Rhein-Neckar, 17. September 2018. (red/pro) Die Flüchtlingskrise beschäftigt seit Sommer 2015 die Republik und natürlich auch die Menschen in der Metropolregion. Vor drei Jahren herrschte eine enorme (mediale) Euphorie. Ein knappes Jahr später begann, wie vom RNB vorausgesagt, „die Stimmung zu kippen“. Die „Willkommenskultur“ von damals spaltet das Land mehr und mehr und mit ihm die Menschen. Seit geraumer Zeit findet eine Lagerbildung statt, an deren Ende kein guter Ausgang stehen kann. Wenn die politische Debatte, in der medialen Öffentlichkeit wie auf „der Straße“, nicht zur Besinnung kommt, werden die extremen Ränder zu Lasten der Mitte gestärkt.
Von Hardy Prothmann
Beim Rheinneckarblog begann die „Flüchtlingskrise“ bereits 2011/2012. Immer mehr Zuwanderung aus Südosteuropa, dazu immer mehr Zuwanderung in Folge des „arabischen Frühlings“ und dann durch den Krieg in Syrien.
Doch bis heute verbreiten große Medien die Mär, die Flüchtlingskrise habe im Sommer 2015 begonnen – dabei gab es damals nur die größte Masse an Menschen, die über die Balkanroute nach Westeuropa drängten.
Bis heute wird das von vielen, insbesondere Anhängern der Willkommenskultur, als selbstverständlich angenommen. Es wird nicht hinterfragt, dass diese Menschen ab dem Grenzübertritt zur Türkei in Sicherheit waren, ob sie nun aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan kamen. Und danach bei jedem weiteren Grenzübertritt.
Dass die Route in westeuropäische Länder führen musste, insbesondere Deutschland, wird auch nicht hinterfragt. Die Erklärung ist einfach: Wenn diese Masse an Menschen in den instabilen Ländern des früheren Jugoslawien ihren Marsch beendet hätten, wäre die Entwicklung fürchterlich verlaufen. Also mussten die starken Staaten aufnehmen, alle voran Deutschland.
Die „Geste“ der Kanzlerin Dr. Angela Merkel war niemals eine der humanen Menschenfreundlichkeit, sondern die Abwendung massiver Schäden in sehr vielen Staaten mit der Konsequenz, selbst Schaden zu nehmen. Das war politisch nicht klug, sondern notwendig. Ebenso wie die Vereinbarung mit der Türkei, die Balkanroute zu schließen.
„Wir schaffen das“ ist, so gedeutet, niemals an ein „deutsches Wir“ gerichtet gewesen, obwohl viele in Deutschland diese Worthülse derart verstanden haben. Mit „Wir“ war Europa gemeint, aber ebenso, wie in Deutschland viele damit nicht einverstanden sind, sind das auch viele europäische Staaten nicht. Nicht nur in Deutschland gibt es Streit, sondern auch zwischen den EU-Staaten.
Der politische Fehler „passierte“ nicht mit dem Drei-Wort-Satz der Kanzlerin, sondern schon Jahre früher und wird als Dauerfehler Jahr um Jahr verlängert. Die Schließung der Balkanroute führte zum „Ausbau“ der Mittelmeerroute und während niemand an einer deutschen Grenze durch einen „Schießbefehl“ ums Leben kam, krepierten tausende Menschen im Mittelmeer.
Diese Route wird auch mehr und mehr zum Erliegen gebracht – doch der Druck bleibt und wird sich entladen.
Bis heute gibt es kein vernünftiges Einwanderungsgesetz. Es gibt keine Hot-Spots in den nordafrikanischen Ländern. Es gibt keinerlei auch nur ansatzweise erkennbare Lösungen, um „Fluchtursachen zu bekämpfen“.
„Fluchtursachen bekämpfen“ ist tatsächlich normaler Sprachgebrauch, ohne dass sich jemand am Wort „bekämpfen“ stört. Das ist auch logisch. Denn es handelt sich um einen Kampf, da niemand gewillt ist, die Ursachen zu „lösen“.
Wer sich intensiv wie ich seit Anfang der 90-iger Jahre mit Migration und Integration beschäftigt, staunt: „Plötzlich“ rufen Menschen „Ausländer raus“ auf Demos. Meinen die wirklich alle Ausländer? Oder nur die „Asylanten“ oder nur die, die sich unberechtigt in Deutschland aufhalten und dieses Land eigentlich verlassen müssen?
Und andere rufen „Refugees welcome“. Meinen die wirklich jeden, der nach Deutschland kommen will? Was ist ein Refugee? Jemand, der politisch verfolgt ist oder jemand, der sich ein besseres Leben wünscht? Oder auch jeder Glücksritter? Und gibt es keine Begrenzung der Zahl von Menschen in den Augen dieser „Willkommenskultur“-Enthusiasten? Sind damit auch alle gemeint, die in Deutschland Straftaten begehen wollen und das auch tun? Quasi Kollateralschäden verursachen?
Aktuell erfahren „wir“ viel aus Chemnitz und Köthen. Meist leider nicht objektiv berichtet, weil insbesondere „die Medien“ keinen besonders guten Job machen. Ich bin gegenüber den allermeisten Mitmenschen enorm im Vorteil, weil mein Job Journalismus ist, ich viel tiefer in den Themen drin bin, bessere Quellen habe und Recherche grundlegend für meine Arbeit ist.
Tatsächlich fühle ich mich auch sehr verunsichert, weil die Masse an Informationen scheinbar nicht zu bewältigen ist. Chemnitz und Köthen scheinen weit weg – diese Sicht ist falsch, denn was dort vorgeht, ist auch hier Thema, ob bei einem Besuch der AfD-Politikerin Beatrix von Storch in Mannheim heute oder bei einer Kundgebung in Wiesloch, die für ein „breites, buntes Bündnis“ werben will.
In Kandel gab es den Mord an Mia, der afghanische Täter ist verurteilt, doch der Prozess geht weiter, weil Revision eingelegt wurde. Der Mord an Susanne F. in Wiesbaden durch eine irakischen Flüchtling ist noch nicht verhandelt. Beide Orte sind nicht nicht weit weg von „uns“.
Die AfD, gegründet im Frühjahr 2013, gespalten im Sommer 2015, hat einen unglaublichen „Siegeszug“ hingelegt. Die Wahlerfolge dieser Partei sind historisch nach 1945 einmalig. Verdient das Respekt? Selbstverständlich, wenn man Respekt als Wort versteht (Rückschau) und sich damit auseinandersetzt. Der Erfolg der AfD basiert nach meiner Einschätzung nicht nur ganz erheblich, sondern vor allem auf den massiven Fehlern der etablierten Parteien, die keine Lösungen für drängende Probleme gefunden haben. Dieser Zustand dauert an.
Rund ein Viertel der Bevölkerung – durch alle „Schichten“ – ist mindestens nicht fremdenfreundlich eingestellt, das belegen soziologische Studien. Die AfD hebt dieses „Potenzial“ und wird mit Sicherheit weiter wachsen, weil sie den Tabubruch begangen hat, sich klar fremdenfeindlich zu positionieren und damit Erfolg hat. Dieser Erfolg resultiert aus vielen weiteren Fehlern der Vergangenheit wie „Rettungsschirmen“ für Staaten und vor allem Banken, einem erheblichen Druck auf den „Mittelstand“, fehlendem „bezahlbaren Wohnraum“ und einer verunsicherten Bevölkerung, die merkt, dass sich die Lebensverhältnisse zum Nachteil ändern – auch durch eine ansteigende Kriminalität.
Hinzu kommt, dass man täglich einen erheblichen Dissens im politischen Geschäft als Bürger vorgeführt bekommt. Es geht nicht mehr um „andere“ Meinungen, sondern um „absolute“ Positionen. Die Front-Linie verläuft zunehmen nach der einfachen Formel: Freund oder Feind?
Dazu kommen massiv geäußerte Zweifel, erheblich befördert durch die Debatte um die Personalie Maaßen, ob man „dem Staat“ noch vertrauen könne. Unterm Strich bildet sich ein zunehmend wachsendes Fundament, gebaut aus Misstrauen. Auf Misstrauen kann man nichts aufbauen, was stabil wäre.
Neben vielen anderen politischen Themen wird die „Flüchtlingskrise“ ein Thema sein, dass uns noch über sehr viele Jahre beschäftigen wird. Es gibt ein starkes Fundament, auf dem man aufbauen kann. Es besteht aus der Rechtsstaatlichkeit und einer im weltweiten Vergleich hervorragenden Infrastruktur.
Richtig ist, dass es vielerlei Probleme in einer sich rasant ändernden Welt gibt, die es zu lösen gilt. Richtig ist aber auch, dass wir in Deutschland auf einem sehr hohen Niveau leben – das wir gerne halten möchten.
Dabei hängen viele Prozesse zusammen, wird an einer Schraube gedreht, hat das vielfältige Auswirkungen auf das ganze System, das aus sehr vielen Untersystemen besteht. Alle Pauschalisierungen gehen deshalb immer fehl. Es gibt nicht „die Politik“, „die Medien“, „die Flüchtlinge“ – notwendig ist die Rückkehr zur Differenzierung, denn mit pauschalen Aussagen und Haltungen kommt niemand weiter.
Wer beispielsweise aktuell die Weimarer Republik mit der Bundesrepublik Deutschland vergleicht und vor einer Machtübernahme durch Nazis warnt, hat in Geschichte überhaupt nicht aufgepasst, sich nicht mit den vielen Details damals beschäftigt und muss beim besten Willen nicht ernst genommen werden.
Wer Polizeieinsätze in Chemnitz mit denen am Hambacher Forst vergleicht und rein auf die Zahl der Beamten abhebt, hat genau keine Ahnung von den Details dieser Einsätze.
Und wer „Nazis“ hauptsächlich in den neuen Bundesländern und hier vor allem in Sachsen sieht, hat keine Ahnung von soziologischen Studien, vom Nationalsozialismus, von Fremdenfeindlichkeit, vom Rechtsstaat und von den Menschen, die immer schon Vorurteile hatten und auch in Zukunft haben werden. Vorurteile oder gar Fremdenfeindlichkeit sind noch längst kein „Faschismus“.
Und alle Bürger in Haft zu nehmen, die auf „rechten“ Demos mitmarschieren, ist genauso falsch, wie die zu verurteilen, unter die sich „Antiimperialisten“ und „Antideutsche“ mischen, die ganz sicher nicht für einen starken Rechtsstaat stehen.
Es gibt in Deutschland schon seit längerem eine bemerkenswerte Schieflage zwischen der Stärke der extremistischen Szenen und ihrer Wahrnehmung. Rechtsextremismus wird, zumal in öffentlichrechtlichen Medien, mitunter hoch-, Linksextremismus dagegen eher heruntergespielt,
schreibt beispielsweise die Neue Züricher Zeitung.
Das Ringen um Konsens ist ein schweres Geschäft und wird es bleiben – mit Pauschalurteilen kommt man nicht weiter. Auch nicht mit „Aufrechnen“ oder Ignoranz gegenüber gegebenen Problemen.