Mannheim, 18. März 2014. (red/ld) Aktualisiert. Mit Miethai, Kunst und Breakdance protestierten rund 30 Neckarstädter Bürger/innen beim Haifischfest gegen die Gentrifizierung in ihrem Viertel. Die Anfänge seien schon zu sehen, erzählen sie. Sie befürchten, dass sie in den kommenden Jahren durch Mietsteigerungen verdrängt werden könnten.
Von Lydia Dartsch
Der Miethai steht bei Walter als Einladung vor der Tür seines Ateliers in der Kobellstraße 20. Der freischaffende Künstler und Pensionär hat zum Haifischfest eingeladen. Die Gäste bringen Kartoffelsalate mit. Andere kommen mit einem Sixpack Bier oder einer Flasche Wein. Dazu brät Walter Fischstäbchen – “vom Hai. Schon klar.
“Ich bin Betroffener”, sagt Walter. Erst vor kurzem ist er Rentner geworden. Er lebt seit Jahren in dem Atelier und schon immer in der Neckarstadt. Hier ist er aufgewachsen. Hier hat er seine Kinder großgezogen. Hier ist er alt geworden. Aus dem Atelier ausziehen müsse er nicht, sagt er. Seine Vermieter machten das zum Glück noch mit.
Seit neun Monaten kein Tageslicht
Seine 83-jährige Freundin Ellen aus dem Haus gegenüber wollte dort in ihrer Wohnung sterben, sagt er. Doch dann habe sie es in dem Haus nicht mehr ausgehalten. Gestern sei sie ins Altersheim umgezogen:
Sie kam zu mir und hat geheult.
Denn das Haus, in dem sie noch vor kurzem gewohnt hat, soll saniert werden. Oder es wird saniert. Genau wisse man das nicht. Seit neun Monaten ist es verborgen hinter einer Plastikplane. Seit dem 18. Juni 2013 ist das so, bestätigen mir Gäste aus der Nachbarschaft. Die Fassade sei renoviert worden, heißt es. Zu den Innenhöfen sollen Balkons gebaut werden. Was sonst daran gearbeitet werde, wisse er nicht, sagt Walter. Aber die Handwerker seien jeden Tag da.
“Können Sie sich vorstellen, was das für ein Krach ist?” fragt Walter. Zudem lebt man immer im Zwielicht der Plane. Seit neun Monaten kein Tageslicht. Das halte doch keiner aus, sagt Walter. Sechs von 12 Mietparteien seien bereits ausgezogen, sagt er. Das passe in das Kalkül des neuen Besitzers, vermutet er: Die Baustelle so lange in die Länge ziehen, bis auch der hartnäckigste Mieter ausgezogen ist.
Mannheims Prenzlauerberg?
Hinter der Sanierung vermutet er das Voranschreiten der Gentrifizierung in Mannheim. Also die Verdrängung der alteingesessenen Bürgerschaft durch Luxussanierungen und infolgedessen höherer Mieten und die Ansiedlung einer zahlungskräftigen Klientel. Beispiele gibt es viele in Deutschland: Frankfurt, Berlin und Hamburg gehören dazu.
Bisher galt die Neckarstadt als rundum günstig: Die Mieten in den Altbauwohnungen sind niedrig. Die Innenstadt ist nah. Doch so langsam zeichnet sich ein Wandel ab. Bereits fünf Häuser seien an einen Investor verkauft und würden derzeit saniert. Laut Karlheinz Paskuda, der für die Linke für den Mannheimer Gemeinderat kandidiert suchten zudem Immobilienhaie intensiv nach Eigentümeradressen und verteilten Werbezettel, in denen sie 10.000,- Euro für die Vermittlung von Häusern anbieten. “Wer diese Prozesse übersieht, handelt fahrlässig!”, sagt Herr Paskuda.
Seit zwei, drei Jahren deute sich dieser Wandel an, sagt Karlheinz Paskuda. Bereits früher seien schon Wohnungen in der Uhlandstrasse 17 kuxussaniert worden. Die Umwandlungen in der Kobellstraße 17, Verschaffeltstraße 5 und Eichendorffstraße 41 seien knapp 20 Jahre her. Vor etwa vier Jahren sei die Max-Joseph-Straße 13 luxussaniert worden. Von den alten Mietern wohne dort niemand mehr.
Vor etwa drei Jahren sei das Haus Ulhandstraße 19 dran gewesen. Dort war früher die gleichnamige Kneipe untergebracht. Gerade zögen neue Mieter ein. Jetzt laufe der Gentrifizierungsprozess in der Stamitzstraße 5 weiter und werde demnächst in der Clignestraße/Ecke Lenaustraße fortgeführt. Dass in der Kobellstraße 19/21 – das Haus hinter Planen, gegenüber von Walters Atelier – Luxussanierung stattfinden, glaube er aber nicht, sagt Herr Paskuda.
Trotzdem dürfe man die Entwicklungen nicht übersehen und müsse handeln. Denn die neuen Mieten könnten sich die bisherigen Bewohner nicht mehr leisten, sagt Walter. Doch vor allem diese – Studenten, Künstler, Alternative – machten den urbanen Charme des Viertels aus. Man müsse diese Verdrängung bereits am Anfang aufhalten, sagt Herr Paskuda. So könnte der Gemeinderat für die Neckarstadt-Ost einen Milieuschutz nach §172 BauGB verhängen. Doch dafür brauche es die nötigen Mehrheiten. Vor der Kommunalwahl am 25. Mai werde das aber nicht mehr passieren.