Mannheim, 18. Mai 2015. (red/ms) 30 Straftaten in weniger als acht Monaten – das ist die Bilanz von vier Heranwachsenden, die sich derzeit vor dem Landgericht verantworten müssen. In den Aussagen der Angeklagten lag ein wenig Reue. Doch der Stolz auf diese Taten überwog. Der 20-jährige Giole M. erzählt, wie es ihm bei Einbrüchen und Überfällen nie um Geld gegangen sei. Er habe “aus Lust und Laune” oder “Langeweile” heraus gehandelt. Trotz ihres jungen Alters sind die vier Angeklagten hochgradig kriminell.
Von Minh Schredle
Man kann nur mit dem Kopf schütteln, wenn man die Äußerungen des Angeklagten hört. Es ist wirklich beruhigend, dass es Polizei und Staatsanwaltschaft gelungen ist, ihn und seine drei kriminellen Kumpanen vor Gericht zu bringen – denn ansonsten hätten sie ihre Serie von zunehmend dramatischeren Straftaten vermutlich ungebrochen fortgeführt.
Der 20-jährige Giole M. gestand heute vor Gericht alle Tatvorwürfe – mit ein klein bisschen Reue und doch auch ein bisschen mehr Stolz. Er hat mit drei Freunden, die ebenfalls angeklagt sind, innerhalb von acht Monaten 30 Straftaten verübt: Angefangen bei Einbrüchen in Bäckereien, bei denen sie ein paar hundert Euro erbeutet haben, bis hin zum bewaffneten Raubüberfall und dem Diebstahl von Luxusautos.
Rebellische Zeiten…
Die Tatorte wählten die Angeklagten offenbar ziemlich willkürlich. Meistens hatten sie in ihren gestohlenen Autos einen Vorschlaghammer und einen Schraubenzieher dabei, später noch eine Brechstange. Man sei dann durch die Stadt gefahren und habe “geguckt, was sich so anbietet,” beschreibt Giole M. ihre “Abendgestaltung”. Er erzählt, wie er die Mitangeklagten “über Bekannte von Bekannten” kennen gelernt hat. Er sagt:
Kriminalität war die Basis unserer Freundschaft.
Schon bei ihrem ersten Zusammenkommen haben sie “nach kurzem Gerede über Banales” den Entschluss gefasst, gemeinsam Straftaten zu begehen – “Aktionen”, wie es der Angeklagte nennt. Es sei ihm eigentlich nie um das Geld gegangen, sagt er ganz offen. Die Verbrechen hätte er aus “Lust und Laune” oder “Langeweile” begangen:
Das waren diese rebellischen Zeiten.
Giole M. beschreibt, dass er einmal ein sehr gläubiger Mensch gewesen sei. Inzwischen habe er seinen Glauben verloren. In seiner Familie habe es immer Streit zwischen seinen Eltern gegeben. Seine Mutter sei dann nach Italien “geflüchtet”. Mit dem Vater gab es immer wieder Reibereien “wegen eigentlich unnötigem Zeug”. Schließlich geht es nicht mehr weiter – Giole kommt in ein Kinderheim.
“Wie ein großer Bruder”
In dem ältesten der Angeklagten, Leon B. – 28 Jahre alt, vorbestraft und Familienvater – habe Giole “so etwas wie einen großen Bruder” gesehen: Die beiden sind zusammen an den meisten der Verbrechen beteiligt und sind der kriminelle Motor der Bande: Leon B. “plante” die Aktionen, Giole war fast immer dabei. Die beiden anderen Angeklagten, Alian B. und Yannick S. standen meistens “nur” Schmiere und erscheinen nach den Schilderungen von Giole “eher Mitläufer” gewesen zu sein.
Einmal hatten Giole und Leon in einem Hotel übernachtet und mit 2-Euro-Münzen bezahlt. “Habt ihr einen Spielautomaten aufgebrochen”, habe man sie noch an der Rezeption gefragt – hatten sie wirklich. Als er davon erzählt, muss Giole grinsen – etwa so, wie wenn andere Teenager sich an eine gelungene Party zurückerinnern – “…die gute alte Zeit”.
Als Leon und Giole zusammen in einem gestohlenen Porsche Panamera unterwegs sind – keiner der vier Angeklagten hat einen Führerschein, aber “Leon fährt wirklich gut” – werden die beiden “ausgebremst”: Als ein Kombifahrer nicht sofort zur Seite weicht, als sie ihn mit “vielleicht 230 oder 240 Stundenkilometern” überholen wollen, wird Leon B. wütend. Er reicht Giole M. eine Schreckschusspistole, die sie bei einem Einbruch erbeutet haben.
Eine rührende Wiedervereinigung
Giole M. lehnt sich vom Beifahrersitz aus mit dem Oberkörper aus dem Fenster und zielt auf den Fahrer – der schildert später gegenüber der Polizei Todesangst. Giole M. will feuern. Aber die Pistole klemmt. “Das hätte übel ausgehen können,” sagte der 20-jährige vor Gericht. Der Oberstaatsanwalt Andreas Herrgen fragt, ob Giole M. eine Verletzung in Kauf nahm. Ohne zu zögern, antwortet dieser mit: “Ja”.
Die Vorsitzende Richterin Bettina Krenz fragt, wie man wegen einer solchen Bagatelle nur so überreagieren kann. Giole M. zuckt mit den Schultern:
Keine Ahnung – vielleicht waren wir auf Koks.
Giole M. und Leon B. haben zusammen einige “krumme Dinger abgezogen”. Giole glaubte, “einen Freund gefunden zu haben”. Doch es kommt zu Streit zwischen den beiden:
Ich hatte irgendwann den Eindruck, Leon geht es nur um das Geld und ihm ist es egal, mit wem er die Aktionen durchzieht.
Ein paar Wochen vergehen, ohne dass die beiden Kontakt zueinander haben. Dann treffen sie sich zufällig in einer Shisha-Bar. Sie vertragen sich, warten, bis die Bar schließt – und brechen dann in sie ein.
“Die Polizei hatte nie eine Chance – der Porsche war zu schnell”
Es folgt eine ganze Reihe von Straftaten. Die Gruppe bricht in Privathäuser und Geschäfte ein, stiehlt Autos, Schmuck, Elektronik und alles, was es an Bargeld zu holen gibt. Sie sind in Mannheim, Heddesheim, Homburg und Frankfurt “tätig”. Giole M. erzählt stolz über ihre Beute: “Wir haben immer gerecht geteilt.” Entweder habe jeder den gleichen Anteil erhalten oder sie gaben das Geld direkt zusammen aus – meistens an Spielautomaten oder für Kokain.
Obwohl der Porsche Panamera an Auffälligkeit wohl kaum zu überbieten sein dürfte, benutzten sie ihn lange Zeit als Fluchtfahrzeug für ihre Verbrechen. “Eine Tankfüllung kostete etwa 130 Euro,” sagt Giole: “Wir haben aber nie bezahlt.” Stattdessen sei man nach dem Tanken “einfach losgefahren.” Es habe “einige Verfolgungsjagden” mit der Polzei gegeben, sagt er:
Aber die hatten nie eine Chance. Der Porsche war einfach zu schnell für sie. Leon ist ihnen immer entkommen.
Es gehört ein bemerkenswerter Mangel an Reflektion dazu, so etwas auf der Anklagebank auszusagen.
Dem Vater etwas beweisen?
Die vermutlich dramatischste Straftat begeht Giole M. ohne sein großes Vorbild Leon B.: Er schneidet ein paar Löcher in eine Mütze – “ich habe sie zur Maske gemacht” – nimmt sich einen Vorschlaghammer und überfällt ein Kiosk in der Schwetzinger Vorstadt. Als die Verkäuferin sich zuerst weigert, das Bargeld herauszugeben, zertrümmert der Angeklagte Teile der Einrichtung.
Auch bei diesem Verbrechen ging es ihm nach eigener Aussage nicht um das Geld – Richterin Krenz fragt ihn, wie in aller Welt er dann auf die Idee gekommen ist, einen Raubüberfall zu begehen. Der Angeklagte antwortet:
Das weiß ich auch nicht. Vielleicht wollte ich meinem Vater etwas beweisen.
So eine Aussage lässt tief blicken: Wie viele Instanzen mussten auf ganzer Ebene versagen, damit die Angeklagten in so jungen Jahren zu dermaßen verkommenen Verbrechern herangewachsen sind? Und in was für einer diffusen und kruden Gedankenwelt leben die vier jetzt?
Alain B. kommt zu Beginn der Verhandlung hereinstolziert, posiert vor dem Publikum, in dem ein paar junge Frauen sitzen; er reißt sich seine Armani-Sportjacke mit beiden Händen vom Körper, wirft den Kopf zurück und streckt die Brust raus. Leon B. hat Familie und Kinder – aber kaum Zeit für sie, “weil sie die ganze Zeit mit Einbrüchen beschäftigt waren”, sagte Giole M..
Schuld scheint schon bewiesen
Die Vorsitzende Richterin Bettina Krenz legte während der Verhandlung eine bemerkenswerte Professionalität an den Tag: Teilweise sind die Äußerungen der Angeklagten dermaßen absurd und grotesk, dass sogar Verteidiger und Staatsanwaltschaft kurz prusten müssen. Teils fassen sie sich ungläubig an den Kopf. Frau Krenz blieb dagegen durchgehend sachlich und nahm die Aussagen der Angeklagten so ernst wie nur möglich.
Giole M. war zum Zeitpunkt der Tatbegehungen, wie auch Alian B. und Yannick S., noch minderjährig und wird demnach nach dem Jugendstrafrecht verurteilt werden – was in Anbetracht ihrer “geistigen Reife” vermutlich auch angebracht ist. Der vorbestrafte Leon B. wird dagegen wie ein Erwachsener bestraft. “Verdient” hat er es sich.
Die Urteilsverkündung ist für den 26. Juni angesetzt. Die Beweislage ist eindeutig und Giole M. hat ein vollumfängliches Geständnis abgelegt. Wie die Verteidiger der anderen Angeklagten ankündigten, werden auch diese sich zu den Tatvorwürfen äußern. Dass sie allesamt verurteilt werden, scheint bereits jetzt schon festzustehen – fraglich ist das Strafmaß. Angesichts des Fehlens jeglichen Unrechtbewusstseins kann man sich die jeweils höchstmöglichen Strafen als wahrscheinlich vorstellen.