Ludwigshafen/Rhein-Neckar, 16. Juni 2017. (red/pro) Heute ist Helmut Josef Michael Kohl (*03. April 1930) im Alter von 87 Jahren in seinem Haus in Ludwigshafen gestorben. Der frühere Bundeskanzler war einer der bedeutendsten Politiker Deutschlands – erfolgreich, aber auch höchst umstritten. In seine Amtszeit fiel die Wiedervereinigung Deutschlands. Er gilt als entscheidender Weichensteller für die Aussöhnung mit Frankreich und die Entwicklung der Europäischen Union. Seine politischen Erfolge wurden überschattet durch berufliche Affären. Ein persönlicher Nachruf.
Von Hardy Prothmann
Irgendwann 1992. Ich bin als junger Reporter für RPR1 in Oggersheim. Helmut Kohl wird für 45 Jahre Mitgliedschaft im Ortsverband der CDU geehrt. Als Helmut Kohl eintrifft, weiß ich, dass er da ist. Ohne ihn zu sehen. Er kommt die Treppe herunter in einen Vereinskeller. Ich spüre seine Anwesenheit im Rücken. Körperlich.
Natürlich bin ich aufgeregt. Ich habe noch nie einen Bundeskanzler getroffen, bin 26 Jahre alt und seit gut einem Jahr als freier Journalist tätig. Natürlich weiß ich was über den Mann. Aus anderen Medien. Oft wird er als “Birne” verspottet. Ich beobachte wie der massige Mann mit seinen 1,93 Meter die Menschen begrüßt. Er wirkt dominant. Und setzt seine Masse direkt ein, wenn er sich den Menschen persönlich zuwendet. Alle haben Respekt vor ihm. Sehr viel Respekt. An seiner Seite die zierlich wirkende Hannelore Kohl.
Er wird geehrt für seine Mitgliedschaft im Ortsverband und hält dann eine Rede. Auf die ihm eigene, ungelenke Art. Aber: Das macht ihn besonders und ich bin irgendwie fasziniert von diesem Mann, der so gar nichts an sich hat von dem, was andere trainieren, um erfolgreich zu sein. Hier spricht einer der bedeutendsten und mächtigsten Politiker der Welt. Ein Pfälzer mit schleppendem Tonfall und deutlichen Schwierigkeiten ch und sch auseinanderzuhalten.
Seine Augen blitzen, wenn er Betonungen setzt. Und wenn er Leute direkt anschaut, wirken die wie in einem Bann.
Später darf ich zu ihm, setze mich neben ihn, stelle mich vor und er sagt:
RPR? Euch gebe ich kein Interview.
Ich frage, warum nicht? Er sagt, er sei zu einem Gespräch ins Studio eingeladen und dann wieder ausgeladen worden:
Das ist eine Unverschämtheit. Ich bin der deutsche Bundeskanzler.
Ich schlucke. Davon weiß ich nichts. Ich habe einen Auftrag, will mein Geld verdienen und sitze jetzt hier mit einer Absage.
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, davon weiß ich nichts. Ich bin auch nicht RPR, sondern als freier Journalist hier im Auftrag für einen Kunden. Ich möchte meine Arbeit machen und hoffe, dass Sie mir das gestatten.
Er guckt mich erstaunt an. Habe ich ihm widersprochen? Dann rüber zu seiner Frau Hannelore. Die schaut mich an, lächelt und zwinkert mir zu. Dafür schließe ich sie sofort in mein Herz. Das gibt Kraft. Er sieht das, fixiert mich, seufzt und sagt:
Dann fragen Sie halt. Aber bloß keinen Blödsinn.
Das Gespräch, sagen wir mal so, war nicht einfach. Aber es fand statt und ich habe meinen Beitrag produziert.
Szenenwechsel. 1999 Wieder ist Helmut Kohl präsent. Ich sitze in Hamburg im Haus von Günter Gaus, über den ich ein Porträt schreiben werde. Ich unterhalte mich mit diesem ganz und gar außergewöhnlichen Mann über seine berufliche Karriere. Von 1965 bis 1968 war er Programmdirektor für Hörfunk und Fernsehen des Südwestfunk (SWF). Vor seiner Ernennung musste er auch bei der CDU vorsprechen – bei Helmut Kohl:
Natürlich hatte ich auch eine Meinung zu diesem Mann, der schnell und beharrlich Karriere in der CDU gemacht hatte. Wir waren etwa gleich alt. Ich war auf ein fachliches Gespräch vorbereitet und darauf, dass er mich auf Herz und Nieren prüft. Das tat er. Er sagte: Lassen Sie uns reden. Das taten wir. Wir redeten lange und das Gespräch war offen und vielseitig. Dabei tranken wir Gewürztraminer. Ich weiß nicht, wie viele Flaschen. Es waren einige. Am nächsten Morgen, ich hatte fürchterliche Kopfschmerzen, rief er mich in der Frühe an und sagte: Sie sollten das werden.
Helmut Kohl war ein privater Strippenzieher. Einer, der strategisch dachte und dabei immer die Persönlichkeit im Auge hatte. Berühmt-berüchtigt ist sein schwarzes Notizbuch, in dem er angeblich alles zum Vor- oder Nachteil über Personen notierte.
Er ist bis heute der am längsten amtierende Bundeskanzler der deutschen Nachkriegsgeschichte. Katholisch-konservativ geprägt. Aufgewachsen in Ludwigshafen Friesenheim. Im Schatten des Chemie-Riesen BASF. Studiert und promoviert in Heidelberg. Angestellt im Chemie-Business, bevor er Berufspolitiker wurde.
Er hat bedeutende Wahlerfolge für die CDU erreicht und aus der Opposition heraus sich sein Amt als Bundeskanzler (1982-1998) erkämpft. Konkurrenten wie Franz Joseph Strauß hat er eiskalt abserviert. Er war in mehrere Affären verstrickt. In der Causa Leuna waren alle investigativen Journalisten Deutschlands hinter ihm her – bis heute konnte ihm niemand zweifelsfrei eine Schuld nachweisen.
Anders bei der Parteispendenaffäre, die letztlich im Zerwürfnis mit der CDU endete. Er hat über die angeblichen Spender nichts verlautbaren lassen. Er stand seiner Aussage nach im Wort.
Alle politischen Journalisten wussten um die Rolle seiner Büroleiterin Juliane Weber Bescheid. Aber das war kein Thema, weil es nichts zu skandalisieren gab. Sein Privatleben hat er weitgehend abgeschottet oder inszeniert. Der tragische Freitod seiner Frau Hannelore im Jahr 2001 war sicherlich ein Tiefpunkt im Leben dieses Machtpolitikers, dessen private Familienverhältnisse wie auch seine politischen nach 1998, als der die Macht an Gerhard Schröder (SPD) abgeben musste, überwiegend von Bitterkeit geprägt waren.
Heute regiert in der dritten Amtsperiode Dr. Angela Merkel – früher “sein Mädchen”. Auch mit ihr kam es zum verbitterten Bruch. Die ehemals von ihm geförderte Politikerin schickt sich an, zum vierten Mal in Folge als Bundeskanzlerin gewählt zu werden und seinen Amtsrekord einzuholen.
Sein Machtwille war Motor seines politischen Erfolgs, aber zugleich beförderte er sich damit viele Gegner und regelrechte Feinde. Seine politischen Verdienste sind unumstritten. Er ist der “Kanzler der Einheit”, wenngleich der Vorbereiter klar Willy Brandt war – mit Unterstützung von Strippenziehern wie Günter Gaus.
Sein historisches Vermächtnis ist eindeutig die Aussöhnung mit Frankreich zusammen mit Francois Mitterrand.
Zur “Presse” hatte er immer ein, sagen wir mal, “besonderes” Verhältnis. Zum Medienunternehmer Leo Kirch ein enges und auch belastendes. Er ist entscheidend am Aufbau des Privatfunks beteiligt gewesen, der wenig zu Aufklärung und einem gesellschaftlichen Miteinander beiträgt, dafür aber die Massen unterhält. Auch zur Bild hatte er ein gutes Verhältnis. Natürlich strategisch zu beiderseitigem Nutzen.
Dr. Helmut Kohl hat viel erreicht und geht in die Geschichte dieses Landes ein. Nicht als Lichtgestalt, sondern als Machtmensch, was grundsätzlich kein Fehler ist. Aber über seinem Wirken hängen auch viele Schatten. Beruflich wie persönlich.
Ich persönlich hätte ihm gewünscht, dass er wie seine erste Frau Hannelore auch mal gelächelt und gezwickert hätte. Von Herzen.
Seine letzten Jahre waren nach einem Sturz und einem Hirn-Schädel-Trauma sehr beschwerlich. Diese Masse von Mann und Macht wird persönlich am meisten darunter gelitten haben.
Mich hat das sehr betroffen gemacht. Insbesondere, als ich 2011 miterleben musste, wie der Altkanzler in Ludwigshafen wie ein Werbemittel zur Einweihung des Platzes der Deutschen Einheit herangeschoben und dann vergessen worden ist. Als es zum Fototermin kommen sollte, saß er allein und abseits in seinem Rollstuhl. Das war verächtlich.
Die rheinland-pfälzische CDU-Chefin Julia Klöckner teilt aktuell mit:
Die Welt gedenkt heute einem der großen Europäer unserer Zeit. Deutschland trauert um den Kanzler der Einheit. In Rheinland-Pfalz halten unsere rund 43.000 CDU-Mitglieder inne und verneigen sich vor einem großen Staatsmann und Freund. Dabei blicken wir gerade auch auf die frühen Jahre der politischen Karriere von Helmut Kohl in diesem Bundesland zurück. Als junger Wilder hat er damals die CDU erfolgreich reformiert und modernisiert wie kaum jemand nach ihm. Unter seiner Führung wurde aus ihr eine moderne Programm- und Volkspartei. Rheinland-Pfalz machte er damals zur Ideen- und Talentschmiede der Republik”, erklärt die heutige Landes- und Fraktionsvorsitzende der CDU Rheinland-Pfalz, sowie stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Julia Klöckner zum Tod des Altkanzlers.
Dr. Helmut Kohl geht in die Geschichte ein. Als streitbarer, aber auch verbindlicher Mann. Als äußerst erfolgreicher Politiker, aber auch als Mensch mit Fehlern.
Dieser Artikel kann auch nicht im Ansatz die Lebensleistung, die Höhen und Tiefen dieses bedeutenden Politikers, nachzeichnen. Dieser Artikel ist ein persönlicher Nachruf, mit “Spots” aus eigenem Erleben und ausgewählten Informationen.
Auf der Seite des CDU-Stadtverbands Ludwigshafen findet man auch am späten Abend keine Worte der Kondolenz. Was für eine Schande. (Anm. d. Red.: Nach Mitternacht kam dann doch noch eine Meldung.)
Über die Toten nichts als Gutes mag manchem abgeschmackt vorkommen. Über diesen Toten Altkanzler genau nichts zu sagen zu haben, ist vollständig geschmacklos und unwürdig.
Der Familie von Dr. Helmut Kohl übermittle ich mein Beileid – egal, welche Schwierigkeiten bestehen sollten. Im Angesichts des Todes gibt es keinen Anlass für Streit oder Abrechnungen, sondern nur für Trauer und ein wohlwollendes Gedenken.
Friede seiner Seele.