Rhein-Neckar/Mannheim, 18. Juni 2018. (red/kf) Seit einigen Wochen arbeitet Dr. Kerstin Finkelstein als freie Autorin für das Rheinneckarblog. Die vielgereiste und mehrsprachige Politologin wohnt in Berlin und ist Verkehrsexpertin. Vor kurzem war sie das erste Mal in der Region und hat sich von Mannheim, Heidelberg und der Bergstraße einen Eindruck verschafft, weil sie künftig aus der Ferne auch lokale und regionale Themen bearbeiten wird.
Von Dr. Kerstin Finkelstein
Vor einigen Wochen telefonierte ich mit einem Freund einer Freundin. Die schwärmte von dem Freund aus alten Tagen und meinte, der suche dringend Autoren. Ob das nichts für mich wäre? Der Freund heißt Hardy Prothmann, wir telefonierten und kurz darauf begann ich mich einzuarbeiten.
Nicht zu übersehen, dass ständig was übersehen wird
Ohne jemals in der Gegend gewesen zu sein, las ich die Polizeinachrichten der Region, produzierte daraus Kurzmeldungen für das Blog und lernte die Region von ihrer “besten Seite” kennen: Ich bekam den Eindruck, dass es kaum einem Autofahrer der Gegend gelang, ohne Unfall durch den Straßenverkehr zu kommen. Zumindest drehten sich etwa zwei Drittel der Meldungen um Pkw-Fahrer, die irgendetwas „übersehen“ hatten – vom Radfahrer über die rote Ampel bis zur Straßenbahn.
Ich war also vorgewarnt, als ich am 29. Mai erstmals am Mannheimer Hauptbahnhof ankam (schließlich soll man Menschen, mit denen man länger zusammenarbeiten möchte, mindestens einmal die Hand gegeben haben – und Städte, über die man schreiben möchte, mindestens einmal durchquert haben). Und war, kaum angekommen, schon beeindruckt: So viele Menschen, die durch den Bahnhof in Richtung ihrer jeweiligen Züge rennen, gibt es bei mir zu Hause nicht. Und mein zu Hause ist seit vielen Jahren Berlin, meine Jugend verbrachte ich in Schleswig-Holstein und über einige Jahre lebte ich in Argentinien.
Haupttadtthemen auf regionaler Ebene
Aus dem Bahnhof heraustretend, die nächste Überraschung: Entweder hat Mannheim keine Obdachlosen oder sie werden irgendwo versteckt. Hier in Berlin lebe ich im Zentrum, beliebte Touristenpunkte wie der Hauptbahnhof und das Bundeskanzleramt liegen an meiner Joggingstrecke.
Auf der anderen Seite leben unter jeder Brücke entlang der Spree, auf vielen Parkbänken und auch im Gestrüpp des Tiergartens Obdachlose. Vermutlich war ich nicht in den richtigen Ecken unterwegs, aber in Mannheim ist mir während der drei Tage keine einzige Obdachlosenzeitung zum Kauf angeboten worden und niemand hat unter meinem Fenster „Besame mucho“ auf der Trompete gespielt.
In den vergangenen Jahren hat die Gegend eine Scherenentwicklung durchgemacht. Auf der einen Seite steigen die Mieten erheblich, neue Protzbauten machen Brachen dicht und wo vorher Platz auf der Straße war, wird jetzt Stoßstange an Stoßstange geparkt. Wie mir Hardy Prothmann sagte, ist “Gentrifizierung” auch in Mannheim Thema. Die “Metropole” ist übrigens ungefähr so groß wie der Kiez Neukölln. Hardy Prothmann meint: “Mannheim ist der geilste Berliner Kiez außerhalb von Berlin.” Hat was.
Auf dem Bahnhofsvorplatz begegnete ich in der Touristeninformation einer freundlichen Dame, die für Haptiker wie mich noch echte Stadtpläne aus Papier bereithält – sogar wahlweise mit und ohne eingezeichnete Sehenswürdigkeiten. Ich lief gut gerüstet los und absolvierte in den kommenden drei Tagen knapp 20 Fußkilometer.
Wobei ich feststellen konnte, dass es die Mannheimer Bahnfahrer tendenziell eilig haben, die Radfahrer aber die Ruhe selbst sind. Zumindest begegneten mir während der ganzen Tour auf dem Gehweg nur zwei Radler, die auch noch langsam und mit Abstand fuhren (Zum Vergleich: Hier guckt man vor dem aus dem Haus treten stets nach rechts und links, ob niemand auf zwei Rädern angeschossen kommt).
Mehr noch: Auf dem Weg vom Hauptbahnhof zu den Rheinterrassen gibt es einen getrennten Fuß-/Radweg. Während ich dort entlang spazierte, liefen Fußgänger auf der Radseite. Anstatt sich mit stürmender Klingel zu nähern, wurde Ihnen ausgewichen! Obschon ich in Berlin alle Alltagswege (ja, auch im Regen und auch im Winter…) mit dem Rad absolviere, habe ich es in Mannheim – noch – nicht ausprobiert. Das mache ich das nächste Mal.
Immerhin bemerkte ich schon auf dem Weg zu meinem Zimmer in der Schwetzinger Vorstadt einige geradezu niedlich schmale Radspurattrappen, anschließend zeigte mir meine Zimmervermieterin ein von blutunterlaufenen Flecken übersätes Selfie, aufgenommen nach „dem letzten von drei Radunfällen“. Wenn ich das nächste Mal komme, werde ich als erstes mit einem passionierten Radler sprechen – vermutlich gibt es ein attraktives Schleichwegenetz abseits der als Radfahrerfalle fungierenden Straßenbahnschienen und der alles übersehenden Autofahrer.
Abwechslungsreiche Themenfelder
Was auch ohne Schleichen auffiel, sind die vergleichsweise wenigen Spielplätze. Von meiner Berliner Wohnung aus erreiche ich mit dem Nachwuchs innerhalb eines Fußkilometers elf Spielplätze. Was nur machen Mannheimer Kinder? Werden sie im Auto oder Bus zum Auslauf gefahren? Auf der Straße habe ich jedenfalls auch keines spielen gesehen.
Was auch fehlt, aber niemand vermissen dürfte, ist der Regierungssitz: In Berlin hat man sich angewöhnt, wegen jedem drittklassigen Staatsbesuch Straßen zu sperren und Hubschrauber kreisen zu lassen. Bei hohen Besuchen bleibt man am besten gleich ganz zu Hause. Während ich das hier schreibe, ist zum Beispiel gerade der israelische Ministerpräsident zu Gast. Bei seiner letzten Visite steckte eine Freundin von mir auf dem Weg zur Arbeit mehr als eine Stunde im Bus fest. Links die Siegessäule, rechts der Tiergarten. Dann öffnete der Busfahrer die Türen und ging weg. Vermutlich musste er mal. (Mein Vorschlag wäre ja, alle Staatsbesuche und Gipfeltreffen auf dem Flughafen Schönefeld abzuhalten. Sie wissen schon, dieses lehrstehende Gebäude, von dessen monatlichem Unterhalt alle Berliner Kindergartenplatzprobleme sofort gelöst wären. Für ein paar Regierungsflugzeuge müsste die Landebahn reichen, genug derzeit leerstehende Konferenzräume gibt es auch und ein paar Dutzend Polizisten könnten das ganze Areal schützen, schließlich sind rings herum nur Wiesen.)
Und sonst: Bin ich so viel Auto gefahren, wie in den letzten zwei Jahren zusammen nicht. Der Freund meiner Freundin (Hardy Prothmann) fuhr mich durch die Stadt, die Region, die Umgebung. Ich habe jetzt zumindest den Namen jedes Bürgermeisters des Einzugsgebietes mal gehört, etwas über die Haupttouristenattraktionen und größeren Bauprojekte erfahren und guten Gin Tonic getrunken. Einen Unfall hatten wir auch nicht, im Gegenteil waren die Touren ganz geruhsam und friedlich. Der rasende Reporter Prothmann beherrscht die Kunst des gemütlichen Rundfahrens.
Die Gegend ist sehr abwechslungsreich mit den, äh, “Großstädten” Mannheim und Heidelberg und der schönen Bergstraße. Themen gibt es zuhauf und sie sind häufig komplex – ich freu mich drauf.
Nur der Mannheimer Bahnhof hat es mir auch zum Abschied wieder angetan: Als ich wartend am Gleis stand, fuhr ein Hilfsfahrzeug der Bahn zwanzig Zentimeter an mir vorbei und überfuhr dabei den Tragegurt meiner Tasche. Den Abdruck nehme ich als Hinweis fürs nächste Mal mit: Bahnreisende haben in Mannheim Obacht zu geben!
Und künftig werde ich also lokale und regionale Themen für das Rheinneckarblog bearbeiten – meist von Berlin aus, wie so eine Art Korrespondentin. Und sicher werde ich auch Berliner Politik in die Region berichten, ich bin ja schließlich vor Ort. Wie das geht, lesen Sie in den kommenden Tagen mit einer Reihe von Artikeln zu Verkehrsthemen, insbesondere aus meinem Spezialgebiet Radverkehr. Besten Dank an Polizeidirektor Dieter Schäfer, der hatte sich ausführlich Zeit für mich genommen, um mir die Verkehrslage vor Ort zu erklären.