Rhein-Neckar, 16. Juni 2020. (red/pro) Aktualisiert. Seit heute gibt es die Corona-Warn-App in Deutschland, die von SAP und Telekom entwickelt worden ist. 20 Millionen Euro hat die Bundesregierung dafür investiert. Datenschützer zeigen sich grundsätzlich zufrieden, aber es bleiben viele Fragen offen.
Von Hardy Prothmann
Bis heute gegen 12 Uhr wurde die Corona-Warn-App über den Android-Store mit mehr als 100.000 Downloads angegeben – und Android-Geräte machen rund 75 Marktanteil der Smartphones in Deutschland aus. Insgesamt sind rund 60 Millionen Smartphones in Deutschland in Betrieb. Nach Medienberichten zu Studien macht die App erst dann richtig Sinn, wenn rund 60 Prozent der Smartphone-Nutzer diese auch installiert und in Betrieb haben. Das wären 36 Millionen Installationen. Es bleibt also abzuwarten, wie sich die Nutzungszahlen in den kommenden Wochen entwickeln.
Unabhängig davon gibt es bereits viele kritische Stimmen zur Corona-Warn-App. Werden Nutzer möglicherweise erschreckt, weil sie Kontakt zu einer infizierten Person gehabt haben könnten, aber völlig außer Gefahr waren, weil zwar die Smartphones per Bluetooth Codes ausgetauscht haben, aber keine Infektionsgefahr bestand, weil man durch einen Spuckschutz, eine Glasscheibe im Moment des Kontakts getrennt war? Was ist, wenn es sehr viele Fehlwarnungen gibt und dann Testkapazitäten fehlen? Könnten Arbeitgeber oder Geschäftsinhaber verlangen, dass Mitarbeiter und Kunden die App installiert haben müssen? Und was sind die rechtlichen Folgen, wenn man eine Warnung erhält, sich aber wohl fühlt, selbständig ist und eine 14-tägige Quarantäne erhebliche Einkommensverluste bedeuten würde und man sich deshalb nicht testen lässt – macht man sich dann strafbar?
Und noch wichtiger: Aktuell gibt es keine gesetzliche Verpflichtung, die Corona-Warn-App zu nutzen. Aber es könnten Begehrlichkeiten entstehen, denn es gibt die App ja jetzt. Wird der Gesetzgeber bei einem erneuten Anstieg eine gesetzliche Verpflichtung einführen, wenn die „Stimmung“ dies möglich machen könnte? Oder anders: Wenn ein Gewöhnungseffekt eintritt, ist das dann der nächste Schritt, der die politische Begehrlichkeit auslöst, den Bürger immer gläserner zu machen?
Offiziell wird betont, dass alle Daten anonym erfasst werden und damit keine Freiheitsrechte bedroht seien. Man müsse hier halt Vertrauen haben. Doch damit dürften viele Menschen ihre Probleme haben und beim Rheinneckarblog lautet die Redaktionsregel 1: Traue keinem!
Der überwiegende Teil der Medienlandschaft reflektiert zwar kritische Anmerkungen zur App-Nutzung – aber die Richtung ist mal wieder eindeutig und man folgt der Bundesregierung. Warum eigentlich? Die allermeisten Redaktionen haben weder den technischen Sachverstand noch die Mittel, die App auf Herz und Nieren zu checken. Und die allerwenigsten Journalisten sind Experten im IT- und Datenschutz.
Faktisch bedeutet die App, dass jeder moralisch in die Verantwortung genommen wird, der möglicherweise Kontakt zu einer infizierten Person gehabt haben könnte. Und spätestens dann, wenn man sich an einen Arzt oder das Gesundheitsamt wendet, ist die Anonymität mindestens ein Stück weit aufgehoben. öglichMe rechtliche Folgen sind überhaupt nicht geklärt – hier kann man vermuten, dass dies politisch auch so gewollt ist. Weil man nämlich selbst keine Ahnung hat, was man hier alles regeln müsste, damit dies auch in Abstimmung mit anderen Rechten rechtlich verbindlich sein kann. Also startet man ein Experiment mit unbekanntem Ausgang.
Die Corona-Warn-App ist aus meiner Sicht ein weiterer Baustein einer immer wieder planlosen Corona-Politik. Siehe das Beispiel Masken: Erst wird davor gewarnt, dann wird sie zur Pflicht gemacht. Jetzt gibt es eine „freiwillige“ App – wann folgt die Verpflichtung? Niemand weiß das aktuell. Und warum kommt die App erst jetzt, da viele Corona-bedingte Verbote wieder aufgehoben werden? Werden App-Daten, sollte es wieder einen Anstieg geben, als Argument verwendet werden, welche weiteren Maßnahmen auch immer zu beschließen? Und was ist mit all den Leuten, die aus welchen Gründen auch immer kein Smartphone besitzen und benutzen?
Ich werde, anders als Personen in meinem Bekanntenkreis, die App nicht installieren, weil ich mich nicht zum Teil eines Experiments mit unbekanntem Ausgang machen lasse. Mache ich mich damit zum Aussätzigen? Zum asozialen Element? In diesen hochmoralischen Zeiten wirkt der moralische Druck häufig stärker als jedes gute Argument – siehe Klimawandel oder Rassismus.
Denn die App und damit verbundene „Erkenntnisse“ werden genutzt werden – ich erinnere nur daran, dass viele Medien in den vergangenen Tagen immer wieder berichtet haben, die vergangenen Maßnahmen hätten Millionen Menschenleben gerettet, um dann irgendwann ein „möglicherweise“ hinterherzuschieben oder den Konjunktiv zu verwenden. Denn niemand kann das mit Sicherheit sagen, aber es wird halt mal behauptet.
Mein Sicherheitspaket bleibt, wie es ist: Ich vermeide bereits seit dem 05. März 2020 alle unnötigen Kontakte, halte Abstand, achte auf die Handhygiene und die Hust- und Nießetikette. Weil es Pflicht ist, verwende ich einen Gesichtslappen, wo dies vorgeschrieben ist. Menschenansammlungen meide ich wo immer möglich.
Und ich gehe auch mal gerne ohne Smartphone aus dem Haus, weil ich eben nicht immer erreichbar sein will und auch nicht ständig in Versuchung geführt werden will, ständig auf das Ding zu glotzen.
Aktualisierung, 15:03 Uhr: In der ersten Fassung hatten wir von 11.000 Downloads berichtet. Das war eine falsche Zahl.