Mannheim, 15. Juni 2015. (red) Die SPD kann sich aktuell die Welt schön reden – das Ergebnis im ersten Durchgang zur Oberbürgermeisterwahl ist eine Katastrophe. Amtsinhaber Dr. Peter Kurz verliert exorbitant gegenüber seiner Wahl im Jahr 2007. Doch auch die CDU kann sich nicht „freuen“ – wie sie das gerade nach außen vorgibt. Überhaupt kann sich niemand freuen, denn dieser erste Wahlgang zeigt, dass die Politik und die Menschen weiter auseinander sind als je. Auch die Wahlbeteiligung mit 30,7 Prozent ist eine Katastrophe. Vor diesem Ergebnis von einer „Stadtgesellschaft“ zu sprechen, ist fast schon absurd.
Von Hardy Prothmann
Amtsinhaber Dr. Peter Kurz (SPD) hat aktuell 6.333 Stimmen (33.324) gegenüber der Wahl 2007 (33.657) verloren. Das sind 16 Prozent. Und die rund 14 Prozent, die der damalige Oberbürgermeisterkandidat und heutige Landtagsabgeordnete der Grünen, Wolfgang Raufelder, erreicht hatte, sind nicht einberechnet. Wären die einfach übertragbar, hätte Herr Dr. Kurz, unterstützt von Bündnis90/Die Grünen und Die Linke, sogar über 33 Prozent verloren. Und dabei ist noch nicht berücksichtigt, dass es aktuell gegenüber 2007 fast 18.000 mehr Wahlberechtigte in Mannheim gibt.
Die CDU zeigt sich jubelnd. 33,83 Prozent für den Kandidaten Peter Rosenberger. 2007 hatte Ingo Wellenreuther „nur“ 32,07 Prozent erreicht, was der aktuelle Kreisvorsitzende Nikolas Löbel damals als „Niederlage“ bezeichnet hatte und den Rücktritt des damaligen Kreisvorsitzenden Peter Frankenberg forderte. Kann man jetzt keine zwei Prozentpunkte mehr als „Erfolg“ buchen? Von wegen. Herr Wellenreuther hatte 25.174 Stimmen erhalten, Herr Rosenberger nur 24.094. Er hat ganz real weitere 1.080 Wähler verloren. Und über einen Vergleich zur Wahl 1999, als Sven-Joachim Otto zwei Mal äußerst knapp verloren hat, sollte man innerhalb der CDU erst gar nicht nachdenken, wenn man keine Schmerzen aushalten kann.
Zahlenreihe des Grauens
Die übergeordnete Zahlenreihe des Grauens geht so: 61,8 Prozent (1983), 45,2 Prozent (1991), 40,6 Prozent (1999), 36,64 Prozent (2007), 30,7 Prozent (2015). So hat sich die Wahlbeteiligung entwickelt – es geht stramm und kontinuierlich bergab.
Der Blick in die Wahlkreise geht so: Der CDU-Kandidat Rosenberger konnte Rheinau und Vogelstang „gewinnen“, dass heißt, nur in diesen beiden hat er mehr geholt als der Amtsinhaber Dr. Peter Kurz. In Rheinau knapp vier Prozentpunkte, auf der Vogelstang knapp 2,5 Prozentpunkte. Wer bei 17 Wahlkreisen auf dieser Basis von einem „Sieg“ für den CDU-Kandidaten spricht, redet blödes Zeugs.
Außer, wenn er die Ergebnisse des Kandidaten Christopher Probst betrachtet und die Rechnung für ein „bürgerliches Lager“ aufmacht: Christopher Probst hat sensationell abgeräumt. Vor allem fast überall dort, wo Herr Dr. Kurz verloren hat. CDU und Mannheimer Liste zusammen hätten diese Wahl vom 14. Juni aber auch nicht gewonnen: 33,83+15,94 ergeben nach Adam Riese 49,77 Prozent. Auch das „bürgerliche Lager“ hat die „absolute Mehrheit“ verfehlt.
Gibt es das, dieses „bürgerliche“ Lager? Da darf man große Zweifel haben. Christopher Probst ist als Kandidat der Freien Wähler/Mannheimer Liste angetreten, die eben keine Partei, sondern eine Wählervereinigung sind. Es heißt, es habe Gespräche gegeben, ob die CDU ihn nicht unterstützen sollte. Sehr schnell war klar, dass die ML die CDU nicht unterstützen wird. Christopher Probst war der erste, der seine Kandidatur bekannt gegeben hatte.
Sein Vater, Hansjörg Probst, hatte bei der Wahl als gemeinsamer Kandidat von CDU, ML und FDP 1991 noch 26 Prozent geholt. Christopher Probst kann stolz auf sich sein – fast 16 Prozent als Alleinkandidat sind ein hervorragendes Ergebnis für eine Wählervereinigung mit 120 Mitgliedern und vier Sitzen im Gemeinderat.
Was ist eigentlich schief gelaufen?
Umgekehrt müssen sich die SPD und ihr Kandidat Dr. Peter Kurz fragen, was eigentlich schief gelaufen ist. Dr. Kurz hat geackert. Seine Wahlkampfleistung ist spitze und topt alle anderen Kandidaten um Längen, keiner hat mehr Termine und Veranstaltungen gemacht. Die viele Energie hat aber nicht gezündet, ganz im Gegenteil.
Betrachtet man sich die Zahlen im Norden, der „sicheren Bank der SPD“, ist fast alles ein GAU. Waldhof: 13 Prozentpunkte minus, Schönau 5 Prozentpunkte, Sandhofen fast 9 Prozentpunkte. Viel weniger dramatisch ist beispielsweise Feudenheim – dem „Buga-Gegner-Basislager“: „Nur“ gut 8 Prozent minus. Prozentual mit 40,03 Prozent (48,40) Sieger – gegenüber dem „bürgerlichen Lager“ mit fast 57 Prozent aber komplett verloren. Brutal ist die Vogelstang: Hier wurden fast die Hälfte der Stimmen gegenüber 2007 eingebüßt – prozentual wurde der Amtsinhaber von 53,91 Prozent auf 38,56 Prozent abgestraft. Was ist hier komplett schief gelaufen?
Offenbar fühlen sich viele Wahlbezirke vom Amtsinhaber abgehängt- ob die CDU nun ohne die ML ein „tolles Ergebnis“ eingefahren hat, ist nicht die Frage. Entscheidend ist: Was ist so komplett schief gelaufen, dass der Amtsinhaber – üblicherweise mit einem „Bonus“ ausgestattet – so dermaßen abgestraft worden ist?
Verluste als „Super-Ergebnis“
Hier gibt der Blick auf die „innerstädtischen“ Bezirke Aufschluss: Dr. Kurz gewinnt die Neckarstadt-West mit 60,45 Prozent. Ein „Super-Ergebnis“? Beileibe nicht. Obwohl es mit 12.996 Wählern rund 26 Prozent mehr Wähler als 2007 gibt, verliert er 61 Wähler gegenüber 2007 und gewinnt doch knapp 6 Prozentpunkte hinzu. Die Wahlbeteiligung sinkt hier von katastrophalen 21,58 Prozent auf desaströse 14,6 Prozent. Trotz vermeintlichem „Gewinn“ ist das real und im Verhältnis ein absoluter Verlust.
Auch in der Neckarstadt-Ost legt der Amtsinhaber vermeintlich vor dem Hintergrund der schwachen Wahlbeteiligung zu – verliert aber tatsächlich Stimmen, ebenso im Jungbusch. Ganz konträr zu vielen Wahlbezirken gewinnt Dr. Kurz in Schwetzingerstadt/Oststadt real Stimmen und Prozentpunkte – hier ist seine „Heimat“. Auch Herr Rosenberger (Rheinau) steht wie Herr Probst (Seckenheim) in der „Heimat“ gut da.
Unterm Strich bleibt vermutlich die Erkenntnis, dass die CDU ihre Wähler an die Urne gebracht hat – mehr schlecht als recht, aber deutlich besser als SPD, Grüne und Linke.
Und bekannt ist, dass vor allem die Grünen öffentlich „Ja zu Kurz“ gesagt haben, aber viele wohl gegen ihn gestimmt haben oder zu Hause geblieben sind, um einen „Denkzettel“ zu verpassen.
Auf der anderen Seite versucht Herr Rosenberger das „bürgerliche Lager“ auszurufen, das die Mehrheit habe. Tatsächlich ist das nicht so – ebensowenig wie rot-grün-rot sich einig sind.
Parteien ohne Bodenhaftung
Die rapide fallende Wahlbeteiligung zeigt, dass die Stadtgesellschaft in viele Lager zerfällt, die alle ihr eigenes Süppchen kochen. Dem Amtsinhaber Dr. Peter Kurz, der das weiß, ist es bis zum 14. Juni nicht gelungen, diesen Appell an eine gemeinsame Stadtgesellschaft zu etablieren und die Menschen mitzunehmen. Vielleicht ist er zu intellektuell und bräuchte mal ein paar „Volksverse“ – aber dann würde er sich als Person womöglich „verstellen“.
Tatsache ist, dass SPD, Grüne und Die Linke die Bodenhaftung verloren haben. Man begnügt sich mit sich selbst bestätigenden Zirkeln und stellt erst jetzt fest, dass man plötzlich sehr alleine ist.
Dieses Dilemma kann man nicht in drei Wochen bis zur nächsten Wahl lösen – aber natürlich wird man alles tun, um die Wahl zu gewinnen.
Ganz egal, wer das Rennen macht: Parteipolitische Ränkespiel hat es in Mannheim zur Genüge gegeben. Der Oberbürgermeister, der aktuell in die Verantwortung kommt, hat als vordringlichste Aufgabe, sich um eine Stadtgesellschaft zu kümmern, von oben nach unten und von unten nach oben.
Und in der Pflicht sind dabei auch die Medien als Vermittler von politischer Kommunikation und Kultur. Ebenso die Mediennutzer – wer sich nur noch für Boulevard interessiert oder diesen befördert, hat angesichts dieser dramatischen Wahlergebnisse nichts verstanden.
Mannheim ist nicht mehr rot – sondern bunt. Und das sind mehr Farben als rot und grün – immer mehr Menschen haben keine Parteifahre und wirken am politischen Diskurs, in politischen Kultur nicht mehr mit. Und schon gar nicht an der politischen Partizipation.
Mannheim war früher, als es noch dreckig war, gefestigter. Vielleicht denkt mal jemand bei den „politisch-verantwortlichen“ drüber nach, dass „sauber“ kein Image ist, das zu dieser spannenden Stadt passt.
Alle Vergleichszahlen zum Abschneiden von Dr. Peter Kurz finden Sie in diesem Artikel.
Die Zahlen zur Wahl 2007 bei Mannheim.de hier.