Rhein-Neckar, 15. März 2020. (red/pro) Das aktuelle Ziel der vielen Notmaßnahmen ist eine möglichst umfassende Isolation und damit ein Minimum an sozialen Kontakten, damit das exponentielle Wachstum der Infektionen zumindest eingedämmt wird. Wer sich jetzt im Verbund mit anderen organisiert, begeht möglicherweise massive Fehler.
Von Hardy Prothmann
Wenn aktuell in verschiedenen Medien darüber berichtet wird, dass sich Eltern privat organisieren, um die wegfallende Kinderbetreuung zu ersetzen, ist das eine „Horror-Meldung“. Denn dadurch wird das eigentliche Ziel der Isolation und damit einer „Delle“ in der Infektionskurve beschädigt werden.
Selbstverständlich ist nachvollziehbar, dass Eltern und Alleinerziehende versuchen, ihrer Arbeit nachzugehen und wenn die kommunale oder private Kita nicht mehr zur Verfügung steht und die Schulen ausfallen, dann ist doch die Lösung scheinbar sinnvoll, dass man sich privat organisiert und mal der, mal die die jeweiligen Kinder betreut.
Doch das ist eine absolute Fehleinschätzung, denn sie durchbricht die Isolationsmaßnahmen. Kinder aus verschiedenen Haushalten zusammen und ist dort bereits jemand infiziert oder wird in den nächsten Tagen infiziert, tragen die Kinder das in alle Familien hinein und von dort die Eltern an die Kollegen an den Arbeitsplätzen.
Die Eltern meiner Partnerin haben fünf Kinder und 13 Enkel. Dazu kommen noch die Lebenspartner und deren Eltern und Geschwister und deren Kinder. Vor ein paar Tagen gab es noch die Idee, man könnte ja wechselseitig den häuslichen Schulunterricht und die Betreuung organisieren. Da werden aus „ein paar Kontakten“ schnell 60-70, dazu kommen die Nachbarn, die Kollegen und damit sinken die Chancen, eine weitere Infektionskette zu stoppen enorm.
Das im Haushalt lebende Kind hatte Anfang der Woche Geburtstag, es kamen nur ein paar aus der Familie – weitere sollten am Freitag und Samstag kommen. Das haben wir alles abgesagt und auch die Hilfe beim täglichen Betreuen ist abgesagt. In der engeren Familie gibt es zwei Personen, die zur „kritischen Infrastruktur“ gehören – ein Arzt und eine Krankenschwester. Die müssen zur Zeit harte Arbeit für andere leisten und selbstverständlich verzichtet man auf soziale Kontakte, damit diese sich möglichst nicht anstecken und dann in Quarantäne müssen.
Mehrere Omas und Opas und ältere Freunde der Familie gehören wegen des Alters und bestehender Vorerkrankungen zu den besonders gefährdeten Personen. Es ist gelungen, auf die allermeisten einzuwirken, die von uns anderen nun versorgt werden und ansonsten einen „Hausarrest“ akzeptieren – aber eben nicht alle. Diese bringen sich vor allem selbst in Gefahr – Zwangsmittel haben wir keine. Es bleibt beim Appell an die Vernunft und man muss reden, reden, reden und versuchen, zu überzeugen.
Ich persönlich betreue eine 82-jährige Dame, die bei einer Infektion nur geringe Überlebenschancen hätte, weil schwere Herzoperation und Lungenprobleme. Selbstverständlich braucht die Dame, die alleine lebt und das also gewohnt ist, trotzdem soziale Kontakte. Das passiert in täglichen Telefonaten und alle zwei bis drei Tage durch einen Besuch, bei dem sie Dinge (Nahrungsmittel et al.) erhält, die sie benötigt.
Das läuft so ab. Ich melde mich an, schließe auf und wasche mir die Hände. Die Waren werden in der Küche abgelegt. Währenddessen hält sie sich im Wohnzimmer auf, zu dem es zwei Türen gibt, eine aus dem Flur, eine aus der Küche.
Sie hält sich am Esstisch auf, ich im Couchbereich. Der Abstand zwischen und beträgt mindestens drei Meter. Oder sie wartet auf der Terrasse auf mich, der Abstand bleibt. Dann können wir uns anschauen und reden, aber eben auf erhebliche Distanz. Ohne eine solchen sozialen Kontakt würde das Gemüt extrem belastet werden, weil die alte Dame verstanden hat, dass sie mindestens vier Wochen das Haus nicht verlassen wird – außer für Fahrten zur Bank oder wenn es sein müsste, zum Arzt.
Und selbstverständlich darf sie sich alleine ins Auto setzen und mal eine „Spritztour“ machen, das Auto irgendwo abstellen und die Landschaft genießen. Ohne Beifahrer und ohne Kontakt zu anderen.
Das machen wir übrigens bereits seit vergangenen Dienstag so. Mal schauen, wie lange die Dame das durchhält – ich bin aber zuversichtlich, denn sie hat den zweiten Weltkrieg noch in „guter“ Erinnerung und weiß, was Krisenzeiten ausmacht.
Die frühere Professorin hat eine beachtliche Persönlichkeit und hat es aus „kleinen Verhältnissen“ zu etwas gebracht – weil sie klug ist und deswegen gibt es mit ihr auch keine unnötigen Diskussionen. Sie hat den Ernst der Lage für sich erkennt und fügt sich den daraus folgenden „Sanktionen“.
Wer eine weitestgehende Isolation durchbricht, weil es angeblich keine andere Lösung gibt, riskiert, innerhalb von Tagen infiziert zu werden und was folgt dann? Eine behördlich angeordnete häusliche Quarantäne. Davor hat man aber möglicherweise andere angesteckt – die Katze beißt sich also in den Schwanz. Gewonnen ist nichts.
Selbstverständlich gibt es Personen, die diesen Weg nicht gehen können – alle die, die in Bereichen der kritischen Infrastruktur arbeiten, also medizinisches Personal, Polizei, Feuerwehren, Hilfsdienste und andere. Die brauchen eine Betreuung für die Kinder und erhalten diese Notbetreuung auch – obwohl das ein Risiko darstellt. Ohne eine solche Betreuung könnten sie ihren Dienst nicht versehen. Aber es bleibt das Risiko, das man aber in diesen Fällen kaum lösbar umgehen kann.
In den kommenden Wochen muss das oberste Ziel sein, dass das Gesundheitssystem nicht kollabiert – wie es in Italien bereits teils der Fall ist und wozu es auch aus der Schweiz und anderen Ländern bereits kritische Informationen erhält.
Hier sind alle, wirklich alle aufgefordert, ein kühles Gemüt zu bewahren, alles sozialen Kontakte, die vermeidbar sind, zu vermeiden, damit den schwer Kranken geholfen werden kann.
Der Weinheimer Oberbürgermeister Manuel Just hat bereits am Samstag die Eltern aufgefordert, die Kinder nicht zur Schule gehen zu lassen, weitere Bergstraßengemeinden sind gefolgt und heute hat auch der Mannheimer Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz die Empfehlung ausgegeben, wenn möglich die Kinder zu Hause zu lassen.
Das RNB hat bereits am Freitag den Fahrplan der Landesregierung deutlich kritisiert, weil er das Ziel konterkariert – nämlich eine möglichst weitgehende Isolation. Wenn RNB kritisiert, dann nicht aus Schadenfreude, sondern auf Basis unserer Analysen, um Hinweise zu geben, was ein Fehler sein könnte. Fehler werden aktuell viele gemacht werden, aus denen kann man lernen und aus erfolgreichen Maßnahmen sowieso.
Es werden viele Menschen trotzdem sterben. Es werden umso weniger sterben, je gemeinschaftlicher man handelt – auch, wenn das paradoxerweise das Vermeiden von Gemeinschaft bedeutet.
Die wirtschaftlichen Schäden werden enorm sein, aber die kann wieder aufholen, wenn man gesund ist und die Krise überstanden hat.
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