investitionen übrig bleibt. Das klingt in der Theorie sehr einfach. In der Praxis ist es eine Herkulesaufgabe. Allein für die Personalkosten der Stadt Mannheim und den Sozialaufwand werden etwa 50 Prozent des Gesamtbudgets ausgegeben. 2014 waren es zusammengerechnet etwa 551 Millionen Euro. Und allein bis 2019 werden sich der Betrag auf voraussichtlich 643,7 Millionen Euro steigern. Das liegt einerseits an Tarifverhandlungen und andererseits an einer zunehmenden Fülle von Pflichtaufgaben, die Bund und Land den Kommunen zuweisen.
Die Einsparpotenziale sind hier eher gering. Städtische Angestellte können nicht einfach vor die Tür gesetzt werden. Jede zusätzliche Personalstelle verursacht daher auch langfristig Kosten. Bürgermeister Specht sagt dazu:
Weitere Personalausweitungen sind vor diesem Hintergrund sehr kritisch zu prüfen.
Im Haushalt für 2016/2017 ist auf Antrag der Fraktionen dennoch Geld für sechs weitere Stellen beim Kommunalen Ordnungsdienst (KOD) und vier zusätzliche Politessen eingeplant. Begründet wird das durch die Sicherheitslage, die viele Mannheimer ängstige.
Nun überwachen Politessen und KOD aber in erster Linie den ruhenden Verkehr oder verhängen Bußgelder, wenn Fahrräder durch die Fußgängerzone fahren oder Kaugummis auf den Boden gespuckt werden. „Echte“ Kriminalität wird durch sie nicht bekämpft, dazu haben sie auch gar nicht die Befugnisse – das ist Hoheitsaufgabe der Polizei.
Der KOD hilft vielleicht durch das Auftreten in Uniformen das subjektive Sicherheitsempfinden mancher zu verbessern. Verbrechen werden dadurch aber nicht bekämpft. Im Gegenteil: Es wird eher eine Sicherheit vorgegaukelt, die gar nicht existiert. Wie lang sich der Gemeinderat solche Schaufensterpolitik wohl noch leisten können wird?
Sechs Millionen Euro ohne Gegenfinanzierung
Allgemein waren die Bemühungen der Stadträte, größtmöglich zu sparen, dieses Jahr noch sehr überschaubar – vielleicht liegt das an den bevorstehenden Landtagswahlen, vor denen niemand vergrault werden soll. Doch dieses Spiel ist nicht ganz ungefährlich. Bürgermeister Specht hatte in einer Rede vom Oktober noch ausdrücklich betont:
Aufgrund der schon jetzt bestehenden Risiken wird deutlich, dass jede Verschlechterung während des Haushaltsvollzugs, der keine echte Deckung zu Grunde liegt, kategorisch abzulehnen ist.
Die Entscheidungsgewalt liegt allerdings beim Gemeinderat – und der hat beschlossen, noch einige Anträge die Mehrkosten ohne Gegenfinanzierung verursachen in den Haushalt mit aufzunehmen. Das verursacht einen Betrag von sechs Millionen Euro, für den man heute eigentlich kein Geld hat, und der in der Zukunft ausgeglichen werden soll, indem man dann eben noch mehr spart.
Lasten aufgeschoben
Auch wenn die Fraktionen es als Erfolge darstellen: Genau genommen wurde nichts gewonnen, sondern nur Lasten aufgeschoben. Oder anders gesagt: Man leistet sich heute etwas, für das man in zwei Jahren mit etwas anderem bezahlen muss. Vielleicht will heute niemand als „Buhmann“ da stehen. Natürlich wird es die Bürger enttäuschen, wenn man ihnen sagt:
Tut uns leid, wir würden wirklich gerne… Aber wir können uns das einfach nicht mehr leisten.
Aber das ist die Realität. Auch wenn es nach Phrasendrescherei klingt: Mannheim lebt aktuell über seinen Verhältnissen. Bis 2019 sollen strukturell 72 Millionen Euro eingespart werden. Schon früher hat es Haushaltsstrukturprogramme (HSP) gegeben. Aber nicht ansatzweise in dieser Dimension. Und schon beim HSP II, das erst vor wenigen Tagen beschlossen wurde, gab es große Uneinigkeit darüber, was „unverzichtbar“ ist. Statt fünf Millionen Euro wurden nur etwa drei Millionen Euro eingespart. Und die Diskussionen im Vorfeld waren zäh – sich auf den 24-fachen Betrag zu einigen, wird richtig, richtig schmerzhaft.
Ab 2019 wird es richtig knapp
Wohlgemerkt: Die Einsparung dieser 72 Millionen Euro wird seitens der Kämmerei für die mittelfristige Finanzplanung schon fest vorausgesetzt. Ohne sie werde es laut Bürgermeister gar nicht mehr möglich sein, das angepeilte Investitionsvolumen von 80 bis 100 Millionen Euro im Jahr auch nur ansatzweise zu erreichen.
Stattdessen könne man 2019 voraussichtlich ohne Sparprogramm nicht einmal mehr 50 Millionen Euro investieren. Das ist in etwa die Summe, die allein für eine Sanierung des Herschelbads veranschlagt wird – nur gibt es eben noch eine Menge andere Projekte, um die die Stadt sich zu kümmern hat.
Ein paar Projekte werden nicht mehr durch die Stadt selbst, sondern durch die GBG finanziert. So müssen im Haushalt zunächst keine 17 Millionen Euro für das Stadtarchiv im Ochsenpferchbunker und keine 70 Millionen Euro für den Neubau eines Technischen Rathauses im Glücksteinquartier einplanen. So entstehen aber jährliche Mieten in Höhe von knapp einer Million Euro für das Stadtarchiv und bis zu vier Millionen Euro für das Technische Rathaus – wieder laufende Kosten, die man ja eigentlich tunlichst reduzieren will.
Kein Sparthema darf tabu sein
Bis jetzt genießen ein paar Punkte in der politischen Debatte so etwas wie eine „erhabene Unantastbarkeit“ – Paradebeispiel Nationaltheater: Sowohl Sanierung als auch Betrieb werden als völlig selbstverständlich angesehen. Trotz Eintrittspreisen von teils 50 Euro pro Karte beläuft sich der jährliche (!) Zuschuss seitens der Stadt auf knapp 34 Millionen Euro. Da muss die Frage zumindest legitim sein, ob Mannheim sich ein städtisches Theater in dieser Größenordnung überhaupt noch leisten kann. Zumal eine Sanierung für mindestens 80 Millionen Euro ansteht.
Das ist nur ein Beispiel, für etwas, das derzeit gar nicht erst debattiert wird. Aber bei einem Sparvolumen von über 70 Millionen Euro in den bestehenden Strukturen darf kein Thema heilig sein – so sehr es auch schmerzen mag, überhaupt erst darüber nachzudenken. In seiner Haushaltsrede sagte Bürgermeister Specht:
Erfolgreiche Haushaltskonsolidierung bedeutet ein Mindestmaß ehrlichen und konstruktiven Zusammenwirkens aller beteiligten Akteure, wozu neben der Politik und der Verwaltung auch die Bürgerinnen und Bürger zählen. Es muss uns gelingen, die Problematik offen zu kommunizieren, ohne dass die üblichen Abwehrmechanismen und Parteipolitisierung greifen.
Konstruktive Zusammenarbeit statt politischem Geplänkel benötigt
Für ideologisches Geplänkel und parteipolitisches Theater ist also genau überhaupt kein Raum (abgesehen davon, dass das ohnehin niemand mehr hören will). Es braucht konstruktive Zusammenarbeit, klare Vermittlung und größtmögliche Transparenz über die Prioritäten in der Projektfinanzierung – nur so kann der Frust gering gehalten werden: wenn der Bevölkerung nachvollziehbar aufgezeigt wird, warum was gestrichen werden muss.
Die Schwächen des Haushalts weiterhin zu kaschieren und Probleme zu vertagen, bezahlt keine offenen Rechnungen, sondern wird langfristig für brutale Zinsen sorgen und bei den Bürgern jede Menge Unverständnis verursachen.
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