Mannheim, 14. August 2015. (red/pm) Alicja Kwade erhielt für ihre Skulpturen im Juli den hectorpreis 2015 der Kunsthalle Mannheim und der H.W. & J. Hector Stiftung. Derzeit sind Werke der Bildhauerin in der Kunsthalle in Mannheim zu sehen.
Information der Kunsthalle Mannheim:

Alicja Kwade ((c) Fabrice Seixas)
„Für ihre intelligente Instrumentalisierung von Skulptur als Impuls zur Produktion von Sinn erhielt Alicja Kwade am 1. Juli 2015 den hectorpreis 2015. Damit zeichnet die Kunsthalle Mannheim gemeinsam mit der H.W. & J. Hector Stiftung eine so signifikante wie originäre junge Bildhauerposition der Gegenwart aus.
Seit 2001 entwickelt Alicja Kwade eine skulpturale Sprache, deren Syntax auf der Kombination elementarer Materialien, alltäglicher Dinge und kulturell geprägter Produkte beruht: Gold und Kohle, Uhr und Spiegel, Schreibtischlampe und Champagnerflasche, Designklassiker und Porzellannippes.
In ihren Objektmontagen formuliert Kwade ein grundsätzliches Befremden, das Antrieb für ihre Arbeit ist: das Staunen über Phänomene der Natur und Gesellschaft zwischen Materialphysik und Börsenkurs, deren Gesetzmäßigkeiten sich dem gesunden Menschenverstand nur schwer erschließen, weil sie auf abstrakten Theorien oder Hypothesen beruhen. Als Bildhauerin schafft sie das Gegenteil: physische Bilder im Raum, in denen sich dieser Widerspruch zwischen Wissen und Wahrnehmung manifestiert.
Im Interview befragt Ausstellungskuratorin Melanie Baumgärtner die Künstlerin Alicja Kwade zu ihrem Werk:
Seit wann beschäftigen Sie sich mit der Frage nach Dopplungen und Parallelwelten?
Alicja Kwade: Das Thema der Spiegelung als Dopplung hat mich schon vor meiner Studienzeit interessiert – oft in Form von gezeichneten Selbstporträts, als das Abbild eines Selbst als gespiegelter „Andersrum-Zwilling“, wie ein Plus oder Minus zur eigenen Existenz. Später, so um 1999, beschäftigte ich mich durch die damals entstandene Serie „Stand by“ mit Fragen und Ideen der Kosmologie und Physik. Im Zuge dessen kam ich wieder zurück zur Dopplung als Möglichkeit einer Parallelwelt. Vor diesem Hintergrund entstand 2001 „Ich ist eine Andere“.
Es ist viel darüber geschrieben worden, dass Sie – beispielsweise mit Arbeiten wie „Parallelwelt (schwarz/weiß)“ (2009-2015) und „Nissan (Parallelwelt 1+2)“ (2009) – auf Erkenntnisse der Astrophysik über parallele Dimensionen seit Alberst Einstein anspielen…
Alicja Kwade: So eins zu eins kann man das nicht sagen, dafür habe ich selbst zu wenig fundierte Kenntnis über Astrophysik. Mein Interesse bezüglich der Relativitätstheorie und Quantenphysik ist aber sehr groß und eine wichtige Inspirationsquelle – gerade auch durch das Scheitern im Versuch des Verstehens.
Die erwähnten Arbeiten wurden auch durch meine Beschäftigung mit der Idee der Multiversen angeregt. Um gleichzeitig vorhandene Möglichkeiten der Gegenwart zu kreieren; Möglichkeiten, die immer alle gleichzeitig vorhanden sind, auch wenn man nur eine wahrnimmt oder wählt. Mir geht es mit den Werken jedoch auch darum, den Anspruch der Realität auf Absolutheit – sowohl ideell als auch physisch – zu thematisieren und den Blickwinkel auf vermeintlich Gegebenes zu hinterfragen.
Ihre übereinandergeschichteten Platten aus Aluminium, Zink, Blei, Kupfer, Nickel, Zinn, Silber und Gold, wie zum Beispiel „Dienstag, 13. Mai 2014, 17:17:00 Uhr“, sind formal sehr reduziert. Ist der Minimalismus, z.B. die Bodenplatten von Carl Andre, eine Inspirationsquelle?
Alicja Kwade: Mir ist die formale Verwandtschaft zu Carl Andre bewusst. Wenn man auf den Boden liegenden Metallplatten sieht, kommt man gar nicht umhin, an seine Kunst zu denken. Allerdings geht es mir um etwas ganz Anderes. Ich versuche mit dieser Werkgruppe, etwas Unsichtbares sichtbar zu machen – ein Konzept, eine erfundene Struktur, die nicht wahrnehmbar ist, physisch existent zu machen. Dabei suche ich mir die Form nicht aus, sondern sie ist eine gegebene Struktur – eine Art „Objet trouvé“, ein Readymade aus Informationen. Die verwendeten Metallplatten werden in dieser Form in der Industrie verwendet. Ich nutze sie mit dem geringsten Aufwand, der kleinsten Veränderung, die notwendig ist. Die Form muss am Ende genau so sein, wie sie ist: Es gibt kaum Variablen.
2008 haben Sie für „412 leere Liter bis zum Anfang“ erstmals Champagnerflaschen zu Sand zermahlen. Bestand eine gedankliche Verbindung zum Finanzmarktdesaster?
Alicja Kwade: Ich habe die Arbeit am 01. Januar 2008 begonnen, als die Finanzkrise noch nicht absehbar war. Das war erst im September 2008 der Fall. Es ist also keinesfalls als Kommentar daraufhin entstanden. Allerdings war ein Teil meiner Motivation aus meiner Überzeugung gespeist, dass „der Rausch“ ein Ende finden wird. Das unkontrollierte Übermaß an allem – auch auf dem Kunstmarkt – war ja realisierbar.
Ist es Ihnen wichtig, „richtig“ verstanden zu werden?
Alicja Kwade: Ich versuche dem Betrachter durch die Titel Hinweise zu geben, damit die Arbeit richtig verstanden werden kann. Ich sehe es aber nicht als notwendig, dass der Betrachter alles weiß und versteht, da für mich das Kunstwerk an sich ein autonomes Wesen ist und alleine durch seine Gegenwart etwas auslösen sollte, auch ohne „verstanden“ zu werden.
Was bedeutet Ihnen Marcel Duchamp, der Anfang des 20. Jahrhunderts ganz normale Alltagsgegenstände, wie ein Pissoir oder einen Flaschentrockner, zur Kunst erklärt hat?
Alicja Kwade: Duchamp bedeutet für mich sehr viel – wie wahrscheinlich allen ihm nachfolgenden Künstlergenerationen. Mit seinen „Readymades“ hat er einen Schritt getan, der zuvor nicht denkbar gewesen war. Allerdings finde ich, man müsste versuchen, das Thema des „Objet trouvé“ neu zu definieren…“