Rhein-Neckar, 17. März 2016. (red) Der Gemeindetag Baden-Württemberg drängt auf schlüssiges Konzept zur Integration der Flüchtlinge im Südwesten – und hat selbst eines vorgelegt. Egal, wer die neue Landesregierung stellen wird – die Finanzierungsfrage ist immer noch offen und die Gemeinden drängen auf die Übernahme der Kosten, um handlungsfähig zu bleiben. Die Antworten auf unseren umfangreichen Fragenkatalog hat der Roger Kehle, Präsident des Gemeindetags, in einer Antwort zusammengefasst, die wir hier als Gastbeitrag dokumentieren.
Von Roger Kehle
Die genauen Summen, die für die Anschlussunterbringung von Flüchtlingen in den Städten und Gemeinden zukommen werden, kann noch niemand beziffern, aber eines ist klar: Die Beträge werden in die Milliarden gehen.
Anschlussunterbringung in den Städten und Gemeinden bedeutet nämlich bei weitem nicht nur für ein Dach über dem Kopf zu sorgen. Bisher haben die meisten Menschen nur gesehen, wie die Flüchtlinge in den LEAS und den Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind.
Wohnungen, Betreuung, Arbeitsplätze
2016 werden aber sehr viele Menschen, nämlich die, deren Asylantrag anerkannt wird, direkt in die Städte und Gemeinden kommen. Dort leben sie dann nicht mehr in Gemeinschaftsunterkünften, sondern werden über die ganze Stadt oder Gemeinde verteilt. Anschlussunterbringung heißt also: Es müssen Wohnungen für die Menschen gebaut werden, sie müssen sozial betreut werden, sie müssen dabei unterstützt werden, Arbeitsplätze zu finden.
Insbesondere der Wohnungsbau wird hohe Kosten mit sich bringen, denn wir haben schon jetzt, ohne die Asylbewerber, in vielen Orten Wohnungsmangel. Wir werden auch Plätze für Kinder in Kitas, Kindergärten und Schulen benötigen. Es müssen unter Umständen neue Gebäude für Kitas und Schulen gebaut werden. Wir werden mehr ErzieherInnen, LehrerInnen und SchulsozialarbeiterInnen einstellen müssen.
In den Verwaltungen wird mehr Personal gebraucht, das sich um die Integration der Menschen kümmert. Auch die Mittel zur Unterstützung der ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer müssen aufgestockt werden. Um all das zu schaffen brauchen wir außer Geld unbedingt ein schlüssiges Konzept. Ein solches gibt es aber weder auf Landes- noch auf Bundesebene. Der Gemeindetag hat deshalb selbst ein solches Konzept erarbeitet und es der Landesregierung bereits im November 2015 zur Verfügung gestellt.
Wir brauchen Geld.
In diesem Konzept haben wir einen strukturierten und geordneten Integrationsprozess beschrieben. Maßgeblich ist, den Integrationsprozess vom gewünschten Ende her zu denken. Ziel muss es sein, die anerkannten Asylbewerber möglichst bald in die Lage zu versetzen, selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen und einen eigenen Beitrag zum Wohle unserer Gesellschaft zu leisten.
Allerdings wird dies auch bei optimalem Verlauf in den meisten Fällen erst nach einigen Jahren gelingen können. Neben der Frage der Unterbringung müssen daher auch frühzeitig die weiteren Integrationsschritte bedacht werden. Hier muss es jedoch unzweifelhaft auch für die Asylberechtigten selbst eine Pflicht zur Integration geben.
Fördern und Fordern
Der Spracherwerb, die Orientierung innerhalb unseres Rechts- und Wertsystems und die Vorbereitung auf eine berufliche Integration setzen maßgeblich die Mitwirkung der Asylberechtigten
voraus. Hier wäre es hilfreich, wenn wir diese Pflichten auch in einem auf Bundesebene zu erlassenden Integrationsgesetz verankern würden.
Denn nur mit einem Fördern und Fordern wird es uns gelingen, diese große Zahl an Menschen verträglich in unsere Gesellschaft zu integrieren.
Klar ist aber auch: Sollte die Integration scheitern, würden die Kosten für die öffentlichen Haushalte um ein Vielfaches höher ausfallen. Die weiteren Auswirkungen einer misslungenen Integration auf unsere Gesellschaft will man sich gar nicht ausmalen.
Von umso größerer Bedeutung ist es, dass die jetzt notwendigen finanziellen Mittel von Bund und Land zur Verfügung gestellt werden, und zwar schnell. Denn es darf nicht zu der Situation kommen, dass die Interessen der Bürgerinnen und Bürger in den Haushalten der Städte und Gemeinden hinter den ohne jeden Zweifel dringenden Notwendigkeiten der Integrationsaufgabe zurückstehen müssen.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat mehrfach öffentlich betont, dass er die Städte und Gemeinden nicht im Stich lassen wird. Bisher konnten sich Land und Kommunen nicht über die Kosten der Anschlussunterbringung einigen. Der Gemeindetag wird seine Forderungen auf Übernahme der Kosten für die Anschlussunterbringung aufrecht erhalten, unabhängig davon, wie die neue Landesregierung aussehen wird.
Die Städte und Gemeinden bereiten sich schon längst auf die Anschlussunterbringung vor, es bedarf allerdings nun einer Klärung der Finanzierungsfrage.
Der Gemeindetag Baden-Württemberg unterstützt seine Mitgliedsstädte und Mitgliedsgemeinden in allen Angelegenheiten der Kommunalpolitik und der kommunalen Verwaltung. Außerdem vertritt er die Belange der Mitgliedsstädte und Mitgliedsgemeinden gegenüber der Öffentlichkeit, den Parlamenten, der Regierung und den staatlichen Stellen. Als Interessenvertretung wirkt er mit, dass die entstehenden Gesetze und Verordnungen kommunale Notwendigkeiten berücksichtigen sowie einen finanziellen Ausgleich bringen und auf diese Weise eine praxisgerechte, bürgernahe Verwaltung möglich wird.
Von 1.101 Städten und Gemeinden unseres Landes gehören dem Gemeindetag Baden-Württemberg gegenwärtig 1.059 mit rund 7 Millionen Einwohnern (64 Prozent der Landeseinwohner) – die größte hat über 58.000 Einwohner, die kleinste weniger als 100 – an. Außerdem sind der Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg und die regionalen Rechenzentren Mitglied. Auch verschiedene Zweckverbände und gemeindliche Gesellschaften sind Mitglieder. Im föderativen Staatsaufbau der Bundesrepublik bilden die Kommunen die dritte Säule unseres Staates. Mit Bund und Land haben sie gemeinsam, dass ihre Willensbildung in Volksvertretungen erfolgt, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen sind. Die Stellung der Gemeinden in unserer Gesellschaft und die Pflichten von Bund und Land gegenüber den Gemeinden ergeben sich aus dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, aus der Verfassung des Landes Baden-Württemberg und aus der Gemeindeordnung für Baden-Württemberg. |