Mannheim/Rhein-Neckar, 15. Mai 2014. (red/ms) Was passiert, wenn man sieben Gemeinderatskandidaten zwei Stunden diskutieren lässt? Endet das im Chaos und mit unschönen Anfeindungen? Nicht zwangsläufig. Im Jugendkulturzentrum Forum fand eine Podiumsdiskussion zur Kommunalwahl mit Kandidaten von SPD, CDU, den Grünen, FDP, der Linken, Mannheimer Liste und AfD statt. Moderiert wurde das von Minderjährigen vor einem Publikum aus Erstwählern – und es klappte erstaunlich gut.
Von Minh Schredle
Wenn Schüler dazu gezwungen werden, sich mit Politik auseinander zu setzen, kann das schnell anstrengend und zäh werden. Häufig merkt man ihnen ihr Desinteresse deutlich an. Daher war ich überrascht, wie aktiv und aufmerksam die jungen Besucher der Podiumsdiskussion im Jugendkulturzentrum Forum folgten.
Der Raum, in dem die Veranstaltung stattfand, ist bis an seine Kapazitätsgrenzen ausgereizt. Gut 200 junge Gäste sind gekommen. Der überwiegende Großteil sind Schüler des Johann-Sebastian-Bach oder des Ludwig-Frank-Gymnasiums. Bei vielen handelte es sich um Erstwähler.
Die Veranstalung sollte vor allem zu einem bewegen: Überhaupt wählen zu gehen. Sechs Parteien und eine Wählervereinigung schickten jeweils einen Vertreter/in, der/die für den Gemeinderat kandidiert.
Gelungene Moderation
Sie diskutierten gut zwei Stunden lang über verschiedene Themen. Der Umgangston dabei war sehr höflich und respektvoll – einzig zwischen dem Kandidaten der AfD und allen anderen gab es gelegentlich Anfeindungen.
Das Ganze fand unter der Leitung von drei Moderatoren statt: Pascal Ausäderer, Daniela Steinbrenner und Marie Schünemann, die allesamt selbst minderjährige Schüler des Johann-Sebastian-Bach-Gymnasiums sind. Sie erledigten ihre Aufgabe hervorragend. Manche Ältere könnten da noch eine Menge lernen.
Unterschiedliche Strategien
Interessant ist, wen die Parteien geschickt haben: Die Grünen, die FPD und die AfD schickten Leute mit niedrigen Listenplätzen, gewissermaßen Spitzenkandidaten: Dirk Grunert (Die Grünen, Listenplatz 2) und Birgit Sandner-Schmitt (FDP, Listenplatz 3) sind bereits Mitglieder im aktuellen Gemeinderat. Claus Nielsen von der AfD hat mit Listenplatz Nummer 3 realistische Chancen.
SPD, Die Linke und Mannheimer Liste schickten mit Isabel Cademartori (SPD, Listenplatz 22), Hilke Hochheiden (Die Linke, Listenplatz 6) und Hanna Meier (ML, Listenplatz 18) sehr junge Kandidatinnen ohne große Wahlchance. Vermutlich war die Überlegung, mit jungen Leuten ein junges Publikum zu begeistern.
Diese Überlegung hat auch gut funktioniert – in der Regel ernteten sie mehr Applaus als ihre älteren Konkurrenten. Die CDU schickte mit Chris Rihm einen Kandidaten, der weder jung ist noch einen vielversprechenden Listenplatz (Nummer 28) belegt. Trotzdem kam er bei den Zuschauern gut an.
Lobenswerte Organisation
Noch bevor die sieben Kandidaten die Bühne betraten, wurde den Besuchern ein kurzes Video gezeigt, in dem erklärt wurde, wie eine Gemeinderatswahl funktioniert und was man zu beachten hat, damit ein Stimmzettel nicht ungültig wird. Dann liefen die Politiker nacheinander ein, während Europes „Final Countdown“ eingespielt wurde.
Die Organisationsarbeit ist ausdrücklich zu loben: Ich hatte damit gerechnet, dass eine Diskussionsrunde mit sieben Personen und unter Einbeziehung des Publikums eher chaotisch abläuft. Das war aber nicht der Fall. Die Regeln waren klar festgelegt.
Es gab die vier Themenbereiche Schule & Bildung, Freizeit & Kultur, Sicherheit und Drogen, die nacheinander abgearbeitet wurden. Zu jedem Block hatten die Moderatoren Fragen vorbereitet. Teilweise waren die richtig gut und lockten die Kandidaten ordentlich aus der Reserve.
Witzige Animationen als Einleitung
Vor jedem der Themenbereich wurde ein animiertes Video mit Legofiguren gezeigt, das als Einleitung diente. Das war witzig und lockerte die Stimmung etwas auf. Überhaupt war die Veranstaltung spaßiger als man es vielleicht von bierernsten Diskussionsrunden gewohnt ist. Wenn man das Alter der Zielgruppe bedenkt, sicherlich eine gute Entscheidung.
Die Redezeit war pro Kandidat auf 90 Sekunden beschränkt. Allerdings hatte jeder zwei Joker, die entweder die Redezeit verlängerten oder einem die Möglichkeit verschafften, ebenfalls auf eine Frage zu antworten, die eigentlich nur an jemand anderen gerichtet war.
Das Publikum konnte auch Fragen stellen – allerdings mussten diese ausdrücklich an einen bestimmten Kandidaten gerichtet werden. Der Andrang war so groß, dass die Moderatoren teilweise eingreifen mussten, um den zeitlichen Rahmen zu wahren.
Frau Sandner-Schmitt weiß am meisten über Mannheim
Bevor es allerdings zu den Inhalten überging, sollten die Kandidaten Wissensfragen über Mannheim und die Stadtgeschichte beantworten. Am meisten konnte hierbei Birgit Sandner-Schmitt von der FDP punkten. Interessanterweise wusste weder sie noch Dirk Grunert (Die Grünen) wie viele Quadratkilometer Mannheim groß ist.
Bei dieser Schätzfrage lag Hanna Meier von der Mannheimer Liste mit 150 Quadratkilometern am nächsten am richtigen Wert (145 Quadratkilometer). Dirk Grunert, Claus Nielsen, Hilke Hochheiden und Isabel Cademartori konnten keine der Fragen korrekt beantworten.
Den größten Redeanteil hatte Claus Nielsen von der AfD. Er bekam allerdings auch die meisten – größtenteils kritischen – Fragen vom Publikum gestellt und war der einzige, der die vorgesehenen Redezeiten quasi ständig missachtete.
„Die AfD ist keine rechte Partei“
Er sagte, die AfD sei „keine rechte Partei“ und in ihrem Parteiprogramm stehe „an keiner Stelle etwas Diskriminierendes“. Isabel Cademartori verwies daraufhin auf eine Stelle aus dem Parteiprogramm, in dem es wörtlich heißt:
Wir fordern ein klares, öffentliches Eingeständnis, dass diese spezielle Zuwanderung (Anm.d.Red.: zuvor ist von der „Armutseinwanderung aus Balkanländern“ die Rede) nicht zu bewältigen ist und im Interesse aller Mannheimer Einwohner – unabhängig von ihrer Herkunft – gestoppt werden muss.
Sie bezeichnete das Auftreten der AfD als „heuchlerisch.“ Darauf nutzte Herr Nielsen einen seiner Rede-Joker, um einen fragwürdigen Vergleich zu ziehen:
Wie kann es sein, dass die SPD der AfD Heuchelei vorwirft, wenn doch Schröder ein gutes Verhältnis zu Putin hat, der Menschenrechte missachtet?
Der Vergleich wirkt seltsam deplatziert und aus der Luft gegriffen. Im Weiteren betonteer , wie sehr die AfD falsch verstanden wurde: Man wolle „Asylanten“ helfen und Zuwanderung nicht stoppen, sondern nur regulieren. Wie in der Schweiz oder in Kanada – da sei das ja auch nicht rassistisch.
„Was die AfD macht, ist unerträglicher Populismus“
Dirk Grunert kritisierte diese Haltung trotzdem. Man dürfe Menschen „nicht nach ihrer Nützlichkeit beurteilen und nur die aufnehmen, die einem wirtschaftliche Vorteile bringen“. Was die AfD fordere sei „unerträglicher Populismus“.
Rechtlich wäre es gar nicht möglich als Gemeinderat die Zuwanderung in Mannheim zu regulieren – das sei keine Aufgabe in der Zuständigkeit der Kommunalpolitik, sondern Landessache.
Position zum Alkohl fragwürdig
Bis auf seine Rügen an der AfD hielt sich Herr Grunert als Redner etwas zurück. Wenn er allerdings sprach, wurden seine Worte mit großem Applaus belohnt. Er wolle „Asylanten“ eine menschenwürdige Unterbringung ermöglichen und sie gut in die Gesellschaft integrieren – das gefiel den Schülern.
Als kritisch beurteile ich seine Ansichten zum Alkohol. Als er darauf hingewiesen wird, dass Minderjöhruge bei Testkäufen in mehr als sechzig Prozent der Fälle an Spirituosen kommen und gefragt wird, was man da tun könne, antwortete er:
Man sollte das ganze nicht zu sehr verteufeln. Alkohol gehört zum Leben. Wichtig ist, dass man einen gesunden Umgang damit findet.
In Mannheim werden pro Woche zwei Minderjährige mit einer Alkoholvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert – da darf in meinen Augen ruhig ein wenig „verteufelt“ werden.
Schüler gegen die Ganztagsschulen
Die anwesenden Schüler sollten darüber abstimmen, ob sie die Vorgabe der Landesregierung, das Angebot an Ganztagsschulen auszuweiten, gut oder schlecht finden. Etwa 80 Prozent finden sie schlecht.
Daher konnte Chris Rihm von der CDU damit punkten, dass er die rot-grüne Landesregierung harsch dafür kritisierte, gerade ein „sehr gut funktioniert habendes Bildungssystem zu zerstören“. Auch sein Vorschlag, alle Gymnasien in Mannheim sollten sowohl G8 als auch G9 anbieten und die Schüler wählen lassen, traf auf große Zustimmung.
Frau Sandner-Schmitt von der FDP äußerte etwa den Wunsch, die Kindergartengebühren in Mannheim komplett abzuschaffen und Herr Nielsen verlangte alle Straßen in schlechtem Zustand umgehend zu sanieren. Beides sind sicher „populäre“ Vorhaben. Da jedoch keiner von ihnen ein Finanzierungskonzept benannte, fällt es wohl eher in die Rubrik Wahlkampfmärchen.
Braucht Politik für die Jungen junge Politiker?
Hanna Meier ist mit 20 Jahren die jüngste anwesende Kandidatin gewesen. Sie sagte, ihr sei es wichtig, sich für die Interessen der Jugend einzusetzen. Außerdem seien „manche Älteren schnell festgefahren“, weswegen „ein bisschen frischer Wind wichtig“ wäre.
Dem stimmte Isabel Cademartori von der SPD zu: In einer zunehmend älter werdenden Bevölkerung würden viele Politiker im Wahlkampf und in ihren Vorhaben nur noch die Interessen einer alten Zielgruppe bedienen. Daher sei es besonders wichtig, dass die Jugend nicht vergessen wird.
Außerdem wolle sie sich für eine größere Vielfalt in der Politik einsetzen. Es sei bedauern und eine verzerrte Repräsentation, dass derzeit nur eine Person mit Migrationshintergrund im Gemeinderat sei – obwohl fast die Hälfte der Mannheimer Bevölkerung ausländische Wurzeln hat.
Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen?
Hilke Hochheiden (Die Linke) sprach meistens so schnell, dass ich Schwierigkeiten hatte, ihr zu folgen. Intensiv war ihre Diskussion mit Claus Nielsen, der sich dafür aussprach, die Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen auszubauen.
Er betonte, dass die Videos nur dann angeguckt werden sollten, wenn auch etwas geschehen ist und dass eine Zeitspanne festgelegt werden müsse, nach der die Aufnahmen gelöscht werden.
Frau Hochheiden ist Informatikstudentin und entgegnete, dass Daten auch die Runde machen würden, wenn sie einmal erhoben worden sind und dass man sich nie sicher seien könnte, wer sie nutzt. Das habe insbesondere der NSA-Skandal gezeigt.
Wahlwerbung für andere
Besonders interessant war der Abschluss der Veranstaltung: Die Kandidaten sollten Wahlwerbung für eine konkurrierende Partei machen, die von den Moderatoren vorgeschrieben wurden. Die CDU sollte Werbung für die SPD machen, die AfD für die Linke, die SPD für die FDP und die Grünen für die Mannheimer Liste.
Das taten alle erstaunlich höflich und zeigten, dass sie mit den Wahlprogrammen der jeweiligen Parteien gut vertraut waren. Das größte Lob kam von der FDP über die Grünen, zumal es wirklich so wirkte, als würde sie es ernst meinen:
Als Mitglied im Gemeinderat fällt es mir überhaupt nicht schwer, eine Wahlempfehlung für die Grünen aussprechen. Insbesondere was unsere Jugend angeht, leisten sie herausragende Arbeit.
Die anderen Kandidaten stellten sich da mehr an. Die Linke sagte über die CDU, dass ihr wirklich nichts einfalle. Hanna Meier von der Mannheimer Liste sollte sagen, was sie an der AfD gut findet:
Ein paar Ansätze sind gar nicht mal so verkehrt. Zum Beispiel die Straßen zu erneuern. Und…
Dann stockt sie kurz. Um anschließend nur noch zu sagen:
Das ist wirklich gar nicht mal so einfach.
Insgesamt kam die Veranstaltung bei den jungen Besuchern sehr gut an. In Mannheim gibt es bei den bevorstehenden Kommunalwahlen etwa 46.000 Erstwähler. Davon sind gut 4.500 zu diesem Zeitpunkt noch minderjährig. Als die Schüler gefragt wurden, ob sie die Absicht hätten, wählen zu gehen, beantworteten etwa 90 Prozent das mit „Ja“ – das wäre eine sensationelle Beteiligung. Wie das Verhältnis bei Nicht-Gymnasiasten aussieht, konnte ich an diesem Abend nicht feststellen.
Anm. d. Red.: Unser Autor Minh Schredle (19) ist bei Kommunal- und Europawahlen ebenfalls Erstwähler. Er hat in Mannheim Vor zwei Jahren Abitur gemacht und ist nach einem Praktikum bei uns ständiger freier Mitarbeiter.