Weinheim, 16. Oktober 2015. (red/ms) Weinheim verfügt über 338 städtische Wohnungen, die zu unterdurchschnittlichen Preisen an einkommensschwache Personen vermietet werden. Teils sind die städtischen Immobilien in einem erschreckenden Zustand – in 100 Wohnungen gibt es beispielsweise nicht einmal eine Heizung. Die Stellungnahmen aus dem Gemeinderat sind ernüchternd. Eine inhaltliche Zusammenfassung des Tenors: „Ja, wir hätten in der Vergangenheit mehr tun müssen – aber Prestigeprojekte erschienen uns wichtiger.“
Von Minh Schredle
Die Präsentation der Verwaltung ist ernüchternd: Offenbar hat die Stadt Weinheim über Jahre und Jahrzehnte nur das allernötigste investiert, um die städtischen Wohnungen bewohnbar zu halten. In der öffentlichen Vorlage zur vergangenen Gemeinderatsitzung heißt es dazu:
Insgesamt befindet sich der städtische Wohnungsbestand in einem bauzeitlichen Zustand. Bereits seit vielen Jahren wird mit Hinweis auf die finanzielle Situation der Stadt Weinheim an den meisten Wohngebäuden nur das gemacht, was mietrechtlich oder aus Sicherheitsgründen unbedingt instand gesetzt werden muss.
Zuständig und verantwortlich für die Vermietungen sei nach Angaben der Verwaltung das Amt für Immobilienwirtschaft. Es handle sich bei sämtlichen Wohnungsangeboten der Stadt um eine freiwillige Leistung. Daher habe man in der Vergangenheit oft vorgezogen, sich um die Pflichtaufgaben der Stadt zu kümmern, bevor Geld in Sanierungsarbeiten investiert wurde.
Das hat allem Anschein nach zu desaströsen Zuständen geführt: In 100 von 338 städtischen Wohnungen gibt es nicht einmal Heizungen – und das im Jahr 2015!
Dazu wird seitens der Verwaltung festgestellt:
Die Sanierung ganzer Wohngebäude, um diese zum Beispiel mit dem Einbau von Zentralheizungen auf einen üblichen zeitgemäßen Standard zu bringen, hätte die Räumung dieser Wohngebäude zur Voraussetzung. Da den Mietern aber keine Ersatzwohnungen angeboten werden können, erfolgt in der Regel erst nach dem Auszug der Mieter und vor der Weitervermietung eine Sanierung der Wohnung.
In den vergangenen Jahren habe man daher nur an den Gebäuden in der Kolpingstraße 4 und 6 „umfangreiche Modernisierungen“ vorgenommen – 2011, beziehungsweise 2013 wurden hier die Dächer wärmeisoliert und die Fassaden gedämmt.
Sanierungen wurden aufgeschoben
Für die Komplettsanierung einer Wohnung rechnet die Stadt mit durchschnittlichen Kosten in Höhe von 40.000 Euro – die tatsächlichen Kosten sind aber stark vom Einzelfall abhängig, da sich die Wohnungen in sehr unterschiedlichen Zuständen befinden und teils sehr unterschiedliche Standards haben.
Die Wohnungsgrößen variieren zwischen 21 Quadratmetern und 113 Quadratmetern. 258 der 338 städtischen Wohnungen haben zwei, beziehungsweise drei Zimmer plus Küche und Bad. Laut Verwaltung bevorzuge man, die freien Wohnungen stets mit so vielen Bewohnern wie möglich zu belegen – zwei-Zimmer-Wohnungen hätten also in aller Regel auch zwei Bewohner. Aktuell stehen 22 Wohnungen leer.
Keine einzige barrierefreie Wohnung
Die Mietpreise sind vergleichsweise sehr niedrig: Mit Heizung bezahlt man durchschnittlich 4,90 Euro pro Quadratmeter. Ohne Heizung sind es 3,23 Euro pro Quadratmeter. Nach Angaben der Stadt wolle man inbesondere einkommensschwachen Menschen bezahlbare Angebote zur Verfügung stellen, die am Weinheimer Wohnungsmarkt sonst nur wenige bezahlbare Angebote finden würden.
In der öffentlichen Vorlage heißt es, die Stadt Weinheim könne keine Personen versorgen, die eine alters- und behindertengerechte Wohnung suchen, da sie über keine barrierefreien Wohnungen verfügt.
An Mieteinnahmen habe man in den vergangenen fünf Jahren durchschnittlich 1.333.000 Euro vereinnahmt. Hingegen stehen Kosten der Gebäudeunterhaltung in Höhe von durchschnittlich 560.000 Euro. Theoretisch müsste es also eigentlich einen jährlichen Überschuss in Höhe von 773.000 Euro geben, mit dem man 19 Wohnungen komplettsanieren könnte. Das Geld habe man aber anders verwendet, teilt die Verwaltung auf Anfrage von Stadtrat Matthias Hördt (Die Linke) mit.
Gemeinderat zeigt sich schockiert über die Zustände
Der Gemeinderat war offenbar selbst nicht ganz im Bilde, wie es um die Wohnverhältnisse in Weinheim steht – jedenfalls legen die Reaktionen das nahe. Gerhard Mackert, Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler, sagte:
Diese Bestandaufnahme ist ja fast ein Trauerspiel,
Die Stadt sei als Eigentümerin verpflichtet, ihre Immobilien „in einem bewohnbaren Zustand“ zu halten. Wenn das nicht gelinge, müsse man die Wohnungen verkaufen, und wenn sich kein Käufer finden lasse, müsse man die Immobilen abreißen, um Raum für neue Projekte zu schaffen.
Der CDU-Fraktionsvorsitzende Holger Haring räumte „gemeinsame Versäumnisse“ ein. Die SPD-Stadträtin Stella Kirgiane-Efremidis sagte:
Die Fehler der Vergangenheit holen uns jetzt ein. Wir hatten Geld für Prestigeprojekte übrig, aber haben unseren Bestand vernachlässigt.
Man müsse nun ein Wohnraumkonzept für Weinheim erarbeiten. In diesem Zusammenhang müsse man auch darauf achten, die Barrierefreiheit auszubauen. Laut Elisabeth Kramer müsse man wieder darüber diskutieren, ob eventuell eine städtische Wohnungsbaugesellschaft sinnvoll sei – denn auch vor dem Hintergrund der Flüchtlingslage müsse man in naher Zukunft deutlich mehr preisgünstigen Wohnraum schaffen.