Mannheim/Rhein-Neckar, 17. Mai 2014. (red/ms) Der Mordprozess Gabriele Z. hat anfangs viel Medienaufmerksamkeit erhalten. Unser Reporter Minh Schredle hat an allen Prozesstage durchgehend teilgenommen – am Mittwoch und Donnerstag war bis auf eine Stunde kein anderer Reporter im Gerichtssaal. Dabei waren insbesondere diese beiden Tage spannend – die Zeugenaussagen werfen ein schlechtes Licht auf die Arbeit der Polizei.
Von Minh Schredle
Emil S. wurde von drei Polizisten verhört. Zwei von ihnen waren schon beim Zugriff in Grünstadt anwesend. Sie seien dazu gekommen, als der Angeklagte mit einem ihrer Kollegen auf einem Sofa saß und befragt wurde.
Eine der Strafverteidiger des Angeklagten, Inga Berg, fragte jeden einzelnen der als Zeugen vernommenen Polizisten, ob sie Emil S. zu diesem Zeitpunkt schon als Beschuldigten angesehen hätten. Die Antwort war eindeutig – alle drei bejahten dies.
Das steht im Gegensatz zu einer vorherigen Aussage eines Kollegen. Dieser habe angeblich „keinen Grund gesehen, den Angeklagten zu verdächtigen“. Das erscheint mir sehr unglaubwürdig. Man fand das Handy der Getöteten im Nachttisch von Emil S.. Und da behauptet ein Ermittler, dass das kein Grund wäre, ihn zu verdächtigen?
Polizistenaussagen widersprechen sich
Die Behauptung könnte folgenden Grund haben: Wer einer Straftat beschuldigt wird, muss über seine Rechte belehrt werden. Und dann darf der Beschuldigte schweigen und einen Anwalt verlangen. Wollte man dies vermeiden?
In verschiedenen Vermerken der Polizei ist angegeben, dass dem Angeklagten die vorläufige Festnahme durch einen bestimmten Kollegen erklärt worden ist – dieser Kollege streitet das jedoch ab. Es hat offenbar niemand gemacht. Etwas kleinlaut gesteht eine Polizistin ein:
Wie hätten wir denn das auch tun sollen? Schließlich war es unmöglich, mit ihm zu kommunizieren.
Eine Möglichkeit wäre gewesen, einen Dolmetscher zu verständigen. Zur Not hätte man dem Verdächtigen auch übers Telefon seine Rechte erklären können, vielleicht auch durch einen türkisch sprechenden Polizeibeamten. „Unmöglich“ ist die ordentliche Belehrung über seine Rechte jedenfalls ganz sicher nicht gewesen.
Nach den bisherigen Schilderungen ergibt sich folgendes Bild: Weil man sich nicht mit ihm verständigen konnte, legte man ihm einfach Handschellen an und nahm ihn mit, ohne ihm zu erklären, warum. Ein möglicher Fall von Freiheitsberaubung – der mutmaßliche Mörder könnte die Polizisten wegen dieser Schlampereien verklagen. Seine Aussichten auf Erfolg stünden wohl gar nicht mal so schlecht.
Die Fahrt zum Polizeipräsidium ist nach den Darstellungen der Polizisten wortlos verlaufen. Man sei jedoch eine „ungewöhnliche Route“ gefahren, die am Tatort vorbei führte. Der Angeklagte habe dabei „keine auffällige Reaktion“ gezeigt.
Auf dem Revier wurde Emil S. zuerst eine Speichelprobe entnommen. Das geschah angeblich freiwillig. Es liegt eine durch den Angeklagten unterzeichnete Einwilligungserklärung vor. Inzwischen hatte man es nämlich geschafft, eine Dolmetscherin zu verständigen. Diese soll Emil S. das Formular Wort für Wort übersetzt haben – obwohl es das Formular auch auf Türkisch gibt, was Emil S. flüssig sprechen und lesen kann. Offenbar hat der Angeklagte kein bisschen verstanden, worum es dabei ging. Er fragte nach, was DNA denn überhaupt sei. Aber niemand kann sich daran erinnern, es ihm erklärt zu haben.
Suspekte Übersetzerin – wurde der Angeklagte übervorteilt?
Letztendlich hat er wohl einfach unterschrieben und sich die Speichelprobe entnehmen lassen. Erst danach ist er formal belehrt worden, dass er Tatverdächtiger in einem Mordfall ist. Dieses Formular gibt es sogar auf bulgarisch, der Muttersprache des Angeklagten. Trotzdem ließ man auch hier lieber die Dolmetscherin das auf deutsch verfasste Formular übersetzen.
Alle Polizisten sagen aus, der Angeklagte habe sich zu Beginn der Vernehmung fragend an die Dolmetscherin gewandt. Eine Polizistin habe dann umgehend nachgehakt:
Was hat er gesagt? Übersetzen sie.
Das macht nur unter der Bedingung Sinn, dass es entweder einen Dialog zwischen den beiden gegeben hat oder die Dolmetscherin nicht sofort übersetzt hat. Die Dolmetscherin will sich überhaupt nicht erinnern können, dass es eine solche Szene gegeben hat.
Interessant ist dieser Aspekt vor allem wegen des Inhalts: Der Angeklagte soll gegenüber seinen Anwälten ausgesagt haben, die Dolmetscherin habe ihm zu Beginn der Vernehmung dazu geraten, die Fragen zu beantworten. Sollte dies zutreffen, wäre das eine unerlaubte Beeinflussung des Zeugen.
Die Dolmetscherin meint, mit Sicherheit ausschließen zu können, dass sie etwas nicht unmittelbar übersetzt hat. Rechtsanwalt Endler beantragt ihre Vereidigung. Das Gericht zieht sich mehrere Minuten zur Beratung zurück. Schließlich wird der Antrag abgelehnt.
Diese Zeugenvernehmung ist suspekt. Die Aussagen der Dolmetscherin wirken ohnehin teilweise unglaubwürdig und unzuverlässig. Mehrmals äußert sie sich als „vollkommen sicher“. Wenn ihr dann etwas vorgehalten wird, das damit überhaupt nicht übereinstimmt, sagt sie:
Ich glaube nur, dass es so war. Schließlich ist das jetzt sieben Monate her.
In vielen Details sind ihre Schilderungen unvereinbar mit dem, was die Polizisten sagen. Die Zeugin wurde im Mannheimer Landgericht in einem anderen Verfahren schon einmal als Dolmetscherin ausgewechselt. Denn ein Verteidiger hatte eine nachweislich falsche Übersetzung vorgelegt. Diesen Verteidiger soll sie dann als „Ratte“ bezeichnet haben.
Sie hat sich einen Rechtsanwalt als Zeugenbeistand mitgenommen. Den Grund will sie nicht nennen und das muss sie auch nicht. Trotzdem ist das auffällig: Wenn man sich angeblich an keinen prekären Vorfall erinnern kann, an nichts, was man vielleicht falsch gemacht haben könnte – weswegen braucht man dann einen Anwalt als Beistand?
Kein Anwalt für den Verdächtigen
Nach den Schilderungen der Polizisten habe die Dolmetscherin in der Vernehmung schließlich gesagt:
Er hat mich gefragt, was er denn jetzt machen solle.
Die Polizistin habe darauf hin gesagt:
Das müssen Sie selbst wissen.
Schließlich habe der Angeklagte sich dazu bereit erklärt, Angaben zu machen, ohne zunächst nach einem Anwalt zu verlangen. Er habe allerdings gefragt, ob er rauchen dürfe. Darauf antwortete die Polizistin:
Nein. Hier im Gebäude wird nicht geraucht.
Es wäre überhaupt kein Problem gewesen, die Vernehmung zu unterbrechen, wenn der Beschuldigte nur gefragt hätte, ob er denn rausgehen dürfe, um dort zu rauchen. Das betonen alle Polizisten, die vom Gericht zu der Vernehmung befragt wurden. Dass man es ihm hätte anbieten können, und dass die Äußerung auch als grundsätzliches Verbot verstanden werden könnte, kam ihnen scheinbar nicht in den Sinn. Einer der Polizisten sagte jedoch, für sie sei es „besser, wenn die Befragten nicht rauchen“. Warum erwähnt er allerdings nicht.
Die erste Vernehmung von Emil S. dauerte von 18:45 Uhr bis 22:55 Uhr. In dieser Zeit gab es zwei Unterbrechungen, jeweils etwa zehn Minuten. In der einen durfte der Beschuldigte auf die Toilette. Die andere kam dadurch zustande, dass der Angeklagte laut Vernehumgsprotokoll folgendes äußerte:
Ich sage jetzt gar nichts mehr. Ich will zuerst einen Anwalt. Ihr lasst mich nicht rauchen. Was seid ihr für Menschen? Mein Kopf ist verwirrt. Ich will einen Anwalt.
Dann gab es eine Pause. Bemühungen, ihm einen Anwalt zu besorgen, wurden keine gemacht. Das war in den Augen der Polizisten nicht notwendig:
Es ging ihm ja nur um die Zigarette. Einen Anwalt wollte er gar nicht wirklich.
Also gingen sie mit ihm zum Rauchen nach draußen. Die Polizisten sagen, sie halten es für wahrscheinlich, dass dem Befragten der Druck zu groß wurde:
Wir konfrontierten ihn mit Widersprüchen. Ihm wurde offenbar klar, dass wir ihm seine Lügen nicht abnehmen. Daher wollte er wohl die Unterbrechung.
Der Angeklagte hat zwei Sachen verlangt: Eine Zigarette und einen Anwalt. Auf eine Forderung wurde eingegangen, die andere wurde vollkommen ignoriert. Den Wunsch nach einem Anwalt hat er sogar zwei Mal geäußert, ohne dass jemand irgendwie darauf eingegangen ist. Vielleicht gab es auch einfach kein Interesse daran, dass der Angeklagte von seinen Rechten Gebrauch macht.
Schlamperei der Polizei als „großes Wagnis“
Sorgfältige Arbeit wurde allem Anschein nach durch die Polizei jedenfalls nicht geleistet. Dazu hätte gehört, sich nach der Unterbrechung zu erkundigen, ob er denn immer noch einen Anwalt wolle. Auch das ist nicht geschehen. Stattdessen fragte man ihn, wie es ihm gehe. Der Beschuldigte habe geantwortet:
Schlecht. Mir werden hier schlimme Vorwürfe gemacht.
Dann habe man gefragt, ob er sich in der Lage fühle weiter zu machen. Das habe er bejaht, also habe man die Vernehmung „guten Gewissens fortsetzen können“. Rechtsanwalt Maximilian Endler hakte nach und fragte die Polizistin:
Haben Sie jemals ein Wagnis darin gesehen, den Wunsch nach einem Anwalt zu ignorieren?
Das habe sie nicht, antwortet sie. Tatsächlich ist es aber ein sehr großes Wagnis. Denn der Angeklagte hätte zumindest nach der Unterbrechung und seinem Wunsch nach einem Anwalt ein weiteres Mal über seine Rechte belehrt werden müssen – das sei laut Rechtsanwalt Endler die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes.
Aber auch das ist nicht geschehen. Vor Gericht wurden bisher nur Fragen gestellt, die sich auf die Formalitäten der Vernehmung bezogen haben. Wenn dabei nämlich Fehler gemacht worden sind, dürfen die Inhalte nicht in die Beweisaufnahme mit einfließen.
Noch hat das Gericht nicht darüber entschieden, ob die Fehler schwerwiegend genug sind, die polizeiliche Vernehmung nicht verwerten zu können. Unabhängig davon, wie der Beschluss ausfällt, wirft das Vorgehen der Polizei ein schlechtes Licht auf deren Arbeit. Denn sie gefährdet damit möglicherweise die Verwendung von Beweisen – im Extremfall wäre sogar ein Freispruch denkbar. Für die schlampige Arbeit droht den Polizisten keine Konsequenz.