Rhein-Neckar, 18. Mai 2016. (red/pro) Wir sind eine der wenigen Redaktionen in Deutschland, die ihre Arbeit tatsächlich transparent macht. Teilweise kassieren wir dafür Hohn und Spott – von solchen, die natürlich total perfekt sind und nie Fehler machen. Geschenkt. Wir machen Fehler. Leider. Vermutlich unvermeidbar. Noch leiderer, wenn diese vermeidbar sind und am Ende viel Geld kosten.
Von Hardy Prothmann
Anfang des Jahres haben wir über einen mutmaßlichen Skandal berichtet. Ein Politiker soll „Unzucht“ getrieben haben. Mehr erfahren Sie dazu aktuell nicht. Wir haben alle Artikel gelöscht und uns selbst zensiert – schlicht und ergreifend aus der Not heraus, weil uns weitere Verfahren ruiniert hätten.
Wir können Ihnen aber die Rahmenbedingungen schildern.
Top-Story – Sex mit einer Minderjährigen
Anfang des Jahres gab es Meldungen über einen Lokalpolitiker, der Sex mit einer Minderjährigen gehabt haben soll. Wir haben die Berichterstattung verfolgt und selbst recherchiert. Wir hatten versucht, den Beschuldigten zu erreichen, allerdings nur telefonisch, was nicht gelungen war.
Eine Staatsanwaltschaft bestätigte uns entsprechende Ermittlungen und auch, dass es keine „Vorermittlungen“ seien, sondern sehr konkrete.
Führend in der Sache war die Bild-Zeitung. Eine Reihe weiterer Zeitungen hatte sich angeschlossen und auch ein öffentlich-rechtlicher Sender sowie private Sender. Die Nachrichtenlage war breit und „eindeutig“ – unser „Bericht“ war nicht exklusiv, sondern zu gut 90 Prozent auf die Berichte von anderen „gestützt“, die wir allesamt als Quelle einwandfrei zitiert haben.
Auf kleinen Bericht folgt große Abmahnung
Der Bericht war nicht sonderlich umfangreich. Nach einigen Tagen wurden wir dafür abgemahnt. Und zwar mehrfach. Der Autor und das Unternehmen, was die Streitsache verdoppelt.
Natürlich haben wir sofort darauf reagiert und nochmals unsere Quellen geprüft. Die Staatsanwaltschaft bestätigte erneut die Ermittlungen. Diese Information war also „safe“.
Tatsächlich hatten wir versäumt und bei der Zitation von Zeitungen und öffentlich-rechtlichem Rundfunk eindeutig von deren Informationen zu „distanzieren“. Wir gingen davon aus, dass die „Kollegen“ ihre Arbeit gemacht hatten.
Wenn alle voneinander abschreiben…
Tatsächlich hatten alle voneinander abgeschrieben und im Zweifel von der Bild-Zeitung.
-Anzeige- |
Wir haben daraufhin die verantwortlichen Redakteure der Bild-Zeitung kontaktiert und um kollegialen Austausch gebeten, ob die Faktenlage tatsächlich „hart“ ist:
Der kann uns gar nichts. Das ist eine Top-Story. Bombenfest. Der zappelt nur, weil wir ihn bei den Eiern haben. Abmahnung? Lächerlich! Der ist dran.
Einigermaßen angewidert ob der Tonlage waren wir zunächst beruhigt. Wenn die mächtige Bild so sicher ist… Die Beratung mit unserem Anwalt erbrachte ein anderes Ergebnis.
So schwer das ist, unsere anwaltliche Beratung war sehr gut. Uns wurde sofort geraten, die Abmahnung ernst zu nehmen. Wir wurden auf den handwerklichen Fehler hingewiesen, weil wir die Gegenseite nicht gehört hatten. Klar, wir hatten es versucht, aber nur telefonisch, nicht nachvollziehbar schriftlich. Unser Anwalt empfahl uns den Exit – insbesondere nach einem Gespräch mit dem Anwalt der Gegenseite:
Der geht auf die Maximalforderung. Ein verständiger Austausch war nicht möglich. Reduzieren Sie das Risiko.
Wir sind dem Rat unseres Anwalts gefolgt, haben zunächst eine Gegendarstellung veröffentlicht, danach eine modifizierte Unterlassungserklärung abgegeben und letztlich jede Berichterstattung zur Causa gelöscht.
Wir wären nicht das Rheinneckarblog, wenn wir nicht dran geblieben wären. Die Bild-Redakteure machten auf „dicke Eier“ und „standen“ zu ihrer Veröffentlichung und sagten uns selbstherrlich:
Der Typ ist fertig. Der macht bald keinen Mucks mehr.
Diese Sprache ist nicht unsere. Wir fragten nach Belegen und bekamen nur zur Auskunft, dass man professionell sei und alle Belege habe.
Reduziertes Risiko = 3.000 Euro
„Reduzieren Sie das Risiko“, war der Rat unseres Anwalts. Wir haben alles gelöscht und uns mit der Gegenseite ins Benehmen gesetzt. Unterm Strich hat ein kurzer Bericht rund 3.000 Euro gekostet. Wir veröffentlichen bis zu 400 Artikel im Monat. Da mag man nicht Kopf-rechnen…
-Anzeige- |
In den Tagen darauf hat erst der öffentlich-rechtliche Sender seine Nachrichten und einen Filmbeitrag gelöscht. Dann die Partei des Politikers entsprechende Informationen, dann die Privatsender, dann die Zeitungen und letztlich auch die Bild-Zeitung – also die, bei denen „alles klar war“.
Übrigens haben wir keinen Anruf von den „Kollegen“ der Bild erhalten, etwa mit einer Entschuldigung und der Frage, wie es denn uns ergangen ist – soweit denkt kein Bild-Journalist. Dort wird nach Blut und Sperma gejagt und es kommt nicht auf ethisch hochwertigen Journalismus an, sondern nur darauf, dass unterm Strich Profit steht und dafür braucht es Knaller, aber niemals eine differenzierte Berichterstattung.
Porto-Kasse vs. Existenzgefährdung
Vermutlich waren die Kosten für die Bild größer als unsere – aber der Springer-Verlag zahlt das aus der Porto-Kasse und rechnet vermutlich das Gegengeschäft. Soundsoviel Einnahmen durch Sensationsberichterstattung minus soundsoviel Ausgaben für juristische Kosten. Bleibt ein Plus, ist alles ok.
Wir können so eine Rechnung nicht aufmachen. Bei uns bleibt immer ein Minus, weil wir nicht die Bild sind und auch nicht Bild sein wollen.
Wir sind verantwortlich
Verantwortlich für das finanzielle Desaster war ich als Redaktionsleiter. Eben, genau der, der die Redaktionsregel aufgestellt hat:
Traue keinem.
Das bläue ich allen meinen Mitarbeitern ein. Nachdem aber ein halbes Dutzend Zeitungen mit der Meldung draußen waren, dazu der öffentlich-rechtliche Rundfunk und wir sehr korrekt nur „zitiert“ hatten, dachte ich, wir sind auf der sicheren Seite. Dieser Gedanke war falsch und ich ärgere mich unendlich, dass ich selbst meine Regeln nicht konsequent genug eingehalten habe.
Weder die Bild noch der öffentlich-rechtliche Sender noch ein anderes Medium haben übrigens je darüber informiert, dass die Abmahnungen erfolgreich waren.
Fehler passieren immer – wir lernen daraus
Ich bin aber lernfähig und das passiert mir hoffentlich nicht noch einmal. Der positive Effekt: Meinen Mitarbeitern war das ein mehr als lehrreiches Beispiel, wenn sogar der erfahrene Chef… uiuiui.
Fehler passieren immer, wir bemühen uns, keine zu machen – ganz egal, ob sie Geld kosten oder nicht. Es geht ums Prinzip. Unsere Leser wollen sich auf uns verlassen können. Der Kern dieses Berichts – Ermittlungen finden statt – war zuverlässig und richtig. Zitierte „Schlussfolgerungen“ waren es nicht.
Wir haben handwerkliche Fehler gemacht, die minimal waren, aber letztlich doch Fehler.
Redaktionsintern haben wir diesen Fall mehrfach besprochen und unsere Arbeit justiert, um künftig solche „feinen Fehler“ zu vermeiden, um noch „feiner zu berichten“.
Die Bild ist niemals eine seriöse Quelle
Klipp und klar ist, dass die Bild-Zeitung niemals ein Medium ist, das wir als seriöse Quelle betrachten. Leider müssen wir denselben Zweifel auch gegenüber öffentlich-rechtlichen Sendern ins Feld führen.
Tatsache ist, dass wir uns auf gar keine mediale Quelle auch nur ansatzweise verlassen. Wir zitieren weiter andere Medien, aber mit der nötigen Distanzierung und im Zweifel verzichten wir auf aktuelle Berichterstattung und berichten erst, wenn wir alle gebotenen Schritte gegangen sind.
Die „Bild“ ist nicht schuld, dass wir uns auf sie und vor allem auf viele andere verlassen haben. Die Bild ist nur schuld für das, was sie selbst verantwortet. (Anm. d. Red.: Und das reicht für einen Logenplatz in der Hölle.)
Unser Anspruch
Das sind wir uns selbst und unserem Anspruch auf sorgfältige Arbeit schuldig. Das sind wir unseren Leser/innen schuldig und das sind wir auch denen schuldig, über die wir berichten.
Dieser dreifache „Schuldspruch“ ist Handlungsleitfaden unserer Redaktion. Wir geben uns alle Mühe, diesen einzuhalten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Gefällt Ihnen unsere Transparenz?
Dann machen Sie andere Menschen auf unser Angebot aufmerksam. Und wir freuen uns über Ihre finanzielle Unterstützung als Mitglied im Förderkreis – Sie spenden für informativen, hintergründigen und ehrlichen Journalismus. Hier geht es zum Förderkreis. Und klar, Sie können natürlich auch denken: „Habs gelesen, wieso sollte ich zahlen?“ Die Antwort erhalten Sie dann, wenn es nichts mehr zu lesen gibt. Und was dann?