Rhein-Neckar/Stuttgart, 18. November 2015. (red/me) Wer die Landtagswahl 1992 in Baden-Württemberg miterlebt hat, dem fallen so manche Parallelen zur kommenden Landtagswahl im März 2016 auf. Wird diese durch die Flüchtlingsdebatte entschieden werden und kann man die Situation von damals tatsächlich mit heute vergleichen? Entscheidend wird sein, welchen Ton die großen Parteien wählen, je näher der Wahltag rückt.
Von Mathias Meder
Was treibt einen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble um, wenn er von einer ‚Lawine‘ in der Flüchtlingsdiskussion spricht? Der baden-württembergische Bundestagsabgeordnete aus Offenburg war 1992 Vorsitzender der CDU-Bundestagsfraktion. Seine aktuelle Wortwahl klingt wie Äußerungen von damals:
Wir müssen handeln gegen den Missbrauch des Asylrechts, der dazu geführt hat, dass wir einen unkontrollierten Zustrom in unser Land bekommen haben. (Rudolf Seiters, damaliger CDU-Bundesinnenmister im Jahr 1992)
Angesichts der steigenden Aysylbewerberzahlen ist es dringend geboten, Deutschland vor einer Überflutung zu schützen. (Heinrich Lummer, damaliger Berliner CDU-Innensenator im Spiegel-Interview 1985)
1992 und 1996 jubelten nur die Republikaner
Damals tobte eine jahrelange Debatte um steigende Flüchtlingszahlen im Land. Im Zuge des Zusammenfalls des Ostblocks und durch den Krieg im ehemaligen Jugosawien kamen auf dem Höhepunkt der Zuwanderung rund 430.000 Flüchtlinge im Jahr 1992 nach Deutschland. Heute sind es bereits mehr als 800.000 im aktuellen Kalenderjahr, vermutlich schon weit über eine Million Menschen. Niemand weiß, wie es im kommenden Jahr weitergeht. Alle Prognosen gehen von einer erneuten Steigerung aus. Vor dem Hintergrund der damaligen Asydebatte im Jahr 1992 verbesserten die Republikaner ihr vorheriges Wahlergebnis um knapp zehn Prozent und zogen mit 10,9% in den baden-würtembergischen Landtag ein.
Ist nun bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg im kommenden Jahr ein ähnliches Ergebnis für die AfD zu erwarten? Kann man die Asyldebatte und die politische Stimmung von 1992 mit heute vergleichen? Aktuelle Umfragen sehen die AfD als drittgrößte politische Kraft auf Bundesebene, in Baden-Württemberg zwischen drei und acht Prozent. Entscheidend wird sein, wie die weitere Debatte verlaufen wird.
Ähnliche Debatten – ähnliche Ergebnisse?
Damals starteten CDU und CSU eine Kampagne gegen einen Missbrauch des Asylrechts, um die SPD zu einer Grundgesetzänderung zu bewegen, die dann auch in der sogenannten Drittstaatenregelung, im Prinzip des sicheren Herkunftslandes und im Flughafenverfahren mündeten. Begriffe, die auch heute wieder Hochkonjunktur haben, wenn man sich das Positionspapier der Unionsparteien und den letzten Flüchtlingskompromiss der großen Koalition anschaut.
Damals plakatierte die CDU in der Schlussphase des baden-württembergischen Landtagswahlkampfs „Asylproblem lösen – CDU wählen“. Die CDU verlor im Land nicht nur die absolute Mehrheit, sondern auch knapp 10 Prozentpunkte. Die SPD verlor 2,6 Prozentpunkte, die Grünen gewannen 1,6 Prozentpunkte dazu, die FDP blieb unverändert bei 5,9 Prozent. Am Wahlabend jubelten nur die Republikaner.
Professor Dr. Ulrich Eith, Leiter des Studienhauses Wiesneck bei Freiburg, untersuchte damals die Erfolge der Republikaner und kam zu einem klaren Ergebnis:
Es hat der CDU damals nichts gebracht, da die Originale ins Parlament kamen.
Nach der Wahl gingen CDU und SPD im Land eine große Koalition ein. Die Sondierungsgespräche, die erstmals auch mit den Grünen geführt wurden, waren wohl auch aufgrund der Asylkampagne der CDU keine gute Ausgangsbasis für eine mögliche schwarz-grüne Koalition. Auch war damals die Zeit für solche Experimente noch nicht reif. Bei der darauffolgenden Landtagswahl thematisierte dann die SPD die Aussiedler aus Osteuropa und die Republikaner erreichten erneut ein Spitzenergebnis von 9,1 Prozent.
Wahlerfolg für die AfD durch Flüchtlingsdebatte?
Professor Eith zeigt sich im Gespräch mit uns skeptisch, ob sich die Geschichte wiederholen wird. Zwar gab es auch 1992 eine Krise in der Automobilkrise, einer der Schlüsselindustrien von Baden-Württemberg. Und die Flüchtlingszahlen waren nur halb so hoch wie heute. Doch die wirtschaftliche Situation drei Jahre nach dem Mauerfall war eine andere als heute:
Die Menschen damals waren hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Zukunfsperpektive verunsichert, hatten Angst vor Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg. Je mehr die Menschen sich sozial bedroht fühlen, desto mehr Zulauf erhalten Rechtspopulisten. Wenn diese Ängste nicht da sind, dann sind die Menschen auch gelassenener und toleranter. Die Zahl derer, wieviel zu uns flüchten, ist dabei nicht entscheidend.
Er sieht die Lehre aus 1992 darin, dass damals die Ängste der Menschen von vielen Politikern diskutiert und thematisiert wurden. Doch diese Ängste wurden zu dieser Zeit auch genauso empfunden. In der aktuellen konjunkturell gefestigten Situation spielen die sozialen Ängste weniger eine Rolle.
Entscheidend für den Erfolg oder Misserfolg von rechtspopulistischen und rechtsradikalen Parteien wird sein, so Eith gegenüber dem Rheinneckarblog, unter welcher Perspektive die aktuelle Zuwanderung öffentlich diskutiert wird.
Wenn Ängste geschürt werden, wenn von Überforderung oder Hilflosigkeit im Umgang mit Flüchtlingen die Rede ist, dann ist das Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten. Wenn jedoch von Herausforderungen gesprochen wird, die man meistern wird, dann wird die Zuwanderung auch als Bereicherung empfunden werden und die Rechten werden hieraus keine Stimmen ziehen können.
Entscheidend für den Erfolg oder Misserfolg der AfD bei den anstehenden Landtagswahlen wird also weniger sein, wie sich die Flüchtlingszahlen entwickeln werden, sondern wie die Diskussion verläuft. Je stärker die Debatte von Seiten der großen Parteien mit Ängsten oder Ressentiments befeuert und im Volk aufgenommen wird, desto deutlicher wird der Zuwachs für Parteien wie die AfD ausfallen.
Sollte die AfD nur knapp über die 5-Prozent-Hürde kommen und die CDU nur unwesentlich Stimmen verlieren, dann wäre im Landtag vermutlich ohne die CDU keine mehrheitsfähige Koalition zu bilden.
Bei der Recherche ist uns noch ein Zitat aufgefallen, das wir Ihnen nicht vorenthalten wollen – auch damals schon kamen die ganz rechten Sprüche von der CSU:
Es strömen die Tamilen zu Tausenden herein, und wenn sich die Situation in Neukaledonien zuspitzt, dann werden wir bald die Kanaken im Land haben. (Franz-Josef-Strauß, bayerischer Ministerpräsident im Jahr 1985)