Mannheim/Rhein-Neckar, 17. Februar 2016. (red/ms) Es ist eine nicht enden wollende Leidensgeschichte: Wieder musste ein Urteil im historischen Drogenprozess am Mannheimer Landgericht aufgeschoben werden. Kurzfristig hatte Rechtsanwalt Tom Siebert, Verteidiger des Angeklagten Berhard C., weitere Beweisanträge eingereicht. Oberstaatsanwalt Jochen Seiler und der Vorsitzende Richter Gerd Rackwitz sehen dabei “Anzeichen für die Absicht der Prozessverschleppung”. Sollte sich dieser Verdacht bewahrheiten, ginge das wohl vor allem auf die Kosten der Steuerzahler.
Von Minh Schredle
Oberstaatsanwalt Jochen Seiler schüttelt entrüstet den Kopf. Am Dienstag hätte endlich ein Urteil verkündet werden sollen – doch das verzögert sich nun. Um mindestens eine Woche, womöglich sogar noch länger. Wütend richtet sich Staatsanwalt Seiler an den Verteidiger Tom Siebert – und wirft ihm vor:
Das nimmt ja beinahe schon absurde Dimensionen an. Ihr Ziel ist es doch nur, den Prozess zu verschleppen.
Rechtsanwalt Siebert ist einer von zwei Pflichtverteidigern des Angeklagten Bernhard C. – dem wird unter anderem eine Beteiligung am Drogenhandel mit Amphetamin, Kokain und Marihuana zur Last gelegt. Doch das Verfahren zieht sich, inzwischen schon mehr als 1,5 Jahre.
Es ist ein Prozess von historischen Ausmaßen: Im Oktober 2013 entdecken Fahnder etwa 150 Kilogramm Amphetamin in Ludwigshafen, außerdem ein Kilo Kokain und fast zwei Kilo Haschisch. Die Drogen wurden mutmaßlich auch in Mannheim und Berlin vertrieben. Am 24. Juni 2014 beginnt vor dem Mannheimer Landgericht die Hauptverhandlung gegen elf Angeklagte.
Seitdem kam es immer wieder zu Verzögerungen und Problemen. Da Staatsanwaltschaft und Polizei von einer Verbindung der Angeklagten zu internationalen Drogenbanden und einer Rocker-Gang ausgehen, sind die Sicherheitsvorkehrungen enorm: An jedem einzelnen Verhandlungstag standen mit Maschinenpistolen bewaffnete Polizisten vor dem Haupteingang des Landgerichts, sämtliche Besucher werden sorgfältig abgetastet und durchsucht, bevor sie einen Verhandlungssaal betreten durften.
Komplexe Verstrickungen
Nach 66 Verhandlungstagen scheitert die erste Hauptverhandlung: Der vorsitzende Richter Michael Seidling erkrankt langfristig. Laut Strafprozessordnung darf eine Hauptverhandlung aber höchstens für sechs Wochen unterbrochen werden. Der Prozess wird schließlich im Juli 2015 zwischenzeitlich beendet und seit September vergangenen Jahres wieder aufgerollt.
Jetzt ist Gerd Rackwitz der Vorsitzende Richter und mittlerweile ist es gelungen, zumindest einen der Beschuldigten zu verurteilen, nachdem dieser ein Geständnis abgelegt hatte. Der 44-Jährige muss nun eine Haftstrafe von 6,5 Jahren verbüßen, da er Dealer mit etwa einer Tonne Apaan beliefert haben soll, einer Chemikalie, aus der sich Amphetamin herstellen lässt.
-Anzeige- |
Gegen die zehn anderen Beschuldigten läuft der Prozess dagegen noch immer. Und das wird er vermutlich noch eine ganze Weile, denn es geht zäh voran in den Gerichtssälen. Der Fall des Beschuldigten Bernhard C. wurde von der Hauptverhandlung abgetrennt und wird nun gesondert behandelt.
Richter und Staatsanwaltschaft reagieren ungehalten
Vergangenen Dienstag sitzt C. mit missmutigem Gesichtsausdruck auf der Anklagebank. Vor ihm steht eine Dose mit Lutschdrops, an der er sich gelegentlich bedient. Er sieht verschlagen aus. Tiefe Augenringe und eingefallene Wangen; lichtes, helles Haar und ein Stoppelbart mit leichtem Rotstich.
Sein Verteidiger Tom Siebert will noch zwei Beweisanträge einbringen, obwohl für den Verhandlungstag eigentlich schon die Urteilsverkündung angesetzt war – das verärgert Oberstaatsanwalt Jochen Seiler und sogar den Vorsitzenden Richter Gerd Rackwitz.
Herr Siebert will weitere Zeugen vernehmen lassen, unter anderem offenbar die Ehefrau des Angeklagten. Laut Herrn Seiler seien die Beweisanträge der Verteidigung nur darauf ausgelegt, das Verfahren noch weiter zu verschleppen. Teils hätten sie “den Charakter einer Behauptung ins Blaue hinein” – etwa wenn postuliert würde, der Kofferraum eines Fahrzeugs, das zum Transport von Drogen verwendet worden sein soll, habe gar nicht genug Fassungsvermögen, um so große Mengen von Drogen zu verstauen, die in der Anklage vorgeworfen werden.
“Anzeichen für die Absicht der Prozessverschleppung”
Herr Seiler fordert schließlich, die Beweisanträge abzulehnen. Die Kammer zieht sich zur Beratung zurück. “Die Sitzung wird für eine halbe Stunde unterbrochen,” heißt es. Nach einer halben Stunde dann die Information: “Wir brauchen noch eine halbe Stunde”. Dann, nach einer weiteren halben Stunde, sagt Richter Rackwitz:
Das Verfahren wird heute nicht zu Ende gebracht. Es ist nicht möglich in so kurzer Zeit eine Entscheidung über die Anträge zu treffen.
Einen Raunen geht durch den Raum. Wieder schüttelt Oberstaatsanwalt Seiler verärgert den Kopf. Die Verhandlung soll nun am Freitag, dem 26. Februar, fortgesetzt werden, verkündet Herr Rackwitz außerdem. Nur noch bis zu diesem Datum solle es möglich sein, weitere Beweisanträge zu stellen. Der Richter wendet sich an den Rechtsanwalt Siebert – und sagt:
Die Kammer sieht Anzeichen für die Absicht der Prozessverschleppung.
Es gebe eine Reihe von bedenklichen Vorfällen. Beispielsweise schildert Herr Rackwitz, wie ein Verhandlungstag abgebrochen werden musste, weil kein Anwalt des Angeklagten anwesend war. Die Verhandlung hätte um 09:00 Uhr beginnen sollen – um 09:20 Uhr habe das Gericht dann eine Mail des Rechtsanwalts Siebert erreicht, dass er aufgrund von Rückenschmerzen verhindert sei.
“Höchst ungewöhnlich”
Auch dass die Beweisanträge so plötzlich und so kurz vor der Urteilsverkündung eingebracht worden wären, bemängelte der Vorsitzende Richter: Außerdem wirft er Herrn Siebert vor:
Sie wollten ja eigentlich schon am 09. Februar plädieren. Aber dann sind Sie nicht gekommen.
Der Rechtsanwalt wies diese “Anschuldigungen” zurück: “Nur um das klarzustellen, ich hätte auch heute eigentlich gar nicht hier sein müssen. Ich bin sogar gegen die ausdrückliche Empfehlung meines Arztes hier. Fragen Sie meinen Arzt, der wird Ihnen bescheinigen können, wie es um meine Gesundheit steht.” Richter Rackwitz ließ sich davon wenig beeindrucken und blieb bei seiner Einschätzung, dass das Verhalten der Verteidigung “höchst ungewöhnlich sei”.
Im nicht enden wollenden Drogenprozess gab es schon eine ganze Reihe von Anträgen mit eher fragwürdigen Erfolgsaussichten. Dadurch wurde die Verhandlung verzögert. Laut einem Bericht der Rhein-Neckar-Zeitung erhalten Pflichtverteidiger eine Entlohnung in Höhe von etwa 500 Euro pro Verhandlungstag – die werden aus der Staatskasse vorfinanziert. Theoretisch müssten Angeklagte im Falle einer Verurteilung für die Gerichtskosten aufkommen. Faktisch lässt sich das Geld eher selten zurückgewinnen.