Südwesten, 17. Januar 2017. (red/ric) Im vergangenen Juli berichteten wir exklusiv über die angespannte Lage in den Justizvollzugsanstalten in Baden-Württemberg. Die Haftanstalten waren am Rande der Kapazitätsgrenze angelangt. Grund hierfür war ein sprunghafter Anstieg an Untersuchungshäftlingen um knapp 20 Prozent im Vergleich zum Jahr 2015. Das Problem ist einfach, wo kein Platz für Häftlinge ist, können diese nicht untergebracht werden, es müssen also zusätzliche Haftplätze her. Ein weiteres Problem ist die rasant ansteigende Gewalt sowohl gegen Bedienstete, als auch der Inhaftierten untereinander in den Vollzugsanstalten.
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Von Riccardo Ibba
Das Polizeipräsidium Mannheim hat im vergangenen Jahr ihre Aufklärungsquote bei Wohnungseinbrüchen von vormals zehn auf knapp fünfundzwanzig Prozent gesteigert. Soweit die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist, dass die Gefängnisse in Baden-Württemberg voll sind.
Zumindest was den geschlossenen Männervollzug betrifft. Dort sind alle 6.147 Haftplätze belegt. Im offenen Vollzug gibt es 1.074 Haftplätze. Sowohl die Jugendhaftanstalt in Adelsheim, als auch die Anstalt in Schwäbisch Gmünd, wo die weiblichen Gefangenen untergebracht sind, verfügen noch über ausreichend Haftplätze.
Die Kapazitäten im geschlossenen Männervollzug sind landesweit ausgeschöpft, im Bereich des offenen Vollzugs gibt es noch freie Haftplätze,
teilt uns das Ministerium der Justiz und Europa auf Anfrage mit.
Der Grund für den Engpass in den Gefängnissen liegt in einem Anstieg der Untersuchungsgefangenen. Waren im Jahr 2015 durchschnittlich 1.505 Gefangene inhaftiert, stieg die Anzahl im folgenden Jahr auf 1.788 Menschen in Untersuchungshaft. Wer sich in Untersuchungshaft befindet sitzt wie verurteilte Straftäter in einer regulären Justizvollzugsanstalt ein.
Was tun? Soll die Polizei in Zukunft weniger Einbrecher dingfest machen, oder die Justiz nur noch auf Bewährung verurteilen? Das Land steht vor einem riesigen Problem, sollten verurteilte Straftäter nicht ihre Haft antreten können, weil schlichtweg keine Gefängniszellen zur Verfügung stehen.
Allen Hardlinern, die gerne schnellere Verfahren und härtere Gefängnisstrafen fordern, kann man direkt eine Absage erteilen. Es steht zu bezweifeln, dass die Haftanstalten einen weiteren Anstieg an verurteilten Kriminellen verkraften können. Zumal auch die Justiz am Rande ihrer Kapazitäten angelangt scheint.
Es scheint nur eine Lösung zu geben, es müssen neue Haftplätze her, doch die sind teuer und bedürfen einer genauen Planung. Ein Gefängnis ist mit seinen Sonderausstattungen schliesslich eine teure Immobilie, die immer nur Kosten verursacht und keinen finanziellen Gewinn verspricht. Im Durchschnitt fallen für einen Gefangenen Kosten in Höhe von 3.600 Euro pro Monat an.
Neue Haftzellen braucht das Land
Wer plant, wann und wo neue Haftplätze entstehen? Zur Ermittlung des Haftplatzbedarfs werden in Baden-Württemberg regelmäßig die monatliche Entwicklung der Gefangenenzahlen ebenso wie langjährige Trends beobachtet und statistisch aufgearbeitet. Die hieraus gewonnenen Erfahrungswerte fließen in das Haftplatzentwicklungsprogramm ein. Anhand der gewonnen Daten wird entschieden ob zusätzliche Haftplätze benötigt werden. Ein schwieriges Unterfangen.
Die Gefangenenzahlen waren in den vergangenen Jahren größeren und längerfristig nicht vorhersehbaren Schwankungen unterworfen. Bei einem weiteren Anstieg werden zusätzliche Optionen zu prüfen sein,
teilt uns das Ministerium mit.
Das Programm sieht aktuell neben Erweiterungen in bestehenden Einrichtungen in Heilbronn und Stuttgart, Neubauten in Offenburg und Rottweil vor. In den Neubauten der JVA Stuttgart werden voraussichtlich bis Ende des Jahres 2017 per Saldo über 200 zusätzliche Haftplätze zur Verfügung stehen. In Rottweil soll 2017 mit dem Architekturwettbewerb begonnen werden.
Doch nicht nur der Mangel an Gefängniszellen bereitet Probleme, sondern auch die zunehmende Gewalt der Inhaftierten bereitet Sorge. Wurden 2012 neun Angriffe auf Bedienstete gemeldet, waren es im vergangenen Jahr bereits 30. Erfasst werden dabei nur Gewalttaten, die schwerwiegender Art sind, insbesondere wenn eine Dienstunfähigkeit daraus folgt. Auch die vorsätzlichen Misshandlungen unter Gefangenen sind in dem Zeitraum von 37 auf 74 gestiegen.
Mehr Personal benötigt
Das Personal im Justizvollzuges beobachtet bei den Gefangenen eine höhere Gewaltneigung, psychische Auffälligkeiten sowie eine verstärkte Abhängigkeit von Betäubungsmitteln.
Große Probleme bereiten den Haftanstalten insbesondere Straftäter aus den Maghreb-Staaten Algerien, Marokko und Tunesien. Grund hierfür ist eine schwierige Verständigung aufgrund sprachlicher Barrieren mit den Gefangenen. Um dem entgegenzuwirken hat das Justizministerium eine Arbeitsgruppe eingesetzt, mit dem Ziel die Sprachbarrieren zu überwinden. So ist unter anderem vorgesehen, die bislang bestehenden Dolmetscherangebote auszuweiten.
Die schwierigen Aufgaben des Justizvollzuges werden in Zukunft nur mit noch mehr Personal zu bewältigen sein. Um sich für einen Job im Knast zu qualifizieren, muss ein zweijähriger Vorbereitungsdienst erfolgreich absolviert werden. Die eingehenden Bewerbungen seien weiterhin hoch.
Auswirkungen auf die Arbeit von Staatsanwaltschaften und Gerichten wird die aktuelle Situation nicht haben. Das Justizministerium betont auf Nachfrage, dass die Strafverfolgung nach dem Rechtsstaatsprinzip erfolge. “Zur Not” müsse man bei der Inhaftierung bei anderen Bundesländern Kapazitäten anfragen. Aktuell könne man aber durch Doppelbelegungen oder früheren Bezug zu sanierender Zellen noch Haftraum schaffen – Ende des Jahres sollen dann die 200 Zellen in Stuttgart die Situation entlasten.