Rhein-Neckar, 18. März 2012. (red) Joachim Gauck (72) ist heute zum 11. Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt worden. 991 von knapp 1.200 Stimmen konnte er in der Bundesversammlung auf sich vereinigen und wurde damit überzeugend als gemeinsamer Kandidat der großen Parteien ins Amt befördert. Der ostdeutsche Pfarrer vereint viele Hoffnung auf sich, das Lob ist groß, doch das kann sich ändern.
Von Hardy Prothmann
Was soll man über einen schreiben, den man nicht kennt? Gar nichts? Oder das, was man zu wissen glaubt?
Wenn Sie heute oder morgen oder in den nächsten Tagen Artikel über Joachim Gauck lesen – denken Sie an diese Fragen und fragen Sie sich, ob die, die etwas geschrieben haben, sich diese Fragen auch gestellt haben.
Die allermeisten Journalisten, die sich über Joachim Gauck in der Vergangenheit ausgelassen haben, kennen ihn nicht persönlich. Das ist auch nicht unbedingt nötig, um sich eine Meinung zu bilden. Da geht es Journalisten wie anderen Menschen: Man sammelt Informationen, vergleicht sie, ordnet sie ein und irgendwann hat man irgendeine Meinung.
Viel Lob am Anfang
Aktuell wird sehr positiv über den neuen Bundespräsidenten geschrieben. Das ist auch vollkommen in Ordnung, denn Gauck hat auf den ersten Blick sehr viele Vorteile.
Er ist klug, ein brillanter Redner, vor allem parteilos. Er gilt als frei von Seilschaften und bisweilen als stur, was seine Meinungen angeht. Diese wirken manchmal ein wenig sonderbar, weil er beispielsweise als Beauftragter für die Stasi-Unterlagen (Gauck-Behörde) ein Vermächtnis der DDR-Diktatur aufbereitete, über das Missetäter zu Fall kamen und Opfer Entschädigungen einfordern konnten, andererseits aber auch Opfern übers Maul fuhr.
Er hat irritiert, weil ihm jeder den aufrechten Demokraten abnimmt, er aber andererseits positive Äußerungen zum Rechtspopulisten Sarrazin von sich gab.
Soviel steht fest: Gauck passt in keine Schublade und das ist gut so.
Die Kritik wird folgen
Gauck gilt vielen vor allem als Hoffnungsträger, die Deutschen nach über zwanzig Jahren Einheit endlich zu einen. Er wird in Ost und West respektiert. Als Staatsoberhaupt bringt der 72-jährige evangelische Pfarrer vor allem eines mit – eine souveräne Ausstrahlung.
Das kleine Skandälchen, dass er seit Jahren mit der 20 Jahre jüngeren Journalistin Danila Schadt liiert – allerdings immer noch mit seiner Frau Gerhild, mit der er vier Kinder hat, verheiratet.
Im Jahre 2012 wird das zwar immer noch debattiert in der Öffentlichkeit – aber es hindert Gott sei Dank nicht, trotzdem mit Würde und Respekt das oberste deutsche Amt auszuüben.
Man darf gespannt sein, wann Gauck für Ärger sorgen wird. Und das wird er – nicht beim Volk vermutlich, aber bei den Parteien. Denn Gauck wird so klug sein, sich überwiegend auf seine repräsentativen Aufgaben zu konzentrieren und diese gut ausfüllen. Er gilt als strukturierter Arbeiter. Aber er wird sicher immer dann, wenn er denkt, dass er sich äußern muss, seine machtvollstes Instrument gebrauchen: das Wort. Und dieses beherrscht er wie nur wenige.
Gauck und Merkel
Gauck ist sicherlich nicht der Bundeskanzlerin Angela Merkel erste Mal – wie mögen beide christlich sein und beide aus dem Osten. Das ist aber schon ungefähr alles, was die beiden verbindet.
Gauck wird ein partei- und klüngelfreier Bundespräsident sein.
Meine große Hoffnung ist – das er Zuversicht und dank seiner Rhetorik den Unterschied zwischen Kritik und Nörgelei klar macht. Denn das Nörgeln beherrschen die Deutschen – die Kritik und den Umgang damit oft nicht.
Weiter hoffe ich, dass Gauck nach außen unsere deutsche Demokratie sehr gut vertritt und nach innen klar macht, dass wir eines der glücklichsten Länder dieser Welt sein müssen, denn unsere Freiheit, unser Rechtssystem, unsere Wirtschaft, unsere Kultur und unsere Bildung funktioniert im Vergleich mit anderen Ländern sehr gut bis brillant. Das vergessen leider viele immer wieder.
Gauck ist dafür der richtige Mann. Beide Eltern waren in der NSDAP – wie viele. Der Vater in Kriegsgefangenschaft – wie viele. Gauck wuchs unter dem Regime der DDR auf – wie viele.
Und Gauck schätzt und liebt die Freiheit, die die Wiedervereinigung gebracht hat. Er weiß auch, was das Gegenteil bedeutet.
Ganz sicher ist der Rostocker kein Revolutionär. Er ist nicht, anders als oft dargestellt, eine treibende revolutionäre Kraft „Wir sind das Volk“ gewesen. Er kam später dazu, aber er war dann sicher eine wichtige Person.
Jetzt ist er der oberste Deutsche. Ein Aufrechter.
Hoffen wir, dass es ihm gelingt, diese Haltung zu wahren. Es wird genug geben, die ihm schwer machen werden.