Ludwigshafen/Rhein-Neckar, 17. Oktober 2016. (red) Mindestens zwei Menschen sind heute durch Explosionen und einen anschließenden Großbrand ums Leben bekommen. Es reicht nicht, dass Uwe Liebelt, BASF-Werksleiter Standort Ludwigshafen, sein Bedauern und sein Mitgefühl ausdrückt. Der Störfall ist kein Einzelfall. Bereits vor drei Jahren kam es zu einem solch gigantischen Großbrand, bei dem die Städte Mannheim und Ludwigshafen sowie die umliegenden Gemeinden nur knapp an einer Katastrophe vorbei geschrammt sind. Kein Notfallplan und schon gar keine technische Absicherung hat damals die Katastrophe verhindert – sondern nur der Zufall einer „günstigen Wetterlage“. Die BASF muss sofort Konsequenzen ziehen. Aber auch die Politik und die Kontrollbehörden.
Kommentar: Hardy Prothmann
Die BASF SE, den Einheimischen in der Region als „Anilin“ bekannt, ist zweifelsohne ein bedeutendes Traditionsunternehmen. Nach Umsatz und Marktkapitalisierung ist die BASF der größte Chemiekonzern der Welt. Damit hat die BASF eine herausragende Bedeutung.
Das Unternehmen beschäftigt weltweit rund 112.000 Menschen und weltweit leben weitere Hunderttausende Menschen wirtschaftlich als Beschäftige von Zulieferbetrieben von der BASF. Die BASF ist ein globaler Gigant und industriell eine Macht.
Ich, der Schichtler bei der Anilin

RNB-Chefredakteur Hardy Prothmann kennt die BASF auch als „Aniliner“. Als Schichtarbeiter. Lange ist es her – ist es das? Foto: sap
Ich selbst habe als junger Mann über ein Jahr „Schicht geschafft“ in der BASF und gutes Geld verdient. 1987 stand ich allerdings gar nicht so unweit vom heutigen Störfall entfernt am Rhein und „wässerte“ Fässer mit „Produktinhalt“.
Was ich da gemacht habe? Eine Lieferung von rund 200 Fässern eines brennbaren Produkts (so ziemlich alle Produkte der BASF sind brennbar) konnten nicht wie geplant verarbeitet werden und standen auf dem Gelände. Ich bekam den Auftrag, diese mit einem Wasserschlauch „systematisch“ zu kühlen. Das System blieb mir überlassen. Also stand ich da und spritze über Stunden Wasser auf Fässer mit Inhalten, von denen ich keine Ahnung hatte. Irgendwann taten die Arme weh und ich hätte gerne Pause gemacht. Aber ich war jung und ehrgeizig. Unvorstellbar? Nein. Realität. Das ist 29 Jahre her.
Ich war 24-Stunden-Wechselschichtler in einem „Forschungsbetrieb“, irgendwas mit „Elektrolyt“-Verarbeitung. Irgendwelche Produkte liefen durch „Glocken“. Was da ablief, weiß ich nicht. Ab und an mussten wir die reinigen. Dazu gab es Auflagen. Anzüge und Atemschutzmasken. Die Arbeit war hart, man schwitzte wie blöde und bekam schlecht Luft. Einer meiner Kollegen schrubbte ohne jeglichen Schutz und war jede Nacht „druff“. Ich hatte das meinem Betriebsleiter gesagt, der meinte: „Der irre Ami, der braucht das.“
Damals war ich Anfang 20, hatte mit Journalismus noch nichts am Hut und freut mich über deutlich mehr als 3.000 Mark jeden Monat, die mir im Anschluss zwei Jahre im Ausland und die erste Zeit des Studiums finanziert haben.
Ich habe mich verhalten wie jeder. Vollständig opportunistisch. Die BASF hat die Kohle aufs Konto gebracht. Viel Kohle. Da macht man keinen unnötigen Stress durch „blöde Fragen“. Die Zeit der verseuchten Flüsse war vorbei und die BASF zeigte sich als toller Arbeitgeber, machte ein Umweltzertifikat nach dem anderen. Also alles gut.
Nichts war gut – bis auf das Geld
Nein. Nichts war gut. Als ich länger dabei und eingearbeitet war, musste ich Kontrollgänge machen. Werte ablesen, Ventile kontrollieren, Leitungen dokumentieren. Nach kurzer Zeit hatte ich das drauf und mit einem Mal viel „Freizeit“, weil ich das System so „durchschaut“ hatte, dass ich den langweiligen Trott anders gestalten konnte.
Ich kann ganz passabel jonglieren. Wo ich das gelernt habe? Nun, ich habe mir das zeigen lassen und dann stundenlang geübt – während meiner Schichten. An Orten im Werk, an denen ich wusste, dass ich meinen mir aufgetragenen Job gemacht hatte (ich bekam sehr viel Lob für meine Zuverlässigkeit) und ebenso wusste, dass ich allein bin. Also habe ich jongliert. Mit allem Möglichen.
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In dieser Zeit hatte ich auch viel zu viel Energie. Die musste abgebaut werden. Sportlich, wie ich war, machte ich Liegestützen und Klimmzüge. Liegestützen am Boden, mit den Beinen auf Paletten. Für Klimmzüge waren T-Träger ideal, um die ganz fiesen zu machen. Also nur an den Fingern hängend. Nach gut einem Jahr schaffte ich davon über 40, Liegestützen ohne Probleme um die 80 und in der besten Zeit weit über 100. Ich hatte viel Zeit fürs Training.
Einmal gab es einen Alarm und da hatte ich Glück. Ich war von einer Party in die Frühschicht gekommen und hatte mich „abgelegt“. Also geschlafen. In einem Lager zwischen Paletten. Der Schichtleiter versuchte mir die Hölle heiß zu machen, weil ich nicht zum Sammelplatz gekommen war. Ich habe mich dumm gestellt und ihn drauf hingewiesen, dass ich im Lager war, wo schon seit langem der Lautsprecher nicht funktionierte. „Hab nix mitgekriegt“, war meine lapidare Antwort. Da ich zuvor im Lager aufgeräumt hatte, konnte ich behaupten, dass ich das gemacht hatte, als alle mich suchten.
Was ich damit sagen will? Ist doch klar – ich war ein absoluter Systemfehler. Ein Risiko. Und ich war nicht alleine. Und ich weiß nicht, wie das heute so in der BASF ist. Ich weiß nur, was ich als Journalist weiß – die Menschen finden immer eine „Lösung“, die nicht unbedingt die ist, die andere sich vorstellen.
Haschpfeife oder Elektrolyt – Hauptsache high
Mit dem verrückten Ami habe ich ab und zu im Sanitärbereich an einer Haschpfeife gezogen. Der Typ war zwanzig Jahre älter als ich. Ex-GI. Und cool. Der hatte das System auch drauf. Allerdings keine Träume mehr. Er hat Geld verdient und seine Zeit rumgebracht. Privat mit Parties, Drogen, Weibern.
Auf Arbeit mal mit der Pfeife, mal mit Elektrolyt-Gasen. Morgens habe ich ihn meist zum Frühstück in den umliegenden Gaststätten getroffen – ich Rührei, er Bier. Pfefferminz war obligatorisch bei ihm. Mir war es egal. Er war superbeliebt, ich wurde öfter kontrolliert. Er hatte Geschenke, mich kotzten diese Tor-Fuzzis an.
Wenn ich heute an diese Zeit denke, wird mir schlecht. Das war jeden Tag ein potenzieller letzter Tag.
Heute war ein letzter Tag für mindestens zwei Menschen, die durch die Explosionen im Landeshafen Nord oder durch das anschließende Feuer gestorben sind. „Genau weiß man das noch nicht“. Anders ausgedrückt: Es kann schon sein, dass jemand das sehr genau weiß. Die Öffentlichkeit weiß es noch nicht genau.
Ohne Frage hat die BASF seit vielen Jahren wie alle vernünftigen Unternehmen viel Energie in Arbeitssicherheit gesteckt. Das ist keineswegs altruistisch, sondern höchst egoistisch. Katastrophen und Tote können ein Unternehmen vernichten.
Mindestens bereiten solche Vorfälle so viele Probleme und Kosten, dass es gegengerechnet günstiger ist, sie zu vermeiden. Es geht bei Konzernen nicht um eine Wohlfühl-Veranstaltung, sondern ums Geschäft.
Die mindestens zwei Toten von heute werden die BASF nicht vernichten. Der Aktienkurs hat kurz nachgegeben. In ein paar Tagen ist alles wieder wie immer.
Knallharter Wettbewerb – es geht um Profit
Dabei wird immer knallharter im weltweiten Wettbewerb kalkuliert. Die BASF ist dabei keine Ausnahme, sondern, obwohl die größte Chemie-Firma der Welt, oder vielleicht gerade deswegen, immer in einem ständigen „Optimierungsprozess“.
Karriere macht, wer kostengünstigere Lösungen findet bei Steigerung des Profits. Da geht es um richtig viel „Asche“ – den „Niederschlag“ von Brandresten messen betriebseigene Kontrollfahrzeuge als nicht vorhanden.
Bis heute gibt es nach meinen Informationen keine Konsequenzen aus dem Großbrand auf der Parkinsel im Juni 2013. Die BASF lagerte hier in einer Halle angeblich nicht entflammbares Styropor ein. Vermutlich hat eine auf dem Dach der Halle installierte Photovoltaik-Anlage durch eine Fehlfunktion den Brand ausgelöst. Dieser Großbrand vernichtete alles.
Das ökonomische Prinzip vor dem Großbrand war Gewinnmaximierung. In der Halle wurde „Produkt“ gelagert. Auf der Halle wurde massiv Strom erzeugt. Dann trat der Störfall ein.
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Und bis heute ist den wenigsten Menschen klar, dass nur eine günstige Wetterlage nicht zur Katastrophe geführt hat. Denn die alles erstickende Qualmwolke stieg sehr steil auf und verteilte Russ und giftige Stoffe weit übers Land, statt sich in die Städte Ludwigshafen und Mannheim zu verbreiten.
Glück gehabt haben sowohl die Menschen wie die BASF.
Keine Konsequenzen aus 2013?
Soweit ich weiß, hat der Störfall keinerlei Konsequenzen nach sich gezogen. Es gab keine Überprüfungen anderer Photovoltaik-Anlagen auf großen Flächen, wie sie Lagerhäuser bieten. Es gibt bis heute keine angepassten Krisenpläne. Es wird weitergemacht wie immer und so getan, als sei nichts passiert.

Zum Glück stieg dieser Qualm auf – eine andere Wetterlage und er hätte Tausende von Menschen bedroht und vermutlich getötet. Archivbild
Möglicherweise – da muss man die Ermittlungen abwarten und hoffen, dass die Behörden wie die Staatsanwaltschaft Frankenthal unerschrocken von der „Bedeutung“ der BASF ihren Job macht – ist alles zu sehr „just in time“.
Möglicherweise wurden Arbeiten an Rohrleitungen durchgeführt, ohne den Betrieb unterbrechen zu wollen. Möglicherweise wurde nur gewinnmaximierend gedacht und nicht sicherheitsorientiert.
Möglicherweise waren auch „dumme Jungs“, wie ich damals einer war, beschäftigt oder Arbeiter, die nicht ausreichend geschult und qualifiziert waren. Man muss abwarten, was die Ermittlungen ergeben.
Ende der Optimierung?
Möglicherweise ist der Standort BASF Ludwigshafen am Ende seiner Optimierungsmöglichkeiten angekommen und jede weitere Optimierung kann nur noch zu Lasten der Sicherheit gehen.
Diese Fragen sind keine Unterstellung, sondern offene Fragen, denen sich die BASF stellen muss. Diesen Fragen muss sich aber auch die Politik stellen und natürlich alle Kontrollbehörden.
Die BASF soll gutes Geschäft machen und erfolgreich sein. Aber sie muss auch verantwortlich agieren.
Ein Zeichen, das alarmiert, ist das Kommunikationsverhalten des Konzerns. Auch das ist vollständig optimiert. Soziale Medien werden bedient. Alles ist immer abgestimmt. Aber alles ist auch immer isoliert. Persönliche Nachfragen sind kaum möglich. Sich ein persönliches Bild zu machen geht schon mal gar nicht aus „Sicherheitsgründen“.
Unsere eigenen Anfragen an das Unternehmen wurden nicht beantwortet.
Verflechtungen
ZOA – die Abteilung für zentrale Öffentlichkeitsarbeit ist an Zahl der Mitarbeiter und beim Gehalt sowieso viel besser ausgestattet als die meisten Medien der Region. Anders ausgedrückt – man hat journalistisch weder bei der Manpower noch bei der Bezahlung für qualifizierte Fachkräfte auch nur ansatzweise eine Chance, da mitzuhalten.
Hinzu kommt, dass es teils enorme wirtschaftliche Verflechtungen zwischen Medien und der BASF gibt. Da geht es klipp und klar um existenzielle Entscheidungen. Wenn gewisse Zeitungen oder gewisse Fernsehsender hohe Werbevolumen oder Aufträge mit der BASF unterhalten – wer traut sich da noch kritische Berichterstattung, die diese existenziellen Einnahmen möglicherweise gefährden?
Wir haben, seit es das Rheinneckarblog gibt, noch keinen Euro mit der BASF verdient. Weder durch Werbung noch durch „Produktionsaufträge“. Ganz ehrlich? Wir hätten damit kein Problem. Weil wir jedem Kunden klar machen, dass Werbung und Redaktion klipp und klar getrennt sind. Wir arbeiten unabhängig oder gar nicht. So einfach ist das.
Vertrauensverlust ist begründet
Die BASF wäre gut beraten, wenn sie auch in Sachen Überprüfung eindeutig handeln würde. Werkseigene Messwagen darf sie einsetzen. Das ist ihr gutes Recht. Wer sich aber in den sozialen Medien umschaut, erkennt, dass die Menschen deren Ergebnisse nicht zu glauben bereit sind. Die einfache Frage ist: „Würde ich zugeben, dass ich Mist gebaut habe?“ Die Frage ist nicht banal, sie ist menschlich. Und klug.
Die Politik muss deshalb auch unabhängiger von „bedeutenden“ Unternehmen werden. Ebenso wie die Medien.
Der Idealfall sind Unternehmen, die Sicherheit ernst nehmen und keine Scheu haben, sich unabhängig prüfen zu lassen. Dieser Idealfall gilt auch für die Politik und für Medien.
Sie, liebe Rheinneckarblog-Leser/innen entscheiden selbst, ob die Dinge ideal sind.
Sie werden am Dienstag Heldengeschichten mit angedeutetem Journalismus lesen. Stories, die so tun, als ob. Stories von Leuten, die sich vom „PR-Sprech“ einlullen lassen. Denn Geschäft geht vor Aufklärung. Und wenn „etablierte“ Medienpartner auf etablierte PR treffen, kommt Sülze raus.
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