Rhein-Neckar/Heidelberg, 17. März 2022. (red/pm) Die Staatsanwaltschaft Heidelberg leitet ein Ermittlungsverfahren gegen einen Wiener Waffenhändler ein, der zwei Langwaffen an den 18-jährigen Studenten verkauft hatte, mit denen der Täter eine 23 Jahre alte Studentin am 24. Januar 2022 in einem Heidelberger Hörsaal erschossen hatte. Acht weitere Personen wurden leicht verletzt. Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft lag beim Täter vermutlich eine psychische Störung, eine narzisstische Persönlichkeitsstörung, vor. Er handelte allein. Ein politisches Motiv war nicht erkennbar.
Gemeinsame Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Heidelberg und des Polizeipräsidiums Mannheim
“Das Todesermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Heidelberg auf Grund der Amoktat vom 24.01.2022, bei der ein 18 Jahre alter Student in einem Hörsaal der Universität Heidelberg im Neuenheimer Feld mit zwei Langwaffen eine 23 Jahre alte Studentin getötet, insgesamt acht weitere Studierende leicht verletzt und sich anschließend selbst erschossen hatte (vgl. erste Pressemitteilung vom 24.01.2022), nähert sich dem Abschluss.
Mit den umfangreichen, akribischen und aufwändigen Ermittlungen der noch am selben Tag eingerichteten 32-köpfigen Ermittlungsgruppe „Botanik“ der Kriminalpolizeidirektion Heidelberg und der Staatsanwaltschaft Heidelberg (vgl. zu den ersten Ergebnissen dieser Ermittlungen die zweite Pressemitteilung vom 26.01.2022) wurden die Amoktat und ihre Hintergründe so weit wie möglich aufgeklärt.
Die Ermittlungsergebnisse erlauben nunmehr die Feststellung, dass der verstorbene 18 Jahre alte Mann, ein Einzelgänger ohne soziale Bindungen zu seinen Mitstudierenden, am Tattag mit zwei Langwaffen in einer Sporttasche in einem Taxi von seiner Wohnung in Mannheim ins Neuenheimer Feld in Heidelberg fuhr. Er handelte bei der Amoktat allein. Es gab keine Mittäter, bewussten Helfer oder Anstifter. Hinweise für sonstige Mitwisser, die der Verstorbene in seinen Tatplan eingeweiht hätte, fanden sich ebenfalls keine.
Das Tatmotiv konnte nicht mit letzter Sicherheit geklärt werden. Indes spricht einiges dafür, dass der Täter sich mit der Amoktat für eine in seiner Vorstellungwelt erlittene Kränkung hatte rächen wollen:
Im Zeitraum 2018 bis Anfang 2020 hatte sich der verstorbene Täter in ambulanter psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung befunden. In der zweiten Hälfte des Jahres 2018 war er für mehrere Wochen und Anfang 2019 für einige Tage stationär psychiatrisch behandelt worden. Für die Aufnahme in das Krankenhaus hatten jeweils akute Suizidvorstellungen oder sogar -versuche des Täters eine Rolle gespielt. Bei den Entlassungen waren dem Täter unterschiedliche psychiatrische Störungen bescheinigt worden. Zu diesen hatte – unter anderem – eine narzisstische Persönlichkeitsstörung gehört, die nach Einschätzung seiner Behandler mit starker Verminderung des Selbstwertgefühls und der Fähigkeit, Kritik zu akzeptieren, und folglich starker Steigerung der Kränkbarkeit des damals 15-jährigen Jugendlichen einhergegangen war.
Nach der ersten Einschätzung eines durch die Staatsanwaltschaft hinzugezogenen erfahrenen forensischen Psychiaters spricht vieles dafür, dass diese narzisstische Persönlichkeitsproblematik, die mit einer gesteigerten Kränkbarkeit, einem „Hass gegen sich selbst“ sowie einem sich hieraus entwickelndem Hass gegen beliebige andere Personen einhergehen kann, überdauerte und als maßgeblicher Grund für die Tat angesehen werden kann.
Es erscheint den Ermittlerinnen und Ermittlern plausibel, dass sich der Täter im Verlauf seines ersten Studiensemesters der Biowissenschaften an der Universität Heidelberg ab Herbst 2021, für das er im Juli 2021 nach Mannheim gezogen war, stark gekränkt und grundlegend missverstanden gefühlt haben könnte. Möglicherweise könnte in dieser – krankheitsbedingt übersteigert wahrgenommenen – Kränkung ein Motiv für die spätere Amoktat zu sehen sein.
Eine persönliche Vorbeziehung des Täters zu der getöteten Studentin, zu den verletzten oder zu den übrigen bei der Tat im Hörsaal anwesenden Studierenden konnte ebenso wenig festgestellt werden wie ein konkret durch diese Personen vermittelter Tatanlass.
Beweismittel, die bei der Durchsuchung der Wohnung des Täters aufgefunden wurden, lassen auf dessen intensive Befassung mit Videospielen des Typs „Egoshooter“ schließen. In den Monaten vor der Amoktat fertigte er zunehmend Screenshots aus seinen Videospielen an, die realistisch aussehende getötete Menschen zeigen.
Bis zuletzt keine belastbaren Anhaltspunkte haben sich für ein politisches, namentlich rechtsradikales Tatmotiv ergeben. Nach Abschluss der Ermittlungen ist davon auszugehen, dass sich der Täter im Jahr 2019 einmalig für eine Fördermitgliedschaft in der Partei „Der III. Weg“ interessiert, eine solche aber nie erhalten hatte, und darüber hinaus weder zu dieser Partei noch sonst in die rechtsradikale Szene Kontakte pflegte. Auch wenn sich noch weitere Hinweise dafür ergeben haben, dass der Täter als 15- bis 16-Jähriger zeitweilig mit rechtsextremen Ideologien sympathisiert haben könnte, sind keine Tatsachen bekannt geworden, die für die Annahme sprächen, dass diese Sympathie Anlass der Amoktat gewesen sein könnte.
Verschiedene Indizien legen nahe, dass der Mann seine Tat spätestens seit Dezember 2021 geplant hatte. Aller Wahrscheinlichkeit nach stand bereits am Beginn der Planungen der Entschluss, sich zur Tatausführung Schusswaffen zu beschaffen.
Zunächst erwog der Täter wohl, einen Jagdschein zu erwerben, und erkundigte sich Mitte Dezember im Internet bei einem Anbieter von Jagdausbildung nach dessen Konditionen. Inwieweit dieses Interesse tatsächlich zeitweise bestand oder ausschließlich vorgetäuscht wurde, um Waffen zu erwerben, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen.
Ende Dezember 2021 beantragte der Täter einen Studienkredit in Höhe von rund EUR 7.500, der ihm in der Folge auch gewährt wurde. Mit diesen Mitteln bestritt er später alle für den Erwerb der Schusswaffen erforderlichen Aufwendungen.
Auf den Erwerb von konkreten Waffen gerichtete Bemühungen unternahm der Täter erstmals Anfang Januar 2022, als er einen privaten Waffenverkäufer aus Wien per E-Mail kontaktierte. Dieser hatte im Internet eine Jagdwaffe zum Verkauf inseriert, teilte dem Täter allerdings mit, dass diese längst verkauft sei. Gleichzeitig bot er ihm eine andere Jagdwaffe aus seinem Bestand zum Kauf an. Im Verlauf der ersten Januarhälfte wurden die Beteiligten handelseinig. Vereinbart wurde auf Betreiben des Verkäufers, dass die Übergabe der Waffe in den Geschäftsräumen eines Waffengeschäfts in Wien erfolgen sollte, in dem der Privatverkäufer Stammkunde war.
Auch gegenüber den Personen in Österreich, die der Täter wegen des Erwerbes von Waffen kontaktierte, verschleierte er seine wahren Absichten dadurch, dass er sich als angehender Jäger ausgab, der Jagdwaffen erwerben wolle.
Zur vereinbarten Übergabe der von dem Privatverkäufer erworbenen Waffe an den Täter kam es am Nachmittag des 18.01.2022 in den Räumen des von dem Verkäufer vorgeschlagenen Waffengeschäfts in Wien. Dort hatte der Täter am Mittag desselben Tags – unmittelbar von dem Waffenhändler – noch eine weitere Waffe erworben, nämlich die Schrotflinte, mit der der Täter im Anschluss an die Tat Suizid beging. Diese Schrotflinte wurde ihm am 21.01.2022 in den Räumen des Waffengeschäfts übergeben. An jenem Tag erwarb er schließlich noch das Unterhebelrepetiergewehr, mit dem die Schüsse im Hörsaal abgegeben wurden. Dieses Gewehr wurde ihm zusätzlich zu der Schrotflinte dann sofort ausgehändigt. Die von dem Privatverkäufer erworbene Waffe beließ der Täter in dem von ihm angemieteten Hotelzimmer in Wien.
Der Erwerb von Schusswaffen der waffenrechtlichen Kategorie C, welcher alle drei der vom Täter erworbenen Waffen angehören, ist in Österreich unter einfacheren Voraussetzungen möglich als in Deutschland. Die nach österreichischem Waffenrecht geltenden formalen persönlichen Voraussetzungen des Erwerbers wurden vom Täter erfüllt. Bei der Durchführung des Waffengeschäftes selbst verlangt das österreichische Recht allerdings auch den Ablauf einer sogenannten „Abkühlphase“ von drei Tagen, die zwischen dem Abschluss des Kaufvertrages über die Waffe und deren Übergabe an den Käufer liegen muss.
Die Staatsanwaltschaft Heidelberg geht davon aus, dass diese „Abkühlphase“ in Bezug auf das Unterhebelrepetiergewehr nicht und in Bezug auf die Schrotflinte nicht vollständig eingehalten wurde. Das österreichische Waffenrecht sieht allerdings keine Sanktion im Falle eines solchen Verstoßes vor.
Die Staatsanwaltschaft Heidelberg sieht hingegen einen strafrechtlichen Anfangsverdacht der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung gegen den Inhaber des Wiener Waffengeschäftes und seinen Mitarbeiter, der den Täter bediente. Denn bei korrekter Einhaltung der „Abkühlphase“ wäre der Täter zum Tatzeitpunkt noch nicht im Besitz der beiden Waffen gewesen und hätte die Amoktat – jedenfalls zur gegebenen Zeit und in der gegebenen Art und Weise – nicht ausführen können. Die Staatsanwaltschaft Heidelberg hat daher förmliche Ermittlungsverfahren gegen diese beiden in Österreich wohnhaften Personen eingeleitet. Ob die insoweit noch andauernden Ermittlungen zu einem für eine Anklageerhebung hinreichenden Straftatverdacht führen werden, erscheint derzeit offen. Derzeit gelten die beiden Personen als unschuldig.
Rund um die Amoktat und die möglichen Tatabläufe kursierten in verschiedenen sozialen Medien falsche Nachrichten. Insgesamt wurden elf dieser „Fakenews“ registriert. Keine dieser Nachrichten ist dem Phänomen „Hate-Speech“ zuzuordnen. Es wurde lediglich ein Verfahren wegen des Verdachts der Verleumdung eingeleitet, nachdem eine Person des öffentlichen Lebens als Amokläufer denunziert wurde.”
Hier die Übertragung der Pressekonferenz nach der Tag auf unserer Facebook-Seite: