Rhein-Neckar, 17. November 2014. (red/me) Das amerikanisch-europäische Freihandelsabkommen TTIP ist für viele ein Fragezeichen, für andere ein rotes Tuch und Anlass zu Protesten. Im Kern geht es bei der Kritik um die Frage, ob freier Handel dazu führt, dass Unternehmen unsere Demokratie aushebeln können. Und es geht um Ängste vor den Folgen eines unkontrollierten Handels.
Von Mathias Meder
“Die Abschaffung von Zöllen und nicht-tarifären Handelsschranken ist ein Programm für Wachstum und Arbeitsplätze, das uns so gut wie nichts kostet”, so der TTIP-Befürworter und Europaabgeordnete Daniel Caspary (CDU) aus Stutensee bei Bruchsal. Er sitzt im Ausschuss für internationalen Handel des Europäischen Parlaments.
Prinzipiell soll TTIP den Handel erleichtern
Im Prinzip geht es bei TTIP, dem amerikanisch-europäischen Freihandelsabkommen (Trans-Atlantic Trade and Investment Partnership) darum, weder durch Zölle, noch durch andere Dinge den Handel zu erschweren. Kurz gesagt: Alles, was den Handel behindert, soll entfallen. Und genau hier setzen die Ängste ein. Denn Verbraucherschutzvorschriften erschweren den Handel mit Lebensmitteln genauso wie Normierungen bei Industriegütern. Denn beim Handel mit den USA wirken unterschiedliche Normen und Standards praktisch wie Schranken, die den Handel behindern. Ein Beispiel hierfür sind unterschiedliche Vorschriften zu Blinkern, Heckleuchten und ähnlichem an Auto. Den Vorteil einheitlicher EU-Stecker hat schließlich auch jeder inzwischen schätzen gelernt. Würde es zukünftig den EU-USA-Stecker an Laptops und Rasierapparaten geben, dann wäre das Reisen für Amerikaner und Europäer ebenfalls leichter.
Wer hat Angst vor dem Chlor-Huhn?
Aber auch bei Nahrungsmitteln gibt es große Unterschiede. Daher kommt kaum ein Beitrag über TTIP ohne das Chlorhühnchen aus. Es steht beispielhaft für die Ängste der Europäer vor US-Produkten, die plötzlich auch in deutschen Supermärkten landen könnten. Dabei wird vergessen, dass auch die deutschen Hühnchen mit Antibiotika behandelt werden. Nur wenn “bio” draufsteht, muss auch bio drin sein – daran wird sich aber auch mit TTIP nichts ändern. Denn die Auszeichnungspflicht soll sich nicht ändern. Der Verbraucher muss sich an der Kühltheke entscheiden, ob er lieber zum Chlor-Hühnchen, zur Antibiotika-Pute oder zum Bio-Geflügel greift. Alles bleibt also, wie es ist – nur das „Chlorhühnchen“ kommt noch dazu.
Seit Mai 2013 verhandeln die Europäische Kommission und Regierungsvertreter der USA über das Abkommen, das durch den Wegfall von Zöllen und Handelshemmnissen dazu führen soll, dass die europäischen Verbraucherinnern und Verbraucher in Zukunft US- Waren und Dienstleistungen zu niedrigeren Preisen einkaufen können. Umgekehrt sollen Unternehmen aus der Europäischen Union beim Export Kosten einsparen und somit ebenfalls profitieren und neue Arbeitsplätze schaffen.
Einen Monat vor Verhandlungsbeginn bekräftigte der Ausschuss mit der Stimme von Caspary, dass die EU mit den USA über das Freihandelsabkommen verhandeln soll. Abgesehen von zwei Ausnahmen, nämlich Thomas Ulmer (CDU) und Ismail Ertug (SPD), haben auch die übrigen Abgeordneten der CDU, SPD und FDP im Europaparlament dafür gestimmt. Lediglich die Grüne und Linke haben gegen den vorgelegten Verhandlungsauftrag votiert.
Fehlende Transparenz – dubiose „Gerichte“
Warum also die Aufgeregtheit? – Weil außer den Verhandlungsführern niemand weiß, was wirklich noch in TTIP drinstecken wird. Denn die Verhandlungen laufen geheim ab und Caspary und seine Abgeordnetenkollegen bekommen selbst nur spärliche Informationen. Erst nachdem tausende Menschen europaweit gegen TTIP auf die Straße gingen und Druck machten, machte die Europäische Kommission im Oktober 2014, alsoerst eineinhalb Jahre später, den Auftrag öffentlich, den sie von Parlament und Regierungschefs bekommen haben und worüber zu verhandeln ist. Doch zuvor waren Teile des Verhandlungsauftrags bereits öffentlich geworden und haben weitere Ängste geschürt.
So ist der größte Kritikpunkt an TTIP auch weniger das Chlor am US-Hühnchen, sondern die Absicht, für Streitfragen eigene Schiedsgerichte einzurichten. Diese jedoch wären dann keine staatlichen Gerichte, sondern mit Anwälten und Experten besetzte Gremien – benannt durch die Unternhemen. Die Aushöhlung des Rechtsstaates könnte man das auch nennen. Denn diese Schiedsgerichte sind intransparent und Unternehmen können willkürlich gegen einzelne Staaten klagen. Stets mit dem Ziel, auf diesem Wege unliebsame Gesetze, die den Handeln behindern, auszuhebeln. Und da auf Seiten der Unternehmen hochspezialisierte Anwälte agieren und die „Gerichte“ keine sind – hier handeln Anwälte untereinander „Unternehmensinteressen“ aus.
Unternehmen könnten Staaten verklagen
Es sind zudem recht einseitige Schiedsstellen: Die Unternehmen können die Staaten verklagen, umgekehrt jedoch nicht – wieso sollen die Unternehmen solche Privilegien erhalten? Natürlich haben auch EU-Konzerne ein Interesse daran, dass dieses “Investor-State Dispute Settlement” (ISDS), ein Bestandteil des Freihandelsabkommens wird. Denn auch für sie wäre so eine Umgehung der staatlichen Gerichtsbarkeit zu Gunsten selbst geschaffener Schiedsgerichte möglich. Würde man hingegen die Schiedsgerichte einfach aus den Verhandlungen streichen, dann müssten die Unternehmen vor den staatlichen, nationalen Gerichten klagen. Das kommt auch heute schon vor, wie beispielsweise die Klagen der Atomkonzerne gegen die deutsche Bundesregierung zeigen. Und wenn man vermeiden will, dass den US-Firmen auch zukünftig 28 nationale Gerichtsbarkeiten in den EU-Mitgliedsstaaten gegenüberstehen, dann müsste eben vor einem europäischen Gericht geklagt werden können. Dies entsprechend zu regeln, sollte auch innerhalb der EU leistbar sein.
Gerade wurden die Verhandlungen zum Freihandelsabkommen mit Kanada abgeschlossen – dieses gilt als Vorbild für TTIP. Auch CETA wurde geheim verhandelt, an den Parlamenten vorbei. Im Verhandlungsergebnis von “CETA” (Comprehensive Economic and Trade Agreement) sind Schiedsgerichte vorgesehen und so wird nun auch CETA in den Fokus des Protests genommen. Die Zulassung einer Europäischen Bürgerinitiative (EBI) gegen TTIP und CETA wurde zunächst von der EU-Kommission abgelehnt. Gegen dieses Votum wird inwzischen vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) geklagt. Wäre der Protest gegen CETA erfolgreich, dann müsste auch TTIP neu verhandelt werden. Ohne Schiedsgerichte im Abkommen mit Kanada gäbe es keinen Grund, sie in das Abkommen mit den USA aufzunehmen. Und umgekehrt. Denn wieso sollte man Schiedsgerichte im Abkommen mit den USA ablehnen, wenn man ihnen im Abkommen mit Kanada zugestimmt hat?
TTIP schon Ende 2015 zweifelhaft
Die rechtliche Grundlage für diese Abkommen ist zudem unsicherer geworden. Sowohl seitens des Bundeswirtschaftsministeriums als auch von Seiten der Globalisierungskritiker gibt es juristische Hinweise, wonach die beiden Freihandelsabkommen nicht einfach nur von der EU, sondern durch alle Mitgliedsstaaten und ihre Parlamente verabschiedet werden müssten. Ob und wann man unter diesen Umständen jemals zu einem Ergebnis kommen wird, ist damit völlig ungewiss. Der aktuell vorgesehene Termin Ende 2015 wird jedoch von vielen angezweifelt.
Für einige Globalisierungskritiker sind die TTIP-Verhandlungen schon seit längerem ein Dorn im Auge. Eine höhere Aufmerksamkeit wird TTIP jedoch erst seit Frühjahr 2014 geschenkt, als die Materie zum Wahlkampfthema der Europawahlen wurde. Seither hat die öffentliche Berichterstattung spürbar zugenommen und jede Menge Kampagnen und Unterschriftenaktionen laufen an.
Widerstand formiert sich – auch Mannheim sieht TTIP kritisch
Bei den großen Parteien und auch auf EU-Ebene wurde darum inzwischen reagiert: Während Vizekanzler Sigmar Gabriel zum Vorkämpfer gegen die Schiedsgerichte wurde, sieht Bundeskanzlerin Angela Merkel darin mehr Vor- als Nachteile für Deutschland und deutsche Unternehmen. Und die Europäische Kommission hat ihr Verhandlungsmandat, das sie vom EU-Parlament und den Staatschefs im Europäischen Rat erhalten hat, veröffentlicht, um so den Gerüchten darüber entgegenzutreten. Der bisherige Protest hat also durchaus schon etwas bewirkt. Die EU hat ein Stück mehr Transparenz zugebilligt und es gibt neben Linken und Grünen nun auch stärkeren Gegenwind aus den Reihen der SPD.
Gegenwind gibt es inzwischen sogar aus den Rathäusern. Die Stadt Mannheim trommelt über den Städtetag und andere kommunale Netzwerkgremien für Änderungen an TTIP. Der Gemeinderat hatte bereits im Juli darauf aufmerksam gemacht, dass dringender Handlungsbedarf bestehe. Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz erklärte am Montag:
Mit unserer stark exportorientierten Wirtschaft können zwar positive wirtschaftliche Effekte durch TTIP für die Stadt Mannheim erwartet werden. Gleichzeitig müssen wir aber feststellen, dass die Europäische Kommission mit TTIP eine weitgehende Liberalisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge und des Kulturbereichs anstrebt. Dies ist ebenso abzulehnen, wie die Intransparenz der gesamten Verhandlungen. Ich erwarte, dass die Kommunen in Europa künftig umfassend über die Verhandlungen informiert und ihre Stellungnahmen berücksichtigt werden.
Fraglich ist, ob es denn die von den Befürwortern beworbenen positiven wirtschaftlichen Effekte tatsächlich geben wird. Denn selbst in den Untersuchungen der EU-Kommission wird inzwischen nur von winzigen positiven Effekten ausgegangen. Dagegen sind die Befürchtungen der Kommunen nicht ganz aus der Luft gegriffen. So hat die französische Regierung in den Vorgesprächen zu TTIP eine „Exception culturelle“ durchgesetzt – die Ausnahme der Kultur in TTIP. Offiziell wird daran auch weiterhin festgehalten. Doch die unterschiedlichen Auffassungen der Europäer und der Amerikaner über Kultur als Produkt oder als öffentliches Gut werden sicher wiederkehren. Inwieweit TTIP öffentliche Aufträge von Kommunen verändern kann, ist eine ungeklärte Frage. Denn die Kommunen sind bislang weder gefragt, noch gehört worden.
TTIP braucht noch mehr Transparenz
Es bleibt die Frage, wie es mit TTIP weitergehen soll. Nimmt man die Ängste in der Bevölkerung, die ständig neuen Meldungen aus den Reihen der Politik und die beständig zunehmende öffentliche Berichterstattung, dann ist klar, dass Vertrauen wieder hergestellt werden muss. Transparenz in homöopathischen Dosen wird hier kaum ausreichend sein, um mit der Kritik angemessen umzugehen, denn die Kritiker werden mehr und sind immer besser informiert.
Vermutlich jedoch wird die neue EU-Kommission und das neue EU-Parlament nicht den Mut haben, das zu tun, was eigentlich getan werden müsste: Einen Neuanfang. Das EU-Parlament und die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten müssten ihren Verhandlungsauftrag ganz neu beschreiben und deutlich machen, was sie in einem Abkommen ausklammern wollen und was nicht und die nötige Öffentlichkeit zulassen.
Warum nicht einfach nochmal neu anfangen?
Die Alternative wäre: Man eröffnet ganz neue Verhandlungen über das, was eigentlich im Mittelpunkt von TTIP stehen sollte – nämlich der Abau von Handelshemmnissen. Auch ohne Schiedsgerichte und anderer umstrittenen Auswirkungen auf die Kultur, die Gesundheit oder öffentlichen Verwaltungen und öffentlichen Unternehmen sollte es doch möglich sein, die Probleme im transatlantischen Handel zu reduzieren. Und wenn die Bürgerinnen und Bürger der EU und in den USA erst einmal kennengelernt haben, wo denn konkret für sie die Vorteile solcher Abkommen liegen, dann kann man diese irgendwann auch erweitern und ausdehnen. Würde sich jedoch die Kritik an TTIP und CETA tatsächlich erst einmal als „bewiesen“ herausstellen, dann wäre der Schaden für die Politik riesig und ein Zurück wohl kaum möglich.