Wiesloch/Heidelberg/Mannheim/Stuttgart, 18. September 2018. (red/pro) Nach einem mutmaßlich politisch motivierten Angriff durch sechs Männer hat die Staatsanwaltschaft Heidelberg gegen zwei Tatverdächtige Haftbefehle beantragt, die das Amtsgericht bestätigte, aber gegen Auflagen außer Vollzug setzte. Ein Tatverdächtiger ist Tarifbeschäftigter der Polizei und wurde bis zum Abschluss der Ermittlungen mit sofortiger Wirkung freigestellt und von seinen Aufgaben entbunden.
Kommentar: Hardy Prothmann
Im Innenministerium Baden-Württemberg ist man nervös. Dass man sich aus Stuttgart zu einem lokalen Ereignis äußert, kommt nicht eben oft vor.
Am Samstag, den 8. September 2018, kam es in den Abendstunden in der Innenstadt von Wiesloch zu einer Schlägerei mit mehreren beteiligten Personen. Laut Zeugenaussagen soll es dabei auch zu fremdenfeindlichen Äußerungen gekommen sein. Deshalb ermittelt das Polizeipräsidium Mannheim steht wegen mutmaßlichen Landfriedensbruchs, gefährlicher Körperverletzung und auch wegen Volksverhetzung . 20 Beamte bilden die Ermittlungsgruppe “Marktbrunnen”.
Haftbefehle erlassen, aber außer Vollzug gesetzt
Die Staatsanwaltschaft Heidelberg hat zwei Haftbefehle gegen die 23 und 26 Jahre alten “Rädelsführer” beantragt. Das Amtsgericht Heidelberg gab diesen statt, setzte sie aber gegen Auflagen außer Vollzug. Das ist ein Hinweis, dass die Verdachtslage zwar gegeben ist, aber nicht für einen Freiheitsentzug ausreicht.
Brisant ist, dass einer der anderen Tatverdächtigen, ein 30-Jähriger, Tarifbeschäftigter der Polizei ist. Das heißt, es ist kein Polizeibeamter, sondern jemand, der vermutlich in der Verwaltung arbeitet. Nach unseren Informationen nicht im Polizeipräsidium Mannheim – das Innenministerium wollte sich auf Anfrage aus “datenschutzrechtlichen Gründen” nicht äußern, wo der Mann angestellt ist.
Sechs Tatverdächtige
“Mit dem Innenminister besteht Einvernehmen darüber, dass aus einem solchen Verhalten umgehend personelle Konsequenzen gezogen werden müssen”, teilte Detlef Werner, Inspekteur der Polizei, mit. “Die Polizei in unserem Land leistet hervorragende Arbeit. Die Menschen im Land können und sollen vollstes Vertrauen in sie haben. Gerade deshalb darf ein Einzelner nicht die gesamte Organisation diskreditieren. Nirgendwo in den Reihen der Polizei ist Platz für Straftäter oder fremdenfeindliches Gedankengut.”
Insgesamt gibt es sechs Tatverdächtige im Alter zwischen 23 und 36 Jahren aus dem südlichen Rhein-Neckar-Kreis und dem Landkreis Karlsruhe, die allesamt nach der Auseinandersetzung durch eine polizeiliche Kontrolle festgestellt worden sind. Beim derzeitigen Ermittlungsstand geht die Polizei laut Mitteilung davon aus, dass es sich um einen politisch motivierten Angriff auf eine Gruppe vorwiegend türkischer Gäste eines Wieslocher Eiscafés handelte.
Die sechs Männer sollen im Rahmen eines Junggesellenabschieds zunächst fremdenfeindliche Parolen skandiert und politisch motivierte Schmähgesänge von sich gegeben haben. Danach hätten sie die vor einem Eiscafé sitzenden Familien, unter anderem unter Zuhilfenahme des Mobiliars der Außenbestuhlung, angegriffen. Hierbei wurden insgesamt fünf Personen leicht bis mittelschwer verletzt, teilt die Polizei mit.
Mehrere Funkstreifen des örtlichen Polizeireviers sowie benachbarter Dienststellen hätten die zum Teil massiv alkoholisierten Männer in unmittelbarer Tatortnähe festgestellt und vorläufig festnehmen. Am Montag wurden bei allen Tatverdächtigen Hausdurchsuchungen vorgenommen – ein Ergebnis wurde nicht mitgeteilt.
Sachlich falsche Information durch das Innenministerium
Ganz erstaunlich ist die Pressemitteilung des Innenministeriums. Diese beginnt: “Ermittlungsgruppe “Marktbrunnen” des Polizeipräsidiums Mannheim erwirkt und vollstreckt zwei Haftbefehle. Tatbeteiligung eines Tarifbeschäftigten der Polizei.” Mit einer sachlich falschen Information bekleckert man sich in Stuttgart nicht eben mit Ruhm. Die Polizei erwirkt niemals Haftbefehle, ein solcher Antrag wird immer von der zuständigen Staatsanwaltschaft gestellt. Und diese sind auch nicht vollstreckt, sondern aktuell außer Vollzug gesetzt. Der Folgesatz liest sich, als stehe eine wie auch immer geartete Tatbeteiligung bereits fest – dies obliegt auch nicht der Einschätzung des Innenministeriums, sondern eines ordentlichen Gerichts nach Abschluss der Ermittlungen und Gerichtsverhandlung.
Offenbar reagiert man in Stuttgart sehr nervös auf die allgemeinen aktuellen Befindlichkeiten der öffentlichen Meinungslagen in Sachen “Hutbürger”, nimmt aber aus unerfindlichen Gründen das Polizeipräsidium Mannheim nicht aus dem “Schussfeld”, sondern öffnet Spekulationen Tür und Tor. Selbstverständlich ist eine mutmaßliche Tatbeteiligung an einer möglicherweise fremdenfeindlichen Auseinandersetzung eine kritische Information. Eine angemessene Krisenkommunikation aber geht anders.
Rechtsstaatliche Prinzipien sind zu achten
Das Innenministerium hat sich mit der Zumeldung selbst in den Fokus gerückt, wozu es nach RNB-Auffassung aktuell überhaupt keinen Anlass gab. Zuständig sind die ermittelnden Behörden in Heidelberg und Mannheim und deren Ermittlungsergebnisse sind abzuwarten. Auch die Information, man “ermittle unter Hochdruck” und “erheblich” lässt staunen: Ermitteln die Behörden in anderen Fällen nicht “erheblich”, sondern drehen Däumchen?
Selbstverständlich hat das Innenministerium die Lage zu beobachten, weil der Vorwurf einer fremdenfeindlich motivierten Straftat, an der ein Tarifbeschäftigter der Polizei beteiligt gewesen sein soll, tatsächlich sensibel ist. Zuständig dafür sollte aber das betroffene Polizeipräsidium sein, das entsprechend vorläufige Disziplinarmaßnahmen trifft. Und dieses sollte sich entsprechend äußern, während andere Behörden die Ermittlungen führen.
Bei allem sind rechtsstaatliche Prinzipien zu achten, allen voran der Rechtsgrundsatz “in dubio pro reo”. Bis zu einer möglichen Verurteilung sind Tatverdächtige eben nur verdächtig. Das sollte auch ein Minister Thomas Strobl (CDU) wissen.
Zieht der Fall weitere Kreise?
Sollte sich am Ende herausstellen, dass der Verdächtige eine fremdenfeindliche Straftat begangen hat, ist dessen Entlassung die richtige Konsequenz.
Aktuell muss man die Frage stellen, ob das Innenministerium, das sich den Hut aufgesetzt hat, nun auch konsequent das Umfeld des Tatverdächtigen beim betroffenen Polizeipräsidium “unter Hochdruck” prüft. Denn sollte es sich beim Tatverdächtigen tatsächlich um einen überzeugten Rechtsradikalen und Fremdenfeind handeln, ist anzunehmen, dass er sein “Gedankengut” auch mit anderen zu teilen versucht.
Solche Ermittlungen sind zwingend zu führen, wenn man sich selbst mit dem Satz: “Nirgendwo in den Reihen der Polizei ist Platz für Straftäter oder fremdenfeindliches Gedankengut”, ernst nimmt. Und die Ergebnisse einer solchen Ermittlung sind öffentlich bekannt zu machen.