Mannheim/ Rhein-Neckar, 17. Februar 2016. (red/cr) Momentan kann keiner sagen, wie viele Flüchtlinge sich in Deutschland aufhalten. Manche werden überhaupt nicht registriert, andere gleich mehrfach – wegen fehlender Schnittstellen der Software. Der Bundestag hat daher am 14. Januar das „Datenaustauschverbesserungsgesetz“ beschlossen. Dabei gäbe es zumindest zur Registrierung eine einfachere und schnellere Lösung: Ein Freiwilligenteam macht auf Benjamin-Franklin vor, wie man mithilfe von Open Source-Software Ordnung in das Chaos bringt.
Von Christin Rudolph
Aktuell weiß niemand, wie viele Flüchtlinge sich in Deutschland tatsächlich aufhalten. Denn in Deutschland, dem „Land der Ordnung“, verursacht ausgerechnet Bürokratie Chaos bei der Registrierung von Flüchtlingen.
An der Grenze werden illegal Einreisende von der Bundespolizei registriert. Um sicherzustellen, dass keine Kriminellen einreisen, werden ihre Fingerabdrücke mit der Datenbank des Bundeskriminalamts abgeglichen. Gespeichert werden die Fingerabdrücke aber nicht.

Abnahme von Fingerabdrücken im Patrick Henry-Village
Mittelalterliche Datenübertragung
Die Daten, die die Bundespolizei beim Erstkontakt aufgenommen hat, werden an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BaMF) in Nürnberg geschickt. Und hier beginnen die Probleme.
Denn es gibt bislang kein einheitliches System und keine allgemeinen Schnittstellen, um Daten zwischen den Software-Systemen zu übertragen. Im besten Fall werden die Daten per E-Mail versandt und die BaMF-Mitarbeiter könne sie in ihr Datenbanksystem mit dem Namen Maris übernehmen. Allerdings kommen auch Daten per Fax oder Brief. Es muss also abgetippt werden. Das ist beim Datenaustausch des BaMF mit den Ausländerbehörden der Städte und Landkreise überwiegend der Fall.
Dieses Vorgehen verzögert durch unnötige Arbeit nicht nur den Registrierungsprozess. Manche Flüchtlinge werden mehrfach oder gar nicht registriert. Und – niemand weiß, wie viele Flüchtlinge zur Zeit in Deutschland sind. Weil die Software der Bundespolizei, des BaMF und der lokalen Ausländerbehörden überwiegend nicht verbunden sind.
Dabei ist das Datenbanksystem Maris, das das BaMF seit 2001 verwendet, gar nicht mal ungeeignet. Es wäre durchaus kompatibel mit anderen Systemen. Geeignete Schnittstellen gibt es. Die Installation dauert laut WDR „ein paar Tage und kostet einige tausend Euro“. Das Problem könnte also schon längst gelöst sein.
Aber warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?
Der Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD sieht vor, eine Kerndatenbank anzulegen. Am 14. Januar 2016 hat der Bundestag die Einführung dieses Datenaustauschverbesserungsgesetzes beschlossen. Damit werden mehr Daten als bislang von Asyl- und Schutzsuchenden sowie unerlaubt eingereisten und sich unerlaubt in Deutschland aufhaltenden Personen nach Möglichkeit bereits beim ersten Kontakt mit den Behörden erfasst.

Im Benjamin Franklin Village in Mannheim wurden die Daten von Bewohnern lange mit Excel-Listen verwaltet. Ein enormer Aufwand.
Fingerabdrücke, Herkunftsland, Kontaktdaten zur schnellen Erreichbarkeit, Angaben zu begleitenden Minderjährigen und Informationen zu Gesundheitsuntersuchungen und Impfungen werden zentral gespeichert. Außerdem Daten, die zur schnellen Integration und Arbeitsvermittlung beitragen sollen. Dazu gehören Informationen über Schulbildung, Berufsausbildung und sonstige Qualifikationen.
Als Nachweis für die Registrierung stellen die zuständigen Aufnahmeeinrichtungen und Außenstellen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge einen sogenannten Ankunftsnachweis, umgangssprachlich Flüchtlingsausweis, aus. So kann eine Person eindeutig identifiziert werden. Er ist sechs Monate gültig und kann um höchstens drei Monate verlängert werden. Ohne diesen Ausweis können weder Asylbewerberleistungen bezogen, noch ein Asylantrag gestellt werden.
„Ehrgeiziges“ Großprojekt

Bundesinnenminister Thomas de Maizière; Foto: MC1 Chad J.
Die Schaffung eines Kerndatensystems im Ausländerzentralregister und die notwendigen Erweiterungen der beim Bundesverwaltungsamt betriebenen Systeme verursachen beim Bund laut Angaben der Bundesregierung zusätzliche Kosten in Höhe von einmalig mindestens 15,5 Millionen Euro. Bis zum Sommer sollen beide Maßnahmen abgeschlossen sein.
Thomas de Maizière meint
„alles in allem ist das ein sehr ehrgeiziges Vorhaben – auch technisch“
und „kann nicht versprechen, dass wir diesen Zeitplan einhalten“. Das Vorhaben durchlief das parlamentarische Verfahren im Eiltempo. Erst am 13. Januar hatte sich der Bundestag in erster Lesung mit den Plänen befasst. Bereits am Tag darauf wurde abgestimmt.
Freiwillige lösen Problem pragmatisch
In Sachen Registrierung ist man da im Mannheimer Benjamin-Franklin Village schon weiter. Seit Ende November 2015 werden die Bewohner der Erstaufnahmeeinrichtug mithilfe einer modifizierten Version der Software Sahana registriert. Sahana ist eine frei verfügbare Sammlung von Software unter Open-Source-Lizenz.
Seit 2004 wird sie in verschiedenen Ländern in Krisensituationen eingesetzt, zum Beispiel nach Wirbelstürmen in Nordamerika. Die Software kann schnell an die spezielle Lage angepasst werden. Für Franklin brauchte ein Team von DRK-Mitarbeitern, Sahana Open Source Entwicklern und Freiwilligen des Softwareunternehmens IBM nur vier Tage, bis die erste Person registriert werden konnte.
Dabei werden nicht nur Stammdaten erfasst, sondern auch der aktuelle Status des Flüchtlings. Ein CheckIN- und CheckOUT-System gibt Aufschluss darüber, ob ein Flüchtling tatsächlich Bewohner von Benjamin Franklin ist oder „Besuch“ und wer sich aktuell auf dem Gelände aufhält.
Mit den Datensätzen kann das DRK dem Regierungspräsidium Karlsruhe melden, wie lange ein Flüchtling schon in der Erstaufnahmeeinrichtung untergebracht ist oder ob er einen Termin verpasst hat, wie beispielsweise eine Gesundheitsuntersuchung.
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Nationale Lösung trotzdem wünschenswert
Außer dem DRK und dem Regierungspräsidium haben die Polizei und die Security Zugriff auf die Daten der Flüchtlinge. Die Modifikation der Software bedeutet eine große Entlastung für die Verwaltung.
Saskia Bachner vom DRK-Kreisverband Mannheim sagt dazu:
Vorher haben wir mit Excel-Listen gearbeitet, was schon allein aufgrund der großen Datenmenge sehr schwierig für die Verwaltung war.
Auf die Nachfrage, ob ähnliche Projekte an anderen Standorten der Flüchtlingsunterbringung denkbar wären, antwortet Peter Kusterer, Projekt-Hauptverantwortlicher bei IBM, mit einem klaren „Ja, aber…“ Nämlich:
Empfehlenswert wäre aber auch, dass die Verfahren über Standorte hinweg sich dann angleichen, um den Aufwand zu reduzieren und die knappen Ressourcen bestmöglich einzusetzen. Tatsächlich liegt hier ein großes Potenzial für weitere Verbesserungen – gerade wenn auch übergreifende Zusammenarbeit gelänge.