Heidelberg, 16. November 2015. (red/ms) Rettungsfahrzeuge, die es nicht rechtzeitig in die Notaufnahme schaffen? Ein riesiges Problem. Das Uniklinikum im Neuenheimer Feld ist nur mangelhaft an den Verkehr angeschlossen – das könnte zu lebensbedrohlichen Lagen führen. Insbesondere in den Stoßzeiten standen Rettungsfahrzeuge schon im Stau, teilt das Klinikum mit und fordert von der Stadt: Es muss schnellstmöglich eine Lösung gefunden werden. Doch der Gemeinderat zeigte sich zögerlich, eine Entscheidung zu treffen.
Von Minh Schredle
Oberbürgermeister Dr. Eckart Würzner wirkt regelrecht resigniert. Kopfschüttelnd erklärt er:
Wir sind hier als Stadt verantwortlich. Im Notfall kann jede Sekunde zählen. Wenn jemandem etwas zustößt, was mit einer Notzufahrt hätte verhindert werden können, dann ist das unsere Schuld.
Gleich zu Beginn der Debatte hatte er betont, er könne keine Diskussion mehr zulassen, die sich noch über ein halbes Jahr zieht: „Ich bitte Sie eindringlich, eine kurzfristige Lösung zu finden,“ hatte er sich an die Stadtät/innen gewandt – doch dazu kam es nicht.

„Kopfklinik Universitätsklinikum Heidelberg rückwärtige Ansicht“ von 3268zauber – Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons.
Das Universitätsklinikum fordert eine neue Notfallzufahrt für das Neuenheimer Feld. Schon seit Monaten. Bereits im März wandten sich die Direktoren Guido Adler und Irmtraud Gürkan in einem Schreiben an die Stadtverwaltung. Für Rettungsfahrzeuge sei es in Stoßzeiten problematisch, zügig zur Klinik zu gelangen. Wenn sich der Verkehr von der Berliner Straße in den einspurigen Ring zurückstaue, der die Klinik erschließt, könne teils nicht einmal mehr eine Notfallfahrgasse gebildet werden.
Nach einem Bericht der Rhein-Neckar-Zeitung gebe es pro Tag durchschnittlich 33 Rettungsfahrten, die aus Richtung Süden über die Ernst-Walz-Brücke das Klinikum ansteuern. Das entspricht 1,4 Fahrzeugen pro Stunde, die potenziell unter der schlechten Erschließung leiden könnten und damit die Gesundheit der Patienten in Gefahr brächten.
Größere Beeinträchtigungen durch den Verkehr scheint es offenbar nur zu den Stoßzeiten zu geben, also zwischen 07:00 Uhr und 09:00 Uhr und zwischen 16:00 Uhr und 18:00 Uhr. Davon wären statistisch knapp sechs Fahrzeuge am Tag betroffen.
Stadt in Haftung
Das Klinikum setzt die Stadt unter Druck: Wenn die schlechte Erschließung verursache, dass ein Patient Schäden erleidet, die hätten verhindert werden können oder sogar zu Tode kommt, weil er nicht rechtzeitig behandelt werden konnte, stehe nicht das Klinikum, sondern die Stadt in der Verantwortung. Tatsächlich ist das Klinikum selbst nur für die Zufahrten auf dem Gelände zuständig. Die externe Erschließung ist Aufgabe der Stadt. Doch der Gemeinderat streitet sich: Wo soll der neue Rettungsweg hin?
Bislang gibt es nur einen durchgeplanten, beschlussreigen Vorschlag seitens der Verwaltung – der ist allerdings hochumstritten: Zwischen den Marsilius-Arkaden und der Ernst-Walz-Brücke soll nah am Neckar ein neuer Radweg entstehen. Dieser könne auch als Notfallzufahrt für Rettungsfahrzeuge genutzt werden, heißt es von Seiten der Verwaltung. Doch der Bezirksbeirat Neuenheim und eine Mehrheit im Gemeinderat sind dagegen. Es gibt zwar keinen ausgearbeiteten Alternativvorschlag. Aber:
Das Neckarufer soll autofrei bleiben,
forderte Stadträtin Irmtraud Spinnler (SPD) und fand damit große Zustimmung im links-grünen Lager. Zwar erkenne man die Dringlichkeit an – man sei aber nicht überzeugt, mit einem zweckentfremdeten Radweg die bestmögliche Variante für eine Zufahrt gefunden zu haben und müsse daher noch weitere Varianten prüfen, so der Konsens bei den Grünen, grün-alternativer Liste, der Linken, Piraten, Bunter Linke und SPD.
Diskussion angebracht?
Michael Eckert (FDP) bezeichnete es als beschämend, dass man angesichts der Notlage überhaupt noch diskutieren würde:
Schnelle Lösungen sind gefragt und zwar jetzt sofort.
Zudem sei höchst fraglich, inwiefern Radfahrer beeinträchtigt würden, wenn sie ihren Radweg für vier Stunden am Tag mit Rettungsfahrzeugen teilen müssten. Schließlich solle der Radweg nur zu den Stoßzeiten zwischen 07:00 Uhr und 09:00 Uhr und 16:00 Uhr und 18:00 Uhr als Notfallzufahrt genutzt werden dürfen. Die Uniklinik rechne mit maximal sechs Fahrzeugen pro Tag: „Das ist ja wohl zu verkraften“, so Herr Eckert.
Die darauf folgende Debatte im Gemeinderat erstreckte sich über etwa eine Stunde, war wenig sachlich, aber dafür umso emotionaler. Die Verwaltung wollte im Wortlaut beschließen lassen:
Der Gemeinderat beauftragt die Verwaltung, zusammen mit dem Universitätsklinikum und den Rettungsdiensten eine Notfallzufahrt ins Neuenheimer Feld zu realisieren.
Das Wort „realisieren“ sorgte dabei für Aufregung. Aus Sicht des Gemeinderats gebe man mit einem „ja“ zum Grundsatzbeschluss der Verwaltung die Gestaltungsfreiheit, auszuführen, was auch immer sie will, ohne weitere Rücksprache mit dem Gemeinderat halten zu müssen. „Wir müssen uns als Gremium für eine konkrete Variante entscheiden,“ sagte Frau Spinnler: „Und wir werden nicht akzeptieren, dass uns nur eine schlechte Option vorgeschlagen wird, ohne das Gegenvorschläge geprüft worden sind.“
Lösung erst in ein paar Monaten
Oberbürgermeister Dr. Würzner wirkte mit seinen Nerven am Ende, nachdem sich die Diskussion für eine gute halbe Stunde im Kreis gedreht hatte, ohne realisierbare Resultate hervorzubringen. Er lege Wert darauf – „insbesondere auch für die Öffentlichkeit“ – eindeutig klarzustellen, dass es kein Fehler der Verwaltung wäre, wenn in den kommenden Wochen Patienten zu Schaden kämen, sondern dass dies durch die „Zögerlichkeit des Gemeinderats verschuldet“ würde.
Stadtrat Eckert forderte daraufhin, dass Abstimmungsverhalten namentlich zu dokumentieren. Dennoch fand der Vorschlag der Verwaltung keine Mehrheit. Ein Radweg für Rettungsfahrzeuge wurde mit 24 zu 20 Stimmen zurückgewiesen. Ein Antrag der SPD konnte dagegen Zustimmung finden:
Der Gemeinderat erkennt die Dringlichkeit der Erstellung einer Rettungszufahrt an und beauftragt die Verwaltung, im Rahmen der weiteren Beratungen unter Beteiligung des Universitätsklinikums und der Rettungsdienste konkrete Lösungsvorschläge zu unterbreiten. Dabei soll unter anderem auch eine Variante einer neuen Zufahrtsmöglichkeit über den Parkplatz am Ende der Jahnstraße oder den Radweg entlang der Chirurgie geprüft werden.
Außerdem einigte sich das Gremium, spätestens im Februar einen Beschluss zu fassen. Die „Zufahrt über den Parkplatz am Ende der Jahnstraße“ ist neu in der Debatte und aus fachlicher Sicht noch nicht auf Umsetzbarkeit und Sinnhaftigkeit überprüft.
Oberbürgermeister Dr. Würzner bereitete der Diskussionsverlauf sichtlich Unbehagen. Wenn im Februar eine Variante beschlossen wird, dauert es noch mindestens einige Wochen, bis diese auch tatsächlich umgesetzt werden kann.
Die Stadt Heidelberg wird also noch mindestens ein paar Monate in Haftung genommen werden, falls Patienten durch die schlechte Verkehrsanbindung des Klinikums zu Schaden kommen.