Weinheim, 15. Oktober 2015. (red/ms) Die große Kreisstadt Weinheim wird 1,2 Millionen Euro bereitstellen, um Container-Anlagen zu kaufen, in denen 90 „kommunale“ Flüchtlinge untergebracht werden sollen. Wann die Container kommen, weiß niemand. Wohin die Container kommen, steht ebenso wenig fest. Es ist noch nicht einmal sicher, ob die 1,2 Millionen Euro für die Anlagen überhaupt ausreichen werden – denn die Nachfrage ist hoch und das Angebot begrenzt.

Containercamp des Rhein-Neckar-Kreises in Schwetzingen.
Von Minh Schredle
Oberbürgermeister Heiner Bernhard (SPD) erholt sich im Urlaub – daher wurde er in der vergangenen Sitzung des Weinheimer Gemeinderats von Ersten Bürgermeister Dr. Torsten Fetzner vertreten. Dieser erläutert zu Beginn:
Die Lieferzeiten für Container-Anlagen liegen aktuell bei etwa einem Jahr – sie sind deutschlandweit ausverkauft.
Herr Dr. Fetzner betont, man müsse so vorausschauend wie möglich handeln. Daher sei es gut, bereits heute einen Beschluss zu fassen – auch, wenn noch kein konkretes Angebot vorliege.
Wie der Erste Bürgermeister mitteilt, basiert die Kostenplanung von 1,2 Millionen Euro für 90 Menschen auf Erfahrungswerten des Rhein-Neckar-Kreises, der schon zahlreiche Flüchtlinge in Containern unterbringt. Es sei aber auch möglich, dass die aktuell stark gestiegene Nachfrage nach diesen Anlagen den Preis deutlich in die Höhe treiben könnte.
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Lesetipp: Der Rhein-Neckar-Kreis hat Erfahrung mit Container-Siedlungen
Schwetzingens Camp der Beschämung
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Aktuell sind nahezu alle Flüchtlinge im Rhein-Neckar-Kreis in der „Erstaufnahme“. Wenn ihr Verfahren abgeschlossen ist, folgt die „vorläufige Unterbringung“, dann die „Anschlussunterbringung“. Flüchtlinge dürfen und sollen sich eigene Wohnungen suchen. Wenn ihnen das nicht gelingt, muss die Gemeinde, der die Flüchtlinge zugewiesen worden sind, für eine Unterbringung sorgen.
Weinheim wird nach Aussage von Bürgermeister Fetzner im Jahr 2016 etwa 200 Flüchtlinge zugewiesen bekommen, „die nicht obdachlos werden dürfen“. Laut Dr. Fetzner sei zu Beginn des Jahres angenommen worden, die Stadt bekäme nur 50 Flüchtlinge zugewiesen. Er fügt hinzu:
Wir wissen nicht, wann die Flüchtlinge hier ankommen werden. Womöglich schon zu Jahresbeginn – wir hoffen allerdings etwas später.
Denn man wisse ja nicht, bis wann die Container-Anlagen geliefert werden können. Es sei auch noch „völlig unklar“, wo diese die Anlagen aufgestellt werden – „nicht in der Weststadt“, forderten zahlreiche Stadträte verschiedener Fraktionen in der Aussprache. Diese sei bereits stark genug ausgelastet.
Angespannte Ausgangslage
Der Wohnungsmarkt in Weinheim ist angespannt: Die Leerstände sind vergleichsweise gering, das Angebot ist dünn und Kauf- und Mietpreise sind überdurchschnittlich. Das sind nicht gerade die besten Bedingungen für Flüchtlinge, um leicht und schnell Wohnraum zu finden.
Laut Bürgermeister sei eine Unterbringung in Containern „sicher nicht die beste Lösung“. In Anbetracht der Lage gebe es aber wenige Alternativen:
Irgendwann kommt ein Bus in Weinheim an. Wir wissen nicht, wann er kommt. Aber wir wissen, dass er kommt. Und dann ist es unsere Pflicht, diese Menschen unterzubringen. Entweder wir haben dann die Container – oder wir müssen sie in Zelte stecken.
Es sei vermutlich günstiger, die Container-Anlagen gleich zu kaufen, als sie zu mieten. Bei einem Mietverhältnis über zehn Jahre wären die Kosten höher als bei einem Kauf. Wie lang man die Container benötigen werde, sei absolut unklar. Es sei aber unrealistisch anzunehmen, dass „in drei Jahren wieder Ruhe ist“.
Sollte es wider Erwartens doch keinen Bedarf mehr für die Container geben, könne die Stadt diese immer noch weiterverkaufen – die Nachfrage sei ja hoch genug.
Ähnliche Reaktionen
Im Gemeinderat vielen die Reaktionen der verschiedenen Fraktionen sehr ähnlich aus. Im Wesentlichen sagten CDU, SPD, Grüne, Freie Wähler und die Linke:
Wir halten diese Lösung nicht für optimal. Aber vor diesen Umständen ist es wohl notwendig.
Die FDP und die Weinheimer Liste enthielten sich bei der Abstimmung. Sie sagten, man wolle zunächst noch überprüfen, ob es nicht doch womöglich noch bessere Alternativen gebe.
„Wir brauchen unbedingt mehr sozialen Wohnungsbau“
Laut Dr. Carsten Labudda (Die Linke) müsse sich nicht nur Weinheim, sondern ganz Deutschland darauf einstellen, dass der größte Teil der „Heimatvertriebenen“ in Deutschland bleiben werden:
Es war ein großer Fehler, dass der soziale Wohnungsbau in den 1980er-Jahren fast bundesweit eingestellt wurde. Jetzt rächt sich das. Es muss unbedingt neue Förderprogramme von Land und Bund geben und zwar möglichst bald. Wir dürfen nicht zulassen, dass wir die Interessen der Ärmsten aufeinandertreffen lassen und einkommensschwache Anwohner mit unseren neuen Mitbürgern um günstige Wohnungen kämpfen.
Der Landtagsabgeordnete und Grünen-Stadtrat Hans-Ulrich Sckerl sprach davon, dass sich sämtliche öffentlichen Verwaltungen des Landes bereits im Krisenmodus befänden und das auch „auf absehbare Zeit bleiben“ würden. Man werde daher viel Kreativität brauchen, um diese Lage zu bewältigen.
„Wenn man will, klappt das auch“
Laut Herrn Sckerl solle man sich nicht nur nach Containern erkundigen, sondern auch nach schlichten Holz-Häusern im Fertigbau. Diese seien „oft günstiger und auf jeden Fall nachhaltiger“ als Container. Außerdem solle man Aufrufe starten und an die Bevölkerung appellieren, Wohnraum preisgünstig zur Verfügung zu stellen:
Wir müssen Perspektiven schaffen und das unter Krisenbedingungen. Aber wenn wir die Integrationsleistung wirklich erbringen wollen, können wir es auch schaffen.
Bürgermeister Dr. Fetzner entgegnete darauf mit brüchiger Stimme, dass er sich ja freue, wenn Herr Sckerl so optimistisch sei, aber dass er selbst nicht so zuversichtlich sein könne. Die Stadtverwaltung Weinheims habe bereits alles versucht, um Wohnraum zu finden.
Es habe oft auch schon Angebote aus der Bevölkerung gegeben – häufig aber mit „astronomischen Preisvorstellungen“, die die Stadt unmöglich bezahlen könne. Dennoch werde man sich bemühen, einen erneuten Aufruf zu starten.
Schließlich stimmte der Gemeinderat nach mehr als einer Stunde Aussprache mehrheitlich zu, die 1,2 Millionen Euro für die Beschaffung von Containern bereitzustellen. FDP und Weinheimer Liste enthielten sich bei der Abstimmung.