Mannheim, 17. April 2014. (red/ld) Petra Schmitt soll aus ihrer Wohnung vertrieben werden, glaubt sie. Seit knapp einem Jahr ist das Haus, in dem sie wohnt, mit einer Plane verhängt. Handwerker arbeiten in den leeren Nachbarwohnungen. Sie machen alles neu. Und Dreck. Und Lärm. Die psychische Belastung ist enorm.
Die meisten Mieter sind schon ausgezogen – doch Frau Schmitt weiß nicht wohin und ist verzweifelt.
Von Lydia Dartsch
Seit fast einem Jahr kein Tageslicht. Dafür Staub, Dreck und den Lärm. Petra Schmitt (Name geändert) sagt: “Ich bin mit den Nerven am Ende.” Die 61-Jährige sitzt auf der Couch im Zwielicht ihres Wohnzimmers und kämpft mit den Tränen. Vor den Fenstern versperrt seit zehn Monaten eine Plane die Sicht nach draußen. Wenn sie sich im Wind bewegt, kann es laut werden: “Ich hab heute Nacht wieder nicht schlafen können von dem Lärm”, sagt sie. Auch im Haus gegenüber stören die knatternden Planen die Nachruhe.
Sie soll aus ihrer Wohnung vergrault werden, vermutet sie. Wenn morgens gegen 08:00 Uhr die Handwerker loslegen, verlässt sie das Haus, um dem Lärm zu entgehen und kommt erst zum Feierabend wieder. “Es kann doch nicht sein, dass ich mich nicht in meiner Wohnung aufhalten kann, wann ich will”, sagt sie. Viele ihrer Nachbarn sind bereits ausgezogen. Wie lange sie es noch aushält, weiß sie nicht.
Erst kam der Verkauf, dann Staub und Lärm
In den leeren Wohnungen wird gearbeitet. Im Treppenhaus ist es überall staubig. Der Staub liegt auch in der Luft. Kitzelt in der Nase. Der Staub kriecht in die Wohnung. Die Schuhe vor der Tür abzustreifen sei nicht notwendig, sagt sie: “Das bringt nichts.” Auch der neue Staubsauger, den sie sich wegen des Baustaubs gekauft hat, helfe ihr nicht dabei, die Wohnung sauber zu bekommen, sagt sie. Die Wohnung ist gepflegt – man sieht es am dünnen Staubfilm auf allen Möbeln und Gegenständen, der ganz frisch ist. Wird er heute weggewischt, ist er morgen wieder da. Wenn Frau Schmitt die Kissen ihrer Couch aufklopft, steigen Staubwolken auf. Gesund ist das sicher nicht.
Seit über 20 Jahren wohnt Frau Schmitt in ihrer Wohnung. Vor knapp zwei Jahren zeichnete sich die Veränderung ab: Die Wohnungsverwaltung kündigte Besuchstermine an. Man habe den Auftrag, das Haus zu verkaufen. Die neuen Besitzer meldeten sich Mitte Mai vergangenen Jahres per Post und kündigten an: “Mittelfristig sind eine Reihe von Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen notwendig, um das Gebäude in einen der örtlichen Umgebung vergleichbaren Zustand zu versetzen. Hierüber werden wir Sie zu gegebener Zeit unterrichten.”
Ein klarer Fall von Gentrifizierung, findet die Mannheimer Linke, die mit dem Thema gerade Kommunalwahlkampf macht. Der Begriff “Gentrifizierung” kommt aus der Stadtsoziologie und beschreibt die Aufwertung eines Stadtteils durch dessen Sanierung oder Umbau mit der Folge, dass die dort ansässige Bevölkerung durch wohlhabendere Bevölkerungsschichten verdrängt wird. Nach Berlin Prenzlauer Berg, Frankfurt Westend und Hamburg jetzt also auch in Mannheim?
Ganz klar! Heißt es von der Linken, bei deren Wahlkampfauftakt Anfang April im Café Uhland, das vor einigen Jahren selbst aus der Uhlandstraße 15 weggentrifiziert worden ist und seit zwei Jahren in der Langen Rötterstraße betrieben wird. Stargast der Veranstaltung ist Anette Ludwig, Sprecherin des Linken-Kreisverbandes in Frankfurt. “Wenn man von Gentrifizierung spricht, ist es schon zu spät”, sagt sie.
Moderner Wohnen, mehr Miete, Gentrifiziert
Sie habe vor einigen Jahren aus ihrer Wohnung ausziehen müssen, weil ein Investor das Gebäude entmietet habe. Im Juni sei dies angekündigt worden. Im Oktober sollten die Mieter raus sein, habe der Investor bei einer Mieterversammlung verlangt, sagt sie. Abfindungen seien angeboten worden. Diese habe ihr der Investor nach langer Gegenwehr ihrerseits bar in einer Tüte übergeben müssen.
Abfindungsangebote, den Umzug bezahlen oder Maklerkosten zu übernehmen sei die typische Vorgehensweise, sagt Roland Schuster, Bezirksbeirat in der Neckarstadt-West und auf Platz 5 der Linken-Kommunalwahlliste. In manchen Fällen werde nach der Sanierung aus die Miete drastisch angehoben. Laut §559 BGB darf der Viermiete 11 Prozent der dafür aufgewendeten Kosten dafür auf die Miete umlegen. Dafür muss der Vermieter die Art der Arbeiten und deren Kosten den Mietern drei Monate vorher ankündigen.
Bei Petra Schmitt ist nichts davon passiert. Es habe kein Schreiben gegeben, in denen dargelegt sei, was repariert und modernisiert werden muss. Lediglich über die Baufälligkeit der Balkone wusste sie Bescheid. Diese dürfen seit Juni 2013 nicht mehr betreten werden. Einsturzgefahr.
Das Haus wurde eingerüstet und die Plane davor gehängt. Von Juli bis Oktober 2013 wurden in mehreren Briefen Fassadenarbeiten angekündigt und durchgeführt. Auch die Balkone seien instand gesetzt worden. Die müssten nur noch gefliest werden, sagt sie. Seitdem habe sich an der Fassade nichts getan, so Frau Schmitt. Dafür umso mehr im Haus: Die Kellerräume wurden geräumt und die Hofdecke wurde abgerissen und neu gebaut. Die ausführende Firma wird von den Besitzern des Hauses geführt.
Als wir im Haus sind, stehen die Türen der Wohnungen offen, die saniert werden. Staub wirbelt ins Treppenhaus, der Lärm ist teils ohrenbetäubend. Treppen und Geländer sind schmutzig.
Wann die Plane und das Gerüst abgebaut werden, wisse sie nicht. Die Hauseigentümer und Handwerker wollten ihr darüber keine Auskunft geben, sagt sie. Eine Mieterhöhung sei bisher nicht angekündigt worden. Auch davor hat Frau Schmitt Angst. Die Miete sei bislang sehr günstig. Mehr könne sie sich auch nicht leisten, sagt sie: “Ich weiß nicht, wo ich hin soll oder wie es weiter geht.”
Die Wittemaier Bau GmbH reagiert pampig auf unsere telefonische Anfrage, warum die Plane schon fast ein Jahr hänge: “Haben Sie Ahnung vom Bau? Können Sie das beurteilen?” Der Mitarbeiter ist latent aggressiv. “Warum interessiert Sie das überhaupt?”
Viele Fragen – keine Antworten von Wittemaier Bau
Wir stellen die Fragen schriftlich und setzten eine Frist bis heute 15 Uhr:
- Aus welchem Grund hängt seit gut einem Jahr eine Plane vor dem Gerüst, die zu einer dauerhaften Dämmerung in den Räumen führt?
- Wieso gibt es keine Vorrichtungen, um die Schmutzbelastung zu reduzieren?
- Wieso ziehen sich die Bauarbeiten so lange hin?
- Wird den Mietern eine Ersatzwohnung angeboten, um ein menschenwürdiges Wohnen zu gewährleisten? Als Firmenphilosophie geben Sie immerhin an “Wohnen und Arbeiten in einer angenehmen und der Gesundheit förderlichen Umgebung gehört zu den Grundbedürfnissen unserer Gesellschaft.” – Davon kann in der Kobellstraße nun überhaupt keine Rede sein.
- Bieten Sie den Mietern eine Ablösezahlung und Kostenübernahme an?
- Sehen Sie sich in irgendeiner Verantwortung gegenüber den teils seit langer Zeit im Haus lebenden Menschen und der Nachbarschaft?
- Trifft unser Eindruck zu, dass man die Bauarbeiten derart gestaltet, dass die Mieter entnervt werden sollen, um das Haus zu verlassen? Also eine Entmietung über Verdunkelung, Schmutz und Lärm erreicht werden soll?
Wohnen und Arbeiten in einer angenehmen und der Gesundheit förderlichen Umgebung gehört zu den Grundbedürfnissen unserer Gesellschaft. (…) Solide Arbeit und eine umweltgerechte Umsetzung Ihrer Wünsche sind unsere Zielvorgaben. Das hat auch gute Gründe, denn gute Planung gepaart mit Qualitätsarbeit und Einsatz hochwertiger Materialien führen auf Dauer zu Kosteneinsparung und nachhaltiger Freude am Gebäude. Ihre langfristige Zufriedenheit ist die Basis unseres Erfolges.