Mannheim, 14. Dezember 2015. (red/ms) Wie lassen sich hunderttausende Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt integrieren? Viele bringen Qualifikationen aus der Heimat mit – aber lange nicht alle. Eine große Hürde sind Sprachbarrieren. Wenn Flüchtlinge ohne Schulbildung zu Facharbeitern werden sollen, braucht es hier zusätzliche Fördermaßnahmen. Mitte Dezember tagten bildungspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktionen in Mannheim, um eine Strategie zu entwickeln, die den Einstieg in die Berufswelt vereinfachen soll.
Von Minh Schredle
Merhawi Teklesenbet hat arabische Wüsten durchquert. Zu Fuß. „Manchmal zwei Tage kein Trinken. Kein Essen,“ erzählt er. Auf seiner Reise nach Deutschland hätte er sich dann mit 27 Fremden in einen Toyota gequetscht. Merhawi spricht nur gebrochen deutsch mit starkem Akzent. Man muss sehr konzentriert zuhören. Aber man versteht ihn – und das ist eine Leistung. Die ersten 1,5 Jahre hat Merhawi in Containern gelebt:
Nie hat jemand da deutsch gesprochen.
Heute ist Merhawi anerkannter Flüchtling. Seit drei Monaten lernt er deutsch. Nicht in einem Sprachkurs wie viele andere – sondern im berufsvorbereitenden Unterricht der Justus-von-Liebig-Schule in Mannheim. Die Klassen sind nicht exklusiv Flüchtlingen vorbehalten, das Angebot richtet sich an Migranten im Allgemeinen: Ziel ist es, die notwendigen Sprachkenntnisse zu vermitteln, um eine Ausbildung absolvieren zu können. Schulleiterin Elsbeth Ruiner erläutert:
Was in drei Monaten Sprachkurs vermittelt wird, ist einfach nicht genug. Die allermeisten Flüchtlinge brauchen eine intensive Vorbereitung, bevor sie zu einer Fachkraft werden können.
Es sind traditionelle Berufsbilder wie die des Bäckers oder des Fleischers oder auch etwas extravagantere, wie etwa der Speiseeishersteller, die ein gemeinsames Problem teilen: Der Nachwuchs fehlt. Oft werden die Mindestschülerzahlen nicht mehr erreicht und Ausbildungsstandorte müssen aufgegeben werden.
Viele sehen in der Flüchtlingskrise eine Chance: Deutschland steht in den kommenden Jahrzehnten ein massiver Fachkräftemangel bevor – insbesondere in Ausbildungsberufen. Asylbewerber mit Bleibeperspektive könnten diese Defizite mit entsprechenden Fortbildungen kompensieren, so die Hoffnung.
Dass das aber nicht von heute auf morgen geht, muss jedem klar sein. Viele Hauptschüler und teils sogar Realschüler haben trotz eines erfolgreichen Abschluss Schwierigkeiten, in Deutschland einen Ausbildungsplatz zu finden. Wie sollen also Menschen in den Arbeitsmarkt integriert werden, die zu einem Großteil nicht einmal deutsch sprechen und von denen viele nie irgendeine schulische Bildung genießen durften?
Bislang hat sich die Politik nicht auf ein klares Konzept geeinigt. Mit Ach und Krach klappt es gerade so, den meisten Flüchtlingen ein Dach über dem Kopf zu sichern – die Unterbringungsbedingungen sind häufig eine Zumutung.
Die Theorie scheitert am Chaos
Auch bei der Vermittlung von Sprachkursen geht es drunter und drüber und während in der Theorie jedem Flüchtling mit Bleibeperspektive drei Monate Deutschunterricht zustehen sollten, scheitert das in der Praxis regelmäßig an überfüllten Kursen. Und selbst wenn drei Monate ausreichten und tatsächlich die gröbsten Grundkenntnisse vermittelten – was kommt danach?
Im Idealfall eine Ausbildung. Dazwischen sind standardmäßig keine weitere Qualifizierungsmaßnahmen vorgesehen. Ein paar Großkonzerne können es sich leisten, Flüchtlingsklassen einzustellen. Für „normale“ mittelständige Unternehmen, denen in Deutschland die größte wirtschaftliche Bedeutung zukommt, ist das in aller Regel nicht zu bewerkstelligen.
Oftmals scheitert ein Ausbildungsvertrag an mangelnden Sprachkenntnissen – von Flüchtlingen wird zu Ausbildungsbeginn die gleiche Leistung erwartet, wie von anderen Auszubildenden. Nur wie soll das funktionieren, wenn die Verständigung bei elementaren Vokabeln scheitert?
Die Sprache ist das Schlüsselwerkzeug für eine gelingende Integration,
sagt Georg Wacker, der bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Landtag Baden-Württemberg:
Die meisten Menschen mit Bleibeperspektive werden nach ihren Sprachkurse alleine gelassen. Das können wir uns nicht leisten. Damit eine Ausbildung erfolgreich enden kann, brauchen wir eine bessere Vorbereitung auf das Berufsleben.
Am vergangenen Freitag hat Herr Wacker gemeinsam mit Bettina Dickes, der bildungspolitischen Sprecherin der CDU in Rheinland-Pfalz, die Justus-von-Liebig-Schule in Mannheim besucht – die Schule hat Erfahrung mit Integration.
Bereits seit den 1980er-Jahren bietet die Justus-von-Liebig-Schule Vorbereitungsklassen an, die über den Zeitraum von einem Jahr Deutschkenntnisse vermitteln. Vor dem drastischen Anstieg der Flüchtlingszahlen richtete sich das Angebot vordergründig an Zuwanderer aus Südost-Europa. Georg Wacker sagt daher:
Die Justus-von-Liebig-Schule leistet seit Jahrzehnten eine herausragende Arbeit mit hoher Erfolgsquote. Wir wollten uns vor Ort ein Bild machen und sehen, was sich von diesem Modell vielleicht in einem größeren Maßstab übertragen lässt.
Momentan stünden die Flüchtlinge vor einer Systemlücke: Da sie vom Arzt bis zum Analphabeten die verschiedensten Voraussetzungen für den Einstieg ins Berufsleben mit sich bringen würden, könne man unmöglich davon ausgehen, dass nach drei Monaten Sprachkurs alle auf dem Niveau wären, eine Ausbildung anfangen zu können.
„Richtig investieren“
„Wir sehen seitens der Flüchtlinge eine riesige Bereitschaft, arbeiten zu wollen,“ sagt Bettina Dickes: „Aber auf sich allein gestellt, werden die meisten keinen Anschluss finden.“ Also müsse man – das betonen sowohl Herr Wacker als auch Frau Dickes – an dieser Stelle „richtig investieren“. Herr Wacker betont:
Gute Bildung ist teuer und wird sich erst langfristig bezahlt machen. Aber ein Anschluss an den Arbeitsmarkt ist der beste Weg, soziale Folgekosten zu vermeiden. Wenn wir hier nichts investieren, werden die Gesamtkosten auf Dauer sehr viel teurer.
Man brauche daher „Instrumente der kontinuierlichen Sprachförderung bis in die Ausbildung hinein“. Wie viel das insgesamt kosten dürfe, könne man seriös nicht beziffern, bevor sich der Landtag auf ein konkretes Konzept geeinigt habe, erklärt Herr Wacker auf Rückfrage der Redaktion:
Natürlich sind die finanziellen Mittel endlich. Aber zu einer Bleibeperspektive gehört nach dem Verständnis der CDU auch die Perspektive, ein Teil unserer Gesellschaft zu werden. Das geht nur mit fundierten Deutschkenntnissen und Anschluss an den Arbeitsmarkt.
Daher würde es sich lohnen, zusätzliche Mittel für Förderprogramme bereitzustellen. Oder anders ausgedrückt: Würde man das nicht tun, würden die Kosten durch Sozialhilfebezüge noch deutlich höher ausfallen.
Zumindest in der Justus-von-Liebig-Schule scheint sich die intensive Förderung bezahlt zu machen: Merhawi hat es nach rund drei Monaten geschafft, sich mit einfachen Worten klar verständlich zu machen. Er sagt:
Ich bin sehr dankbar. Ich will hier glücklich leben. Ich muss also arbeiten.
Merhawi ist kein Einzelfall: „Viele lernen unglaublich schnell und sind hoch motiviert,“ sagt Schulleiterin Elsbeth Ruiner: „Wir sehen im Flüchtlingszustrom eine große Chance für den Arbeitsmarkt, wenn wir richtig fördern und das Richtige fordern.“
Noch sei es eher die Ausnahme, dass Flüchtlinge in den Vorbereitungsklassen unterrichtet werden. Das wolle man mittelfristig ändern. Ab 2016 wird eine zusätzliche Vorbereitungsklasse eingerichtet, weitere Maßnahmen hingen von der Finanzierung ab.
Motivation ist vorhanden
Said Azami ist seit zwei Jahren in Deutschland und ebenfalls Schüler an der Justus-von-Liebig-Schule. Seine Aussprache ist bei Weitem nicht perfekt – aber man versteht ihn problemlos und er macht kaum noch grammatikalische Fehler. Er hat lateinische Schriftzeichen gelernt und bringt ein paar fehlerfreie, wenn auch schlichte Sätze zu Papier. Auch Groß- und Kleinschreibung sind korrekt.
Ein anderer Schüler ist Mohammad Reza Ahmadi. Er war Polizist in Afghanistan. Seine Geschwister wurden von der Taliban ermordet, erzählt er mit vielen Gesten und teils agrammatischen Bruchstücken. Er hat in seiner Heimat nie etwas mit europäischen Sprachen zu tun gehabt. Seit zwei Monaten lernt er deutsch. Auch ihn versteht man, wenn man es versucht. Er sagt:
Ich habe es nach Deutschland geschafft. Jetzt will ich es hier schaffen.