Weinheim, 15. Dezember 2015. (red/ms) Oberbürgermeister Heiner Bernhard bezeichnet den Haushaltsentwurf für 2016 als „Zäsur“: Die Stadt könne sich nicht mehr all ihre geplanten Projekte leisten. Daher werde es „massive Streichungen“ geben müssen, die „richtig weh tun“. Das Kulturzentrum liegt wohl auch mittelfristig auf Eis. Der Bau des Schulzentrums wird aufgeschoben – um „mindestens ein Jahr“. Und trotz aller vorgesehen Einsparungen bleibt der Haushalt defizitär – um ganze 6,7 Millionen Euro. Oberbürgermeister Bernhard sieht die Handlungsfähigkeit der Stadt bedroht.
Von Minh Schredle
Etliche Kommunen in Baden-Württemberg stehen am Rande der finanziellen Handlungsfähigkeit und haben große Schwierigkeiten, ausgeglichen zu haushalten – so auch Weinheim. Oberbürgermeister Heiner Bernhard (SPD) wählt drastische Worte. Er und der Kämmerer Jörg Soballa kämen zur selben Einschätzung:
In wenigen Jahren werden wir keinen genehmigungsfähigen Haushalt mehr zustande bringen, wenn wir jetzt nicht das Ruder herumreißen.
Der Haushaltsplanentwurf für 2016 stelle daher eine „Zäsur“ dar. Eine „Neujustierung der kommunalpolitischen Prioritäten“ sei daher notwendig. Darüber streite man sich schon seit Jahren: „Dabei ist uns zuletzt nicht viel gelungen,“ sagt er:
Für die Realisierung aller bisher geplanten Projekte fehlt uns schlichtweg das Geld.
Das führe zu Veränderungen, Einschnitten und Streichungen, die „richtig weh“ tun würden. Die entsprechenden Entscheidungen verlangten Mut, sagt der Oberbürgermeister. Aber eine echte Wahl habe man nicht.
„Hoffnung nicht angebracht“
In Zeiten „sprudelnder Steuereinnahmen“ habe die Stadt sich übernommen und Projekte durchgewinkt, die man sich in dieser Größenordnung eigentlich nicht alle hätte leisten können. Dabei geht es um eine Vielzahl von Millionenprojekten in den vergangenen zwölf Jahren: Die Sanierung des Waldschimmbads (fünf Millionen Euro), der Neubau mehrerer Kindergärten (insgesamt fast sieben Millionen Euro), die Sanierung der Friedrich-Schule und der Bau der Mensa im Werner Heisenberg Gymnasium (6,7 Millionen Euro), das Feuerwehrzentrum und das Feuerwehrgebäude in Oberflockenbach (knapp zehn Millionen Euro) und die Neugestaltung der Innenstadt (10,3 Millionen Euro), um nur eine Auswahl zu nennen. Herr Bernhard sagte:
Jedem hätte klar sein müssen, dass wir nicht all das gleichzeitig stemmen können, was wir uns wünschen. Ich habe immer wieder darauf hingewiesen. In manchen Lebenslagen hilft zwar das Prinzip Hoffnung. In einer solchen Lebenslage befinden wir uns derzeit aber nicht.
Herr Bernhard stellt es dar, als sei insbesondere der Gemeinderat verantwortlich für die Versäumnisse der Vergangenheit, weil er vielen kostenintensiven Maßnahmen zu unkritisch und zu gutmütig zugestimmt hätte. Ganz unschuldig ist aber auch der Oberbürgermeister nicht an der prekären finanziellen Lage – schließlich ist er als Oberhaupt der Verwaltung dafür zuständig, über welche Beschlussvorlagen der Gemeinderat entscheidet.
Man habe es sich viel kosten lassen, die Infrastruktur zu erneuern und zu verbessern, sagt Herr Bernhard. Mit einer „wir können alles“-Mentalität könne es aber nicht weitergehen.
„Denkt auch an die Folgekosten“
Teils würden die teuren Investitionen auch hohe Folgekosten mit sich bringen – etwa die städtischen Badeangebote, die jedes Jahr ein Defizit von insgesamt über 1,5 Millionen Euro erzeugen. Oder auch die geplanten neuen Turnhallen in Lützelsachsen und Oberflockenbach, deren Instandsetzung und Unterhalt jährliche Kosten in Höhe von etwa 700.000 Euro verursachen würden.
Die laufenden Kosten entwickeln sich zunehmend zu einem Problem. Insgesamt umfasst das Haushaltsvolumen 2016 inklusive Kreditaufnahme gut 116,5 Millionen Euro. Mehr als ein Viertel – 31,5 Millionen Euro – sind für Personalkosten eingeplant. Laut dem Oberbürgermeister sei das Potenzial für Einsparungen an dieser Stelle sehr gering. Im Gegenteil: Es müsse für die kommenden Jahre eher mit einem noch größeren Aufwand gerechnet werden, unter anderem wegen der Versorgung von Flüchtlingen, die eine intensive Betreuung bräuchten. Das werde „nicht zum Nulltarif“ möglich sein. Es müsse aber klar sein:
Keine oder eine unzureichende Integration der Menschen, die jetzt zu uns kommen, das wäre auf Dauer die teuerste Lösung.
Außerdem sind neue Gemeinschaftsunterkünfte eingeplant, die in den kommenden Jahren hunderten Flüchtlingen ein Zuhause bieten sollen. Diese Zuweisungen belasten den Haushalt zusätzlich – es wäre allerdings polemische Hetze, der Flüchtlingskrise die Alleinschuld an den Defiziten im Haushalt zuschreiben zu wollen: Für den Neubau von Unterkünften und die Anmietung von Containern sind 2016 insgesamt 4,28 Millionen Euro eingeplant. Das ist ein großer Brocken. Aber: Selbst ohne diese Investitionen würde Weinheim trotz aller Einsparungen immer noch ein Defizit von knapp 2,5 Millionen Euro erwirtschaften.
„So kann es nicht weitergehen“
So ist eine Kreditaufnahme von 6,7 Millionen Euro vorgesehen – aller Einsparungen und Streichungen zum Trotz. Gleichzeitig greift die Stadt auf ihre Ersparnisse zurück. Der Schuldenstand wird bis zum Ende des Jahres von 36,2 Millionen Euro auf etwa 42,8 Millionen Euro ansteigen. Außerdem warnt der Oberbürgermeister:
Unser Liquiditätspolster wird planmäßig bereits Ende 2016 auf nur noch 15,4 Millionen Euro zusammengeschrumpft sein. Dann hätten wir in nur drei Jahren 29,5 Millionen Euro mehr ausgegeben, als wir eingenommen haben. Damit dürfte jedem hier klar sein, dass es so nicht weitergehen kann.
Um handlungsfähig zu bleiben, müsse man sich also einschränken, wiederholt Herr Bernhard immer wieder. Beim Neubau des Kultur- und Sportzentrums werde man sich bis auf Weiteres vom Bau eines neuen Kulturzentrums verabschieden. Dadurch könne man rund 8 Millionen Euro einsparen.
Beim Schulprojekt müsse zudem eine zeitliche Verzögerung in Kauf genommen werden. Nach Abschluss der Planungen werde die Maßnahme für „mindestens ein Jahr unterbrochen“ werden müssen. Dadurch würden Kosten von mindestens 12 Millionen Euro vorerst entfallen – die werden Weinheim allerdings in den kommenden Jahren einholen, sofern am Schulzentrum weiterhin festgehalten wird.
Steuern werden erhöht
Herr Bernhard kommt zur bitteren Konklusion: „Wir müssen uns bewusst machen, dass wir künftig nicht mehr alles, was uns sinnvoll, ja sogar was uns notwendig erscheint, beschließen können.“ Die Stadt sei für ihre Größenordnung ohnehin „chronisch unterfinanziert“. Dem will die Verwaltung zu einem Teil durch Steuererhöhungen entgegenwirken: Die Grundsteuer B soll auf 450 Prozent erhöht werden. Die zusätzliche Belastung für die Bürger liege laut Herrn Bernhard bei unter 2 Euro pro Monat. Der Stadt würde das Mehreinnahmen von rechnerisch 380.000 Euro pro Jahr verschaffen.
Auch die Gewerbesteuer wird wahrscheinlich angehoben, voraussichtlich um 30 Punkte auf 380 vom Hundert. Laut dem Oberbürgermeister sei dieser Schritt „enorm sensibel“ und er habe ihn während seiner gesamten bisherigen Amtszeit immer vermeiden wollen – auch wegen der großen Konkurrenz im Umland. Nun sei Weinheim allerdings an einem Punkt angelangt, bei dem er die zukünftige Handlungsfähigkeit der Stadt bedroht sehe. Daher müsse dieses Risiko aus seiner Sicht eingegangen werden.
Noch handelt es sich bei dem Haushaltsplan für 2016 nur um einen Entwurf. Die Beratungen und Verhandlungen im Gemeinderat stehen noch aus, vieles kann sich theoretisch noch verändern – der Rahmen, den Oberbürgermeister Bernhard und Kämmerer Jörg Soballa aufzeigen, lässt allerdings wenig Freiraum offen. Den Stadträten kommt nun eine Aufgabe zu, die sicher nicht beneidenswert ist: Sie müssen das einstreichen, was nicht vollkommen unverzichtbar ist.