Rhein-Neckar, 15. April 2016. (red/cr) Wie jedes Jahr haben am Dienstag Abiturienten und Abiturientinnen das Ende ihrer schriftlichen Prüfungen mit viel Alkohol gefeiert. Einzelne haben sprichwörtlich gesoffen bis der Arzt kam. Wenn die „Bildungselite“ bewusstlos am Boden liegt, was läuft da schief?
Von Christin Rudolph
Offiziell enden die schriftlichen Abiturprüfungen in Baden-Württemberg am heutigen Freitag. Viele Abiturienten haben schon am Dienstag ihre letzte schriftliche Prüfung hinter sich gebracht – und danach ordentlich „gefeiert“.
Acht Alkoholisierte mussten in den Erste-Hilfe-Zelten von DLRG und DRK versorgt werden. Zwei wurden „bewusstlos“ mit Rettungswagen in die Kinderklinik transportiert. Eine 16-jährige „schaffte“ es auf 2,3 Promille und wurde von ihren Eltern abgeholt.
Wie jedes Jahr versammelt sich die „Bildungselite“ in Mannheim und Heidelberg, um sich exzessiv zu betrinken. Was ist da schief gelaufen? Was läuft schief bei diesen jungen Menschen?
Zu wenig Prävention?
Zu wenig Prävention? Allein die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bietet Material für den Unterricht und sogar ein Magazin nur zum Thema Alkohol an. Die Plakate und Postkarten ihrer Kampagne „Alkohol? Kenn dein Limit!“ kennen die allermeisten Menschen.
Das ist nur eine der bekanntesten Institutionen, die Prävention an Schulen anbietet. Es kommt darauf an, in welchem Ausmaß die Schulen diese Angebote nutzen.
Und, was die Schülerinnen und Schüler davon „mitnehmen“. Natürlich hängt das auch von der Art der Prävention ab. Spiele, Experimente und Diskussionen, bei denen sie selbst zu Wort kommen, werden eher einen bleibenden Eindruck hinterlassen als ein trister Vortrag.
Verharmlosung
Haben also sehr viele Abiturienten bei solchen Veranstaltungen nicht aufgepasst? Oder waren die einfach zu langweilig, haben sie die jungen Menschen nicht erreicht?
Alkohol ist eine Alltagsdroge, die in der Gesellschaft weitestgehend akzeptiert und verharmlost wird. Wer mit einer Zitrone nicht „sauer“ oder „gelb“ assoziiert, sondern Salz und Tequila, dessen Einstellung wird wahrscheinlich auch eine Alkoholprävention nicht maßgeblich beeinflussen.
Ja, die eher sorglose als verantwortungsvolle Beziehung der Gesellschaft zum Alkohol hat einen großen Anteil am Umgang junger Menschen mit dieser Droge. Aber gerade von Abiturienten sollte man auch erwarten können, dass sie sich individuell überlegen, was sie sich, ihrem Körper und anderen zumuten. Das sollten sie bis zur „Allgemeinen Hochschulreife“ eigentlich gelernt haben.
Rebellion und Zukunftsangst
Der entscheidende Unterschied zwischen saufenden Teilen der Bevölkerung und den Schülern nach den Abiturprüfungen: Es herrscht eine andere Art von Gruppenzwang.
Es handelt sich nicht um eine kleinere Gruppe von Freunden, sondern um hunderte „Gleichgesinnte“. Sprechchöre und hysterisches Gekreische inklusive.
Man will den ganzen Stress hinter sich lassen, mit ihm abschließen. Sich von einem System, das zwölf oder auch 13 Jahre lang das eigene Leben maßgeblich bestimmt hat, befreien. Kein „Ich kann nicht zum Feiern mitkommen, muss lernen“ mehr. Abschließen mit seiner Schulzeit.
Zukunftsängste ertränken
Vielleicht wollen viele einfach nur für den Moment ihre Unsicherheit darüber vergessen, wie es für sie nach dem Abschluss weitergeht.
Ist es notwendig, sich dafür in der Öffentlichkeit hemmungslos zu betrinken? Und was hat es mit Freiheit oder Rebellion zu tun, wenn man betrunken und bewusstlos am Boden liegt? Bildungselite ist das nicht.