Guten Tag!
Ladenburg, 18. Februar 2011. Nur 28 Eltern von CBG-Schülern haben die Chance genutzt, sich vom Drogen-Experten der Mannheimer Polizei informieren zu lassen. Von einem „Interesse“ kann also keine Rede sein – eher von Ingnoranz. „Drogen oder Alkohol? Bei meinen Kindern? Nein“, mögen viele Eltern „Probleme“ von sich weisen. Die Realität ist nicht „nüchterner“, sondern bedenklich zugedröhnt.
Kommentar: Hardy Prothmann
Die Zahlen sprechen für sich: 28 anwesende Eltern sind bei 1.150 Schülern gerade mal 2,5 Prozent. Geht man davon aus, dass alle Schüler zwei Eltern haben, sind es noch 1,25 Prozent der Eltern, die sich für den Aufklärungsvortrag des Polizeihauptkommissars Willi Stier interessierten.
Vielleicht sind das auch nur die Eltern, die sich noch nicht informiert haben und die restlichen rund 98 Prozent wissen schon Bescheid, „was so alles geht“. Und vielleicht ist es auch so, dass es am CBG keine Drogen- und Alkoholprobleme bei Schülern gibt.
143 Prozent mehr Alkoholvergiftungen bei Jugendlichen. Stand: 2007
Damit wäre das Ladenburger CBG die rühmlichste Ausnahme der Republik. Bundesweit sehen die Zahlen anders aus, wie der Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung 2009 ausweist:
„Im Jahr 2007 wurden 23.165 Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 20 Jahren aufgrund einer Alkoholvergiftung stationär im Krankenhaus behandelt. Das ist die höchste Zahl seit der Ersterhebung im Jahr 2000 und entspricht einer Zunahme um 143 %.“

Eltern informieren sich über Drogen- und Alkoholmissbrauch bei einer Informationsveranstaltung im CBG.
Das sind nur die „statistisch“ erfassten Fälle. Wie viele Kinder und Jugendliche sich die „Seele aus dem Leib gekotzt“ oder sich mit Drogen vergiftet haben und am Krankenhaus gerade nochmal vorbei gekommen sind, ist und bleibt eine Dunkelziffer.
Bei der Einnahme von Cannabis-Produkten liegen die Zahlen bei einer Zunahme von sechs bis zwölf Prozent. Diese Daten stammen aus dem Jahr 2007. Seither sind keine neuen Daten veröffentlicht worden. Wie die Entwicklung 2008-2010 war? Das ist nicht zu belegen.
Wer denkt, dass sein(e) Kind(er) nicht betroffen sind, verschließt die Augen. Drogen- und Alkoholmissbrauch finden nicht erst statt, wenn es eine amtliche Erfassung gibt, sondern haben meist eine lange „Karriere“ hinter sich. Immer wieder, immer häufiger, immer exzessiver – bis der „Extremfall“ eingetreten ist und man die Augen nicht mehr verschließen kann.
Und machmal ist das sehr bitter: Immer häufiger, so Willi Stier, werden „k.o.“-Tropfen eingesetzt und die Opfer, meist junge Frauen, vergewaltigt. Die Dunkelziffer ist hoch: „Die Mädchen können sich an nichts erinnern und schämen sich.“
Keine Frage der Schule oder der Milieus.
Man darf davon ausgehen, dass sowohl das CBG, als auch die Merian-Realschule oder die Sickingenschule und andere Schulen in anderen Orten ungefähr gleich von all diesen „Entwicklungen“ betroffen sind. „Drogen-Willi“, wie sich Polizeihauptkommissar Stier selbst scherzhaft nennt, sagt: „Es ist keine Frage der Schule oder der Milieus. Es ist ein allgemeines Problem.“
Und es ist ein Problem in den Familien. Wo sonst? Sind es immer nur die anderen Kinder – nie die eigenen?
Alle Eltern, die mit übermäßigem Alkoholkonsum ihrer Kinder konfrontiert werden oder gar mit Drogen, werden zunächst mit Schutzreflexen reagieren. Es darf nicht sein, was nicht sein darf. Es muss ein „Ausrutscher“ sein, eine „Jugendsünde“ und wie die Schutzbehauptungen auch heißen mögen.
Der Reflex zu Scham, Sorge und es „wieder gut haben zu wollen“, ist verständlich und nachvollziehbar – aber leider wenig hilfreich zur Lösung der Probleme.
Durch einen Hinweis aus der Bevölkerung hat die Redaktion im November 2009 von zwei alkoholisierten Mädchen auf der Heddesheimer Eisbahn erfahren. Beide waren zwölf Jahre alt und wurden in einer Weinheimer Klinik behandelt. Ein Mädchen ist aus Ladenburg, wo das andere Mädchen wohnt, haben wir nicht erfahren.
Nichts sehen. Nichts hören. Nichts sagen.
Die Reaktion der Gemeinde Heddesheim war bezeichnend: Der Vorfall wurde verschwiegen. Durch hartnäckiges Nachfragen bekamen wir nur die Informationen bestätigt, die wir schon wussten. Andere Medien haben darüber nicht berichtet. Auch die Stadt Ladenburg hat sich unserer Kenntnis nach nicht dazu geäußert – vielleicht, weil es dort keine „Erkenntnisse“ gab.
Der „Affenreflex“, „Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen“, ist verbreitet.
Seither sind die Kontrollen angeblich verstärkt worden. Und selbst wenn. Willi Stier schilderte, wie es abläuft. Bei „Adler“-Spielen wird eben schon vorher „geschluckt“, „Aufreißer“ in den Taschen enthalten hochprozentiges und schmecken süß. Selbst geschulte „Türsteher“ können diese „Mitbringsel“ nur schwer entdecken.
Woran es fehlt, ist der Wille zur Aufklärung. Sowohl bei Eltern, als auch bei Behörden. Und der Wille zur echten Prävention. Ein paar Unterrichtseinheiten, wie sie der MM „lobend“ in seinem Bericht erwähnt, dienen nur den „Formalitäten“, nichts sonst: „Alles ok bei uns, keine „bekannten“ Probleme.“
Wie passen aber eine bundesweite Zunahme von 147 Prozent „mehr“ stationär behandelter Alkoholvergiftungen mit dieser „Realität“ zusammen? Wohl eher gar nicht.
Solche Zahlen muss man nicht „künstlich“ dramatisieren, wie man das dann der „Presse“ gerne vorwirft – sie sind dramatisch (auch wenn die Kritik an der Presse oft berechtigt ist – wir sparen ja auch nicht damit).
Wo gedeckelt wird, gibt es keine Probleme. Nur woanders.
Gehören die Saufgelage auf der Neckarwiese und das zertrümmerte Rundklo nicht zu diesem Thema? Sind Alkoholmissbrauch und Drogenkonsum in Ladenburg, Heddesheim und anderswo nicht bekannt? Ist das so?
Solange man es irgendwie „deckeln“ kann, ist das so. Denn dann gibt es keine Probleme.
Auch nicht zu anderen „Problemfeldern“.
Obwohl – das stimmt nicht ganz.
Seither erhalten wir durch die Schulleitung fast keine Termineinladungen oder andere Informationen mehr zum CBG. Rektor Günter Keller und sicher auch andere haben unsere Redaktion offensichtlich als „Problem“ identifiziert.
Das Problem sind nicht die Berichte, sondern die Haltung dazu.
Ganz sicher werden „interessierte Kreise“ nach unserem Bericht und diesem Kommentar sich in ihrer Haltung bestärkt fühlen. Unseren „Blogs“ werden dann gerne die abstrusesten Motive unterstellt, warum wir „negativ“ berichten.
Wer sich nüchtern zurücklehnt, wird feststellen, dass wir einfach nur „informieren“, anstatt eine Schönwetter-„Berichterstattung“ zu betreiben und alles zu ignorieren, was „nicht ins Bild passt“. Wir berichten nicht „negativ“, sondern kritisch. Das ist ein bedeutender Unterschied.
Die Tageszeitung „Die Welt“ schreibt:
„Es gab Zeiten, da war Lokalzeitungen jeder Jugendliche eine Meldung wert, der mit einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Heute sind die Koma-Mädchen und Koma-Jungs verschwunden – aus den Nachrichtenspalten; denn ihre Zahl ist in den vergangenen Jahren in einer Weise explodiert, die eine tägliche Berichterstattung unmöglich macht.“
Nicht die Zahl der Fälle verhindert eine Berichterstattung, sondern die Ignoranz. Und die löst keine Probleme, sondern hofft, dass sie vorbeigehen.
Wir gehen nicht vorbei, sondern halten an, schauen hin, recherchieren und schreiben auf. Ob das nun „gefällt“ oder nicht.
„Gefallen zu wollen“ hat mit Journalismus nichts zu tun.