Mannheim/Weinheim/Stuttgart, 17. Dezember 2014. (red/pro) Nach acht Wochen Kampf hat Hans-Ulrich Sckerl aufgegeben – er verlässt den NSU-Untersuchungsausschuss, ebenso Daniel Lede Abal. Der Grund ist ein hehrer: Er will mit der persönlichen Konsequenz eine erfolgreiche Arbeit des Ausschusses nicht behindern. Ob das so eintritt, ist fragwürdig.
Von Hardy Prothmann
Nun ist es also vorbei für Hans-Ulrich Sckerl (63), stellvertretender Fraktionsvorsitzender und parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen. Die „Gutachten“Affäre hat er überstanden – dass sich Anwälte der NSU-Opfer aber negativ über ihn in den Stuttgarter Nachrichten äußerten, das war zuviel.
Das ist eine Hypothek, mit der ich die Arbeit nicht machen kann. Es gibt Situationen im Leben, da muss man zurückstecken, um die Sache nicht zu behindern. Die Aufklärung ist wichtiger und muss stattfinden.
Treibende Kraft
Wie bitter für den Weinheimer Landtagsabgeordneten – er war die treibende Kraft für einen Untersuchungsausschuss (UA). Er forderte die Aufklärung der NSU-Verbindungen in Baden-Württemberg und insbesondere die Aufklärung der Ermordung der Polizistin Michèle Kiesewetter 2007 in Heilbronn. Die SPD wollte lange nicht mitgehen, dann kam der Kompromiss – die Enquête-Kommission. Eine lahme Ente im Vergleich zu einem UA.
Herr Sckerl gilt als „Schaffer“ und ist der erfahrenste Abgeordnete der Grünen. Bei der vergangenen Landtagswahl war er gemessen an der Steigerung von 12 auf 24 Prozent einer der erfolgreichsten Wahlsieger – wenngleich das Direktmandat an die CDU ging, Georg Wacker verlor aber drastische sieben Prozent.
Affäre überstanden – Hypothek zu hoch
Der frühere Handballspieler ist die harte Gangart gewohnt: Er trieb Mappus vor sich her und peinigte die CDU, wo er nur konnte. Und die „Gutachten-Affäre“? Da wollte er zuviel: Die genauen Umstände sind bis heute nicht geklärt, das Ziel aber ist klar. Herr Sckerl wollte erreichen, dass man möglichst viele Zeugen möglichst hart befragen kann. Dabei machte er den Fehler, intransparent zu sein. Bei den an den politischen Gegner angetragenen hohen moralischen Maßstäben ein Eigentor.
Die Affäre hatte er eigentlich überstanden. Die rote Karte waren negative Äußerungen der Opfer-Anwälte gegen ihn. Diese moralische Keule war zuviel.
Fraglich ist, warum die Anwälte sich so geäußert haben. Die SPD hat lange gemauert und den Vorsitz im UA führt die CDU – die Partei, in deren Regierungszeit die Umtriebe der NSU und der Mord an Kiesewetter fallen. Beide Parteien sind nicht durch ihren Aufklärungswillen aufgefallen. Warum die Opfer-Anwälte ausgerechnet den vom Platz holen, der klar für Aufklärung steht, ist mysteriös.
CDU kartet nach – und steht nun selbst im Fokus
Und die CDU – die legt schon fast bösartig nach: „Heute ist ein guter Tag für die Hinterbliebenen der NSU-Opfer“, verlautbaren der noch-Fraktionsvorsitzende Peter Hauk und der CDU-Obmann im NSU-Untersuchungsausschuss Matthias Pröfrock. Das klingt fast, als wären diese durch Sckerl zu Schaden gekommen.
Die CDU freut sich aktuell, dass sie Sckerl beschädigt hat und losgeworden ist. Doch über die Folgen hat anscheinend niemand nachgedacht. Da das angebliche „Problem jetzt weg ist“, gibt es keinen mehr, auf den man die Schuld schieben kann. Die CDU steht jetzt voll im Fokus und muss zeigen, dass unter ihrem Vorsitz nichts verzögert wird.
Am 23. und 26. Januar soll die eigentliche Arbeit beginnen. Bis zu 20 Termine soll es geben, was „sportlich“ ist. Mit Sckerl hätten sie einen „Schaffer“ gehabt – jetzt müssen andere die Arbeit machen oder auch nicht. Sckerl war beschädigt – dieser Sündenbock fehlt nun. Und jetzt sind CDU/SPD am Ende die, die eben keine Aufklärung geschaffen haben. Der baden-württembergische NSU-UA bleibt spannend, wichtig und wird sich auf den Wahlkampf auswirken. Die CDU ist nun voll in der Verantwortung. Als Nicht-Aufklärer dazustehen, könnte der CDU viel mehr schaden, als der Versuch, einen Sckerl zu bremsen – doch soweit hat anscheinend niemand gedacht.
Und die Opfer-Anwälte? Handeln die wirklich im Interesse ihrer Mandanten? Das muss man sich tatsächlich fragen. Auf Anfrage zeigte sich Herr Sckerl tiel errschüttert: „Dieses Misstrauen verstehe ich nicht, das verletzt mich persönlich. Es hat keiner der Anwälte mit mir gesprochen – ich habe diese nun angeschrieben und um Erklärungen gebeten.“
So wurden um das wichtige Thema Aufklärung der NSU-Verstrickungen viele strategische Fehler gemacht. SPD und CDU verzögerten, die Enquête war eine Verlegenheitslösung, Sckerl war zu motiviert, die Opfer-Anwälte haben sich möglicherweise instrumentalisieren lassen, der UA hat immer noch nicht wirklich mit der Arbeit angefangen und die CDU hat jetzt den Hut auf und steht in voller Verantwortung.
Auf Herrn Sckerl als Obmann folgt der Ulmer Abgeordnete Filius, der auch Vorsitzender im zweiten Schloßgarten-Untersuchungsausschuss ist. Für Daniel Lede Abal rückt Petra Häffner (Schorndorf) nach.
Hinter all diesen taktischen Fehlern stehen grundsätzliche taktische Überlegungen – die Grünen wollten die SPD nicht vergraulen, die mit der CDU liebäugelt. Die Grünen wollen es sich aber auch nicht komplett mit der CDU verscherzen und die CDU hat sicher wenig Interesse, Missstände ihrer Regierungsverantwortung aufzudecken. Leider gibt es viel zu viel parteilpolitisches Taktieren, statt echtem Aufklärungsinteresse. Sckerl hat den Weg frei gemacht – jetzt gibt es keine Ausflüchte mehr.
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