Mannheim, 15. Juni 2016. (red/ms) In vielen Medienberichten legt die Darstellung nahe, die Stadt Mannheim habe kein Interesse am Erhalt des Kulturdenkmals Multihalle. Das ist unzutreffend. Kaum jemand will die Halle wirklich abreißen. Das eigentliche Problem ist die finanzielle Lage – die zwingt nämlich dazu, Prioritäten zu setzen. Das gilt nicht nur für die Stadt, sondern auch für Privatpersonen.
Kommentar: Minh Schredle
Die Meldung macht weit über Mannheim hinaus die Runde: Auch überregionale Medien berichten, die Multihalle des vergangenen Jahres verstorbenen Stararchitekten Frei Otto solle abgerissen werden und neigen dabei zur Darstellung, die Stadt würde das bedeutende Denkmal nicht wert schätzen.
Zur Klarstellung: Nein, die Multihalle soll nicht abgerissen werden. Diese Formulierung unterstellt der Stadt, ihrer Verwaltung und dem Gemeinderat die konkrete Absicht, das Kulturdenkmal willentlich zu zerstören. Zutreffend ist, dass sich der Großteil eigentlich den Erhalt wünscht – aber dass sich die Stadt in Anbetracht der Haushaltslage eingestehen muss, dass sie sich die Investition in eine Sanierung nicht alleine leisten kann.
Erhalt kostet mindestens zwölf Millionen Euro
Dafür müssten nach Schätzungen der Verwaltung knapp zwölf Millionen Euro eingeplant werden. Mindestens. Denn etwaige Risiken, die bei der Restauration auftreten könnten, sind dabei noch nicht einkalkuliert. Erfahrungsgemäß fallen die tatsächlichen Kosten für Projekte dieser Art häufig wesentlich höher aus, als ursprünglich angenommen.
Jede finanzielle Entscheidung, die eine Stadt trifft, muss Abwägungen der Verhältnismäßigkeit unterliegen. Wenn genügend Geld da ist, kann man sich gerne auch Luxus leisten.
Aktuell plant die Stadtverwaltung aber, bis 2019 insgesamt 72 Millionen Euro an strukturellen Kosten einzusparen. Nicht aus Lust und Laune oder weil sie irgendwem irgendetwas nicht gönnen wollen würde – sondern weil das dringend notwendig ist, um finanziell handlungsfähig zu bleiben.
Was ist am ehesten entbehrlich?
Der Druck ist enorm: Unweigerlich steht fest, dass es zu schmerzhaften Streichungen kommen werden muss. Wo genau ist noch unklar – nicht diskutabel ist hingegen, dass die Kämmerei nicht jedes Wunschkonzert mitmachen kann, ohne dass sich die drastische Verschuldung der Stadt weiter zuspitzt.
Unumstritten ist die Multihalle ein Bauwerk von herausragender architektonischer Bedeutung. Das sollte einen aber nicht vergessen lassen, dass es nie für die Ewigkeit, sondern ursprünglich nur für wenige Monate konzipiert war.
Noch viel entscheidender ist allerdings die Frage: Wie verhältnismäßig und verantwortlich ist es, wenn die Stadt Investitionen im zweistelligen Millionenbereich vornimmt, um ein einzelnes Gebäude, für das es nicht einmal ein konkretes Nutzungskonzept gibt, zu erhalten, während überall sonst, in sämtlichen Bereichen der öffentlichen Wohlfahrt, in den kommenden Jahren knallhart gespart und gestrichen werden muss?
Was ist verhältnismäßig?
Nun kann man sich echauffieren und Gemeinderat und Bürgermeistern Kulturlosigkeit und Banauserei unterstellen, weil sie ein bedeutendes architektonisches Kulturgut verkommen lassen „wollen“: Bei nur einer Gegenstimme und einer Enthaltung wurde aktuell beschlossen, einen Abriss zu beantragen, wenn bis Ende 2017 nicht genügend Mittel durch Spenden und Zuschüsse dritter zusammenkommen.
Das kann man unnötig aufbauschen – tatsächlich steht die Stadt zu ihrer Verantwortung. Denn so banal das auch ist, es wird beim Aufstellen „unverzichtbarer“ Forderungen gerne aus dem Blick verloren: Finanzielle Möglichkeiten sind endlich. Keine Stadt kann sich alles leisten – Mannheim erst recht nicht.
Wer muss zahlen?
Kultur kann nicht auf einen finanziellen Wert reduziert werden. Bezahlt werden muss sie trotzdem. In diesem Fall kann die Stadt allein das nicht leisten. Wenn durch Crowdfunding und Sponsoring nicht genügend Geld zusammen kommen, dann soll die Halle nicht abgerissen werden – sie muss abgerissen werden.
Letztlich wird sich durch die Strategie, bis Ende 2017 Spenden für den Erhalt zu sammeln, zeigen, wie viel die Multihalle ihren weltweiten Liebhabern denn nun wirklich bedeutet.
Sie wünschen sich, dass die Halle erhalten bleibt? Haben Sie schon etwas gespendet? Nein? Sie würden gerne, aber können sich das nicht leisten? Andere Prioritäten sind doch noch ein wenig dringlicher?
Die Stadt steht aktuell vor den gleichen Problemen – wenn es allen so geht, ist der Abriss die einzig logische Folge. Dieser muss aber nicht in Stein gemeißelt sein.
Die Verantwortung für den Erhalt von Kulturgut ist keine alleinige Aufgabe und erst recht keine Verpflichtung für eine einzelne Stadt – sondern für die Gesamtgesellschaft, deren Prioritäten in aller Regel durch Zahlungsbereitschaft gesetzt werden.
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