Heidelberg/Rhein-Neckar, 18. April 2016. (red/nh) Was macht gute Architektur aus? Kann Stadtplanung ethisch sein? Wie können wir Architektur schaffen, in der wir gerne leben wollen? Im Rahmen des 11. Heidelberger Schlossgesprächs stellte die renommierte Architektin Gesine Weinmiller nicht nur kluge Fragen, sondern kam auch zu wichtigen Schlüssen. Das ist nicht selbstverständlich für eine Architektin oder einen Architekt.
Von Naemi Hencke
Was ist gute Architektur? Was hat Ethik mit Stadt zu tun? Wie erreicht man ethische Architektur?
Ein Glasmonster – wie vom Mars gelandet,
so offen und klar beschreibt Gesine Weinmiller das 2005 in Rostock fertig gestellte Gebäude “Deutsche Med” von Architekt Helmut Jahn – in den Medien oft auch als “Star-Architekt” betitelt. Diese Architektur sei schrecklich beziehungs- und überhaupt völlig maßlos.
Architekten-Egomanie
Was ist hierbei schief gelaufen?, fragt die Architektin. Die Stadtplanung habe wohl alle grundsätzlichen Regeln über Bord geworfen, als sie diesem Entwurf zusagte. Dieses Gebäude sei schlicht unethisch, meint Gesine Weinmiller. Allein aufgrund der überaus schlecht durchdachten Energieeffizienz: Eine solche “Glasbude” produziere x-mal mehr Nebenkosten wie andere Architekturen.
Die Gründe, etwas so und nicht anders zu machen, müssen klar definiert sein. Das Glasmonster in Rostock jedenfalls, sei so sinn- und ideenlos geplant, dass es mittlerweile eine ganze Zeit leer stehe. Doch was ist hier passiert? Gesine Weinmiller ist sich sicher, der Architekt sei wohl selbst nie an diesem Ort gewesen.
Und genau das ist der Punkt: Sehen. Das sei das wichtigste Werkzeug im Planungsprozess. Gute Architektur schafft man nur, indem man sich auch die Umgebung, den Ort anschaut, an dem etwas Neues entstehen soll. Was ist das für ein Ort? Wie fühlt er sich an? Wie sieht die Nachbarschaft aus? Was passiert hier? Wer läuft hier entlang? Wie ist die Stimmung?
Architektur ist nicht kontextlos. Architektur ist für Menschen erdacht. Seit eh und je.
Der Schritt vom Menschen zum Haus ist nicht weit. Auch einem Haus wohnt eine Aura inne.
stellt Gesine Weinmiller treffend fest.
Sie studierte an der Technischen Universität in München Architektur und war hiernach zwei Jahre für den bekannten Architekten Hans Kollhoff tätig. Im Jahr 1992 eröffnete sie ihr eigenes Architekturbüro in Berlin – mit 29 Jahren.
Seit siebzehn Jahren ist sie zudem als Professorin tätig – anfangs an der Bergischen Universität in Wuppertal und seit dem Jahr 2000 lehrt sie in Hamburg. Sie ist Mutter von drei Kindern.
Internationale Beachtung fand sie beispielsweise mit ihrem Wettbewerbsentwurf zum Berliner Holocaust-Mahnmal und dem weltweit ausgeschriebenen Wettbewerb zum Umbau des Reichstags. Für diesen Entwurf gewann sie neben internationaler Beachtung auch gleich mal den 2. Preis. Als ein Meisterwerk ihres Schaffens könnte man beispielhaft das Bundesarbeitsgericht in Erfurt oder das Justizzentrum in Aachen nennen. Zur Zeit wird das von ihr entworfene Parkhaus im Glücksteinquartier in Mannheim realisiert.
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Lebensräume schaffen
Nach Christoph Mäckler kommt “die Stadt zuerst”. In der Kölner Erklärung vertritt Mäckler die Auffassung, um gute städtische Atmosphären schaffen zu können, sei es unabdingbar, dass alle mitwirkenden Disziplinen zusammenarbeiten. In diesem Sinne neben dem Architekten, etwa auch die Raum- beziehungsweise Stadtplanung und die Verkehrsingenieure.
Der Architekt ist nicht mehr der Diener der Stadt,
so Gesine Weinmiller.
Wir müssen schöne Lebensräume schaffen, denn die Architektur bestimmt unser Leben und unser Wohlbefinden.
Natürlich gibt es auffallende und “herausfallende” Architektur, die gut sein kann. Als ein Beispiel nennt Gesine Weinmiller in ihrem Vortrag zur “Ethik der Stadt” die Innsbrucker Bahnstationen der erst kürzlich verstorbenen “Star-Architektin” Zaha Mohammad Hadid.
Diese amporphe Architektur wirkt auf eine gewisse Art und Weise egoistisch und arrogant. Doch im Hinblick auf den Kontext in den sie eingebettet ist, verschmelzen die geschwungenen, organischen Silhouetten mit dem Ort an den sie stehen: Die mächtige Imposanz der Nordkette im Hintergrund bestimmt die Stadt seit je her – die Stationen als starke Solitäre stellen somit eine wichtige Verbindung von Stadt und Berg her. Man könnte annehmen, ihre Architektur unterstreiche die Bedeutung, die ihnen zugemessen wird. Sich selbst misst sie auch viel zu – am Selbstbewusstsein mangelt es nicht.
Ich kann auch Zaha Hadid. Nicht ganz. Aber ähnlich.
bemerkt Gesine Weinmiller über die umstrittene Hadid.
So einfach wie möglich. Nicht einfacher.
Doch die Architektin ist in ihrer Architektursprache weitaus subtiler, obwohl ihre Architekturen auf den ersten Blick mächtig und monumental wirken. Doch ihre Leitideen folgen eher den von Mies van der Rohe: “Kompliziert ist das Gegenteil von einfach. Komplex.” Oder der Auffassungen des Komikers, Filmproduzenten und Autors Karl Valentin: “So einfach wie möglich. Nicht einfacher.”
Denn beim genaueren Hinschauen fallen einem die durchdachten Funktionen auf. Die filigranen Details. Die besondere Qualität der verwendeten Materialen. Die formgebenenen Farben und Strukturen.
Das Justizzentrum in Aachen beispielsweise, ein betonierter, geometrischer Kubus – doch die sich nach oben hin verjüngenden Sichtbetonstützen lassen das Gebäude leichter wirken. Das angegliederte Parkhaus ist auf vielen querliegenden, vor- und zurückspringenden Betonblöcken aufgebaut – manche von ihnen “sprechen”.
87 Prozent Anstrengung
In Zusammenarbeit mit dem Schweizer Künstler Rémy Zaugg, sind Wörter in die Blöcke eingelassen. Die Bedingung für die Auswahl der Begriffe waren acht Buchstaben, so Gesine Weinmiller. Bejubeln, Feldhase, Erinnern, Erdbeere, Asteroid oder Tadellos stehen da. Sie sollen “den Betrachter irritieren und Assoziationen an sprachliche Formulierungen wecken, die möglicherweise hinter der Fassade gesprochen werden.” Von außen sieht man die geparkten Autos nicht. Im Inneren lässt die Architektur das Licht von außen herein scheinen.
Der Prozess, die Ideenfindung am Anfang, sei oftmals eine Qual, so die Architektin. Der Illustrator Christoph Niemann hat es aufgezeichnet: 87 Prozent Anstrengung, 7,5 Prozent Glück und 0,5 Prozent “Begabung und Musenküsse” bräuchte es für “eine richtig gute Idee” und die restlichen fünf Prozent einfach mal 90 Minuten die Finger vom Internet lassen.
Schnellbauer, denkt mehr nach!
Wohnraum schaffen. Ein Schlagwort, welches ein Dauerbrenner in der öffentlichen Debatte ist. Gesine Weinmiller ist der Auffassung, dass in diesem Zusammenhang definitiv über schnelle und billige Provisorien hinaus gedacht werden müsse.
Architekten sollten zudem weitaus mehr in diesen Planungsprozess eingebunden werden: Wie schaffen wir Wohnraum, den sich auch Menschen mit wenig Einkommen leisten könnten und der trotzdem schön ist? Wichtig ist: Bei diesen Überlegungen geht es sowohl um Flüchtlinge, als auch um Studenten und Menschen, die am Existensminmum leben. Es gebe natürlich immer das Argument der Kosten. Baracken zu bauen, würde auch jede Menge Geld kosten, merkt Frau Gräb-Schmidt an. Sie ist Professorin für systematische Theologie mit Schwerpunkt Ethik an der Eberhard Karls Universität Tübingen und Mitglied des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland.
Gesine Weinmiller sagt über günstigen Wohnungsbau und Stadtentwicklung:
Wir müssen etwas bauen, womit wir lange leben können. Viele Architekten sind nur an den ersten Super-Bildern im Fachmagazin interessiert. Die Schnellbauer von Containerdörfern müssen mehr nachdenken.
Christoph Markschies, Professor für Ältere Kirchengeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin und Vizepräsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, merkt an:
Vergessen wir nicht die Ästhetik des Hässlichen – Störungen können auch schön sein,
Er ist der Meinung, man könne den Schönheitsbegriff noch etwas weiter auslegen. Denn gerade die Unebenheiten würden Besonderes schaffen.
Das Schöne ist nicht perfekt
Wir müssen wieder lernen, Fehler zu machen, denn dem Nicht-Perfekten wohnt das Schöne inne,
mit diesem wertvollen Satz schließt die – überraschender Weise – sehr charmante und humorvolle Architektin den Abend. Gerade in der Architektur sollte es vor allem um den Menschen gehen. Und nicht um Signaturen.