Mannheim/Rhein-Neckar, 15. Januar 2015. „Lügenpresse“ ist das Unwort des Jahres 2014. Weil es pauschal alles, was Journalisten berichten, als „Lüge“ diffamiert. Zudem werden Journalisten, bedroht und behindert, verklagt und verleumdet. Wir haben Kollegen im In- und Ausland gefragt, wer oder was ihrer Meinung nach die Pressefreiheit bedroht und ergänzen den Artikel immer dann, wenn neue Zusendungen kommen.
Vorwort: Hardy Prothmann
Die Medien erleben einen enormen Umbruch, weil durch das Internet das frühere Informationsmonopol nicht mehr existiert. Braucht man also keine Medien mehr? Wer sich im Internet umschaut, insbesondere bei sozialen Medien und Facebook, wird feststellen, dass vor allem Medieninhalte gepostet und geteilt werden, wenn es darum geht, Informationen zu Themen zu erhalten.
Aber es wird auch klar, dass nicht alles „stimmt“ oder „so stimmt“, wie Medien das vermelden. Berichten Journalisten immer „die Wahrheit“? Natürlich nicht, denn „die eine“ Wahrheit gibt es meistens nicht. Zudem kann man niemals zu einem Thema auch wirklich alles berichten. Die Freiheit der Medien ist auch eine Freiheit der Auswahl von Informationen und unterschiedlicher Berichte zu einem Thema. Gerade die Vielfalt sorgt für ein breites Spektrum an Informationen, aus denen sich Menschen eine Meinung bilden können. War Che Guevara ein Terrorist oder ein Freiheitskämpfer? Da kann man geteilter Meinung sein.
Um Informationen zu erhalten und zu verarbeiten, genießen Journalisten Privilegien. Aber sie werden auch teils enorm behindert, in den meisten Ländern dieser Welt sogar verfolgt und auch gezielt getötet. Verglichen mit diesen Zuständen, leben Journalisten in Deutschland und anderen europäischen Ländern auf einer Insel der Glückseligkeit. Ist das so? Überwiegend ja, aber es gibt vielfältige Bedrohungen, die die Pressefreiheit gefährden und damit auch die Meinungsfreiheit bedrohen.
Wir haben Kollegen gebeten, Aspekte zu nennen, die die Presse- und Meinungsfreiheit einschränken oder unmöglich machen. Wir ergänzen fortlaufend.
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Lars Hennemann, stv. Chefredakteur, Allgemeine Zeitung, Wormser Zeitung, Wiesbadener Kurier/Wiesbadener Tagblatt, Main-Spitze, Leiter Newspool
„Man kann diese Frage durch Aufzählen vieler einzelner Teilaspekte zu beantworten versuchen. Oder man versucht, ein alle diese Aspekte verbindendes Grundproblem herauszuarbeiten. Da ein solches meiner Meinung nach existiert, versuche ich das.
Die Pressefreiheit wird durch alle diejenigen bedroht, die nicht oder nicht mehr an sie und ihren Wert glauben.
Das ist aus meiner Sicht das zentrale Problem. Wer glaubt nicht mehr daran oder hat es noch nie? Natürlich alle Extremisten und Fanatiker, die wie jetzt in Paris grauenhafte Taten begehen. Oder alle die, die von Amts oder von Staats wegen Pressefreiheit unterdrücken, sei es in Nordkorea, Eritrea oder der Türkei.
Aber das Problem reicht längst tiefer, auch in einem Land wie Deutschland, in dem die Presse frei ist. In Deutschland glauben Facebook, Google, Twitter und viele andere große und kleine Player im Netz nicht mehr daran oder höchstens auf ihre spezielle Weise, weil sie eigene wirtschaftliche Zwecke verfolgen.
Das ist legitim, engt aber die Pressefreiheit mit der unerbittlichen Logik von Algorithmen und dem Umlenken von Werbeetats immer weiter ein. Pressefreiheit zumindest im tradierten Sinn muss man sich, auch wenn Journalisten das nicht immer hören wollen, erst mal leisten können. Das gilt unterschiedslos für Verlagsangestellte wie für Freelancer und digitale Sologeiger.
Die Sozialen Netze und das Internet im Allgemeinen bieten durch die beschriebene Wirkweise einer weiteren Gruppe eine Plattform, die Pressefreiheit damit verwechselt, lediglich die eigene Meinung überall, jederzeit und uninterpretiert in maximaler Reichweite verkünden zu dürfen. Der Gedanke, dass andere diese Meinung interpretieren, in Beziehungen setzen und gewichten, ist ihnen unerträglich.
Ein geordneter Diskurs kommt immer schwieriger zustande.
Die extremste Ausprägung dieser Gruppe sind diejenigen, die auf Pegida-Demonstrationen oder andernorts von „Lügenpresse“ sprechen. Diese Gruppe wird nach meiner Einschätzung seit langem eher größer als kleiner.
Die traditionelle Pressefreiheit steht einer Freiheit gegenüber, bei der alle gleichzeitig das durcheinander brüllen, woran sie glauben oder woraus sich gerade die jeweilige individuelle Erregung speist. Ein geordneter Diskurs kommt immer schwieriger zustande. Manchem Politiker, der es besser weiß, ist dies eben recht.
Mit einiger Wahrscheinlichkeit sind es aber auch wir Journalisten selbst, die die Pressefreiheit bedrohen. Weil wir noch lange nicht überall konsequent genug und frei von Standesdünkel den geänderten Bedingungen im 21. Jahrhundert versuchen, Rechnung zu tragen.
Die Zeiten des allwisssenden und alldeutungs- und wirkmächtigen Gatekeepers im Elfenbeinturm sind vorbei. Wer keinen Dialog sucht, digitale (oder auch echte) Stammtische meidet und stattdessen versucht, überkommene Vorstellungen von Journalismus zu bewahren, verliert seine Legitimation.
Wir Journalisten müssen uns für nichts rechtfertigen, in Zeiten von „Charlie Hebdo“ schon gar nicht. Aber wir müssen jeden Tag beweisen, dass wir das Vertrauen, dass die unabdingbare Voraussetzung für den Glauben an Pressefreiheit ist, auch nach wie vor wert sind. Und das geht nur, indem wir nicht vor den geänderten Rahmenbedingungen kapitulieren. Sondern einfach ohne Scheuklappen nach wie vor anständig unseren Job machen. Wer überzeugen will, schafft das nur durch glaubhafte Arbeit. Daran hat sich auch 2015 überhaupt nichts geändert.“
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Hans-Martin Tillack, Reporter stern
„Pressefreiheit – das ist ein bisschen wie ein Damm, der immer wieder bricht und dann mühsam geflickt werden muss.
Zu denjenigen, die die Pressefreiheit bedrohen, gehören natürlich die Nachrichtendienste, die immer umfassender unsere elektronische Kommunikation überwachen und damit den Quellenschutz gefährden. Dazu gehören aber auch Journalisten, die sich von Mächtigen in Politik und Wirtschaft einschüchtern oder einwickeln lassen.
Die Krise der – gedruckten – Zeitungen und Zeitschriften kann dazu führen, dass recherchierender Journalismus aus Sicht der Verlage ein zu teurer Luxus wird. Wirtschaftlich geschwächte Zeitungen lassen sich unter Umständen von Anzeigenkunden leichter unter Druck setzen. Verdeckte wie offene PR und Propaganda von Unternehmen oder Staaten hätten dann leichteres Spiel.
Mordanschläge auf Journalisten waren bisher nichts, vor dem man sich fürchten musste.
Doch all dies sind Luxusprobleme gemessen an einer echten Gefahr für Leib und Leben. Anders als in Staaten wie Russland waren Mordanschläge auf Journalisten in Westeuropa bisher nichts, vor dem man sich fürchten musste.
Doch jetzt bezahlten die Kollegen bei „Charlie Hebdo“ für ihre Arbeit mit dem Leben. Es ist überaus ermutigend, dass die Bürger dagegen auf die Straße gehen, in Frankreich, aber auch in Deutschland und vielen anderen Ländern.“
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Christian Mihr, Geschäftsführer Reporter ohne Grenzen, deutsche Sektion
„Dass Teile der Gesellschaft Journalisten pauschal mit einem historisch belasteten Kampfbegriff diffamieren, offenbart eine erschreckende Geringschätzung für die Unabhängigkeit der Medien und für ihre Rolle in einer offenen Gesellschaft.
Erschreckende Geringschätzung für die Unabhängigkeit der Medien
Es ist nur angemessen, diesen Begriff „Lügenpresse“ als Unwort zu brandmarken, bevor aus solchem Gedankengut Taten folgen.“
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Before I begin to even talk to you about the freedom of expression in Egypt, more specifically post coup, allow me to draw your attention to a certain point: There is a difference between freedom of expression and the freedom to transmit news.
For the freedom of expression must be preceded largely by knowledge of facts and occurrences and on which we build later on our opinion which we then can express in various ways.
On that basis, the freedom to transmit news and events precedes the freedom of expression. In Egypt you have a country that neither respects journalists nor allows them to portray the reality on the ground to the people, the search for freedom of expression is like a filmmaker who owns no camera or film.
For a year and a half I have been left in an underground cell charged with journalism, charged with the dissemination of news – and believe it or not, for admitting to belong to a newspaper!
And yet, despite that, as a journalist in my country, I know I am lucky. Others have been killed for carrying out their work with no one asking about them or bringing their killers to justice, holding them accountable for the charges of murder, of restricting freedom, of targeting journalists – the world has forgotten or neglected them my friend.
For the past year and a half I have been imprisoned with many journalists, Egyptian and foreign alike from various press organisations. I was with Abdullah Al-Shamy, the Aljazeera journalist who was arrested whilst doing his work the day of the dispersal of Rabaa, the same day that Habiba Mohamed, operating in Abdullah’s press team to cover the events, was killed.
Many people are unaware that the actual numbers of detainees from Rassd News has exceeded 40 journalists, and that the organisation withholds their names for fear of endangering them, for it is better for a journalist upon being arrested in Egypt covering the events to be charged as a protester than charged as a journalist.
How naïve I was! I thought the world would stand against the coup government in its targeting of journalists and their restrictions. What happened instead was the collaboration and neglect, with some countries even handing their journalists over to the Egyptian authorities such as what happened with the director of Ahrar25, Musad Albarbary, abducted by the Lebanese authorities and given to their Egyptian counterparts, to be charged by managing a news channel. And the incident will repeat itself with others, for haven’t I told you – the world does not care. Perhaps it’s because the detained journalist is Egyptian?
Forgive me my friend, for prolonging my introduction and not answering. Let me tell you what freedom of expression means to me after all detention period.
Freedom of expression now, is for me to be free to write words on the walls of my cell, to shout out in my loudest voice how I feel to the fellow prisoner behind my cell door. To have the freedom to talk to the military judge overseeing my case, the freedom to choose between silence or speech which might land me in isolation.
It’s the ability to hold a discussion with twenty other journalists about what occurred when we were in the court’s cage, the soundproof glass box, our punishment for daring to work as journalists.
Freedom of expression my dear friend, is to talk about the killers of Charlie Hebdo and to ignore the killings of the Arab journalists, pretending to condemn the killers of the French journalists.
I hear ‘freedom of expression’ and Ahmad Assim comes to mind. Ahmad Abdeljawad. Habiba Ahmad. Mosab Alshamy. Mayada Ashraf. They all come to mind, the journalists killed for their work.
The Mariott Cell case also comes to mind, the Rabaa Operations Room case, the Rassd leaks, Mikamleen and the more than 100 Egyptian journalists left to rot in the prison cell because of the charge of journalism.
Those are the limits of freedom of speech in my country now.
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