Rhein-Neckar/Trier, 15. Januar 2013. (red/16vor.de) In Rheinland-Pfalz geht eine Ära mit zwei mal vier Buchstaben zu Ende: Kurt Beck (63). Seit 1994 regierte der vollbärtige und auch volleibige Weinsträßler als “König Kurt” als bislang am längsten amtierender Ministerpräsident die knapp vier Millionen Rheinland-Pfälzer – überwiegend sehr erfolgreich, zum Ende hin angeschlagen. Angeblich gesundheitlich, aber doch eher politisch durch zu viele Affären wie der um den Nürburgring. Am 16. Januar 2013 übernimmt Marie-Luise Dreyer (51) das Zepter. Sie ist schon heute eine Königin der Herzen. “Die Malu” ist eine fleißige Politikerin und eine ohne Altlasten. Eine selbstbewusste Frau, die für die arg angeschlagene SPD noch sehr wichtig werden wird.
Von Marcus Stölb
Wenn Frank Elstner im SWR-Fernsehen seine „Menschen der Woche“ begrüßt, geht es selten kritisch zu. Meist überschüttet der Moderator seine Gäste mit Nettigkeiten, bemüht er sich nach Kräften, im Studio eine Wohlfühlatmosphäre zu schaffen. So will es das Format der Sendung, und so war es auch, als er kürzlich Malu Dreyer (SPD) zu Gast hatte. Die machte es Elstner leicht und lächelte den Moderator beinahe an die Wand. Einmal mehr präsentierte sich Dreyer als „Gute-Laune-Ministerin“, als die sie in Mainz gilt.
Die gefragteste Frau ihres Bundeslandes
Wohl selten hat eine deutsche Politikerin ein derart positives und einhelliges Medienecho ausgelöst, wie die gebürtige Pfälzerin. „Die Gute“ titelte die „Süddeutsche Zeitung“, für den Boulevard ist sie „Deutschlands tapferste Politikerin“. Seit der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) seinen geordneten Rückzug von allen Ämtern ankündigte, ist die Triererin die gefragteste Frau ihres Bundeslandes.
Ihre Nominierung war für viele eine Überraschung. Nur wenige hatten sie auf der Rechnung als es darum ging, das Bewerberfeld für die Beck-Nachfolge zu sondieren. Dabei ist Dreyer seit vielen Jahren ein politisches Schwergewicht. 2002 rückte sie an die Spitze des Mainzer Sozialministeriums, pannenfrei und mit politischer Fortune führte sie das Amt, dass sie inzwischen länger innehat, als jeder ihrer Vorgänger – Heiner Geißler inbegriffen. Früh wurde sie deshalb für noch höhere Aufgaben gehandelt – bis Dreyer im Herbst 2006 darüber informierte, dass sie an Multiple Sklerose (MS) leidet. Nur wenige Tage zuvor war ihr Mann Klaus Jensen zum Trierer Oberbürgermeister gewählt worden – als erster Sozialdemokrat in der Geschichte der Moselstadt, die seit dem Kriegsende fest in der Hand der CDU war.
Diagnose, Nuancen, Einordnungen
Dass Dreyer diesen Wahlgang noch abgewartet hatte, bevor sie mit ihrer Erkrankung an die Öffentlichkeit ging, war kein Zufall. Die Sozialministerin wollte verhindern, dass ihr Erkrankung zum Thema im Trierer OB-Wahlkampf werden und das Ergebnis irgendwie beeinflussen konnte. Vor fast zwei Jahrzehnten wurde die Diagnose bei ihr gestellt, an ihrer positiven Grundeinstellung zum Leben änderte das erkennbar wenig. Überhaupt will sie nicht über die MS definiert werden. Die sei ein Teil ihres Lebens, aber nicht lebensbestimmend, sagt sie darauf angesprochen.
Wie es Dreyer auch zusehends nervt, dass immerzu betont wird, mit ihr rücke erstmals eine Frau an die Spitze des Mainzer Kabinetts:
Ich wäre einfach total froh, wenn wir nicht mehr über die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Politik reden müssten,
sagt sie freundlich, aber bestimmt. Missfällt Dreyer etwas, verändert sich ihr Tonfall. Es sind nur Nuancen in der Stimme, doch weil man die Politikerin selten missgelaunt erlebt, fällt der kleine Unterschied ins Gewicht.
Ruhe in der Partei – Morgenluft durch Unabhängigkeit
Die Zeiten, als man sie ob ihres netten Auftretens als Machtpolitikerin unterschätzte, sind längst passé – in Mainz, aber auch in Trier. Dass sie an die Mosel zog und den ehemaligen Sozialstaatssekretär Jensen heiratete, kam auch der örtlichen SPD zupass. Denn den Genossen in Deutschlands ältester Stadt fehlte es an einer führungsstarken Spitze. Anfang der 90er hatte sich ein Teil der sozialdemokratischen Ratsfraktion abgespalten, mehrere glücklose und teilweise auch überforderte Parteivorsitzende hatte die Trierer SPD schon verschlissen – und dabei immer weiter an Boden verloren. Erst mit Dreyer kam Ruhe in die Partei, witterten die Genossen erstmals seit langem wieder Morgenluft. Dass der Sozialdemokrat Jensen 2006 nicht allein auf SPD-Ticket, sondern als selbsterklärter „unabhängiger Kandidat“ für den Chefsessel im Rathaus antrat, gefiel indes nicht allen in der Partei. Mit einer Zweidrittel-Mehrheit ins Amt gewählt, rechnete man sich den Sieg dann auch ans eigene Revers.
Für die CDU war Jensens Wahl eine Niederlage, und als die SPD 2009 bei der Kommunalwahl – wenn auch von niedrigem Niveau aus – deutlich zulegen und die Union spürbar Federn lassen musste, wurde das auch in der Landeshauptstadt aufmerksam registriert. Doch in den Medien wurde Dreyer zuletzt kaum noch als potenzielle Kandidatin für die Nachfolge Becks gehandelt.
Bescheiden bis zum richtigen Moment
Dass sie dann doch – und nicht ihre Ministerkollegen Roger Lewentz und Doris Ahnen oder der SPD-Fraktionschef im Landtag, Hendrik Hering, zum Zuge kam, kann so etwas wie ihr Gesellinnenstück auf dem Weg nach oben gelten. Dreyer beobachtete aus sicherer Distanz die Debatte über die Diadochen. Wurde sie gefragt, ob nicht auch sie für das Amt des Ministerpräsidenten zur Verfügung stünde, beschied sie den Fragesteller meist mit einem kurzen:
Diese Frage stellt sich im Moment nicht.
Dabei hatte sie selbst sich diese Frage zu diesem Zeitpunkt längst gestellt, und das nicht nur einmal:
Es ist so, dass mich die Frage, ob ich mir die Nachfolge Kurt Becks zutraue, über Monate beschäftigt hat, also noch vor einem konkreten Anlass. Das war ein langer und intensiver Prozess, ich wollte Gewissheit haben, wenn denn die Frage auf mich zukommen würde.
Als die Frage kam, hatte Dreyer die Antwort parat – und zögerte nicht lange.
Kein “Mädchen”, sondern Frau
Wie geräuschlos der Wechsel im Parteivorsitz – wo Beck bereits von Lewentz beerbt wurde – und Staatskanzlei abläuft, kann indes auch als ein Bravourstück des zuletzt vor allem im Fall Nürburgring glücklos und bisweilen auch entrückt agierenden Ministerpräsidenten gelten. Der seit 1994 amtierende Regierungschef hatte am Ende gewissermaßen ein Luxusproblem: Gleich mehrere Minister hätten das Zeug gehabt, ihm im Amt des Landeschefs nachzufolgen, auch wenn beispielsweise Lewentz und Hering zwischenzeitlich durch das Desaster am Nürburgring ebenfalls politisch beschädigt waren und sind. Dass Becks Wahl auf die Wahl-Triererin fiel, liegt auch an dem besonderen Vertrauensverhältnis, das beide seit Jahren verbindet. Anders als der Rest des politischen Mainz, wusste Beck schon vor Dreyers Berufung, dass diese an MS leidet. Er behielt es für sich und machte sie zur Ministerin.
“Der Klaus und die Malu”
Nicht nur am Kabinettstisch wusste außer dem Chef niemand von der Erkrankung, auch in ihrer neuen Heimat war kaum jemand im Bilde. Dreyer lebt im Trierer Schammatdorf, einem besonderen Quartier im Süden der Moselstadt. Hier leben Menschen aller Altersklassen, mit und ohne Beeinträchtigungen, Tür an Tür in Wohnhöfen. Man hilft sich gegenseitig, Gemeinschaft und Nachbarschaft werden nicht nur großgeschrieben, sondern auch gelebt. Es gibt ein Dorfzentrum und die „Kleine Bürgermeisterin“, eine Sozialpädagogin, die wesentlich mit dafür sorgt, dass der Charakter der Siedlung erhalten bleibt. Fast alle duzen sich, weshalb OB und künftige Ministerpräsidentin auch weiterhin „der Klaus und die Malu“ sind. Dreyer werde weiterhin eine Bewohnerin wie alle anderen bleiben, betonte die Kleine Bürgermeisterin Sarja Herres, wohl wissend, dass die Landeschefin nie einen Sonderstatus beanspruchen würde.
Doch es wird sich was ändern im Schammatdorf, Personenschützer werden nun vor Ort sein. Bewegte sich Dreyer bislang ohne Sicherheitsbeamte in der Öffentlichkeit, ist es damit nun vorbei. Im Schammatdorf nimmt man es eher gelassen, die Personenschützer dürften auch gerne mal zum Seniorentreff am Montagmorgen ins Dorfzentrum kommen, scherzt ein Bewohner, der zugleich fürchtet, dass sich „die Malu“ nun noch seltener vor Ort blicken lasse.
Lächeln, trotz der Baustellen
Das dürfte einigermaßen wahrscheinlich sein, denn als Ministerpräsidentin wird ihr Arbeitspensum nicht geringer, und während sich Dreyer in der Vergangenheit doch sehr auf ihr Ressort konzentrierte und aus anderen Themen weitgehend raushielt, wird sie nun umfassend die Linie vorgeben müssen. Denn auch nach Becks Rückzug am Mittwoch bleiben die großen Baustellen der Landespolitik, allen voran die Zukunft des Freizeitparks am Nürburgring und die Finanzierung von Konversionsprojekten wie dem Flughafen Hahn im Hunsrück:
Ich denke, die Menschen hier in Rheinland-Pfalz kennen meine Art, Politik zu machen, und deshalb wissen Sie, was sie erwarten können.
Anm. d. Red.: Marcus Stölb ist Redaktionsleiter des Trierer Online-Magazins 16vor.de, das im März 2007 gestartet und Mitglied im Netzwerk istlokal.de ist – einem Zusammenschluss von lokaljournalistischen Angeboten in ganz Deutschland. Er kennt Malu Dreyer seit gut zehn Jahren, hat oft für deutsche und luxemburgische Medien über die Politik in Rheinland-Pfalz berichtet und auf unseren Wunsch hin als Korrespondent einen Lagebericht verfasst.