Mannheim, 14. Oktober 2015. (red/ms) In Mannheim leben aktuell rund 9.000 Flüchtlinge. Welchen Einfluss hat das auf die Sicherheitslage in der Stadt? Diese Frage darf man stellen – aber dann muss man sich auf mit den Antworten auseinandersetzen. Laut Polizeipräsident Thomas Köber gebe es kaum Schwerkriminalität unter Flüchtlingen. Gegenüber dem Sicherheitsausschuss machte er klar, dass sich die Gesellschaft dennoch auf gewaltige Herausforderungen einzustellen habe.
Von Minh Schredle
Gerade kam Thomas Köber, Präsident des Polizeipräsidiums Mannheim, von einer Dienstreise aus der Hauptstadt zurück – jetzt erläutert er gegenüber dem Sicherheitsausschuss die Kriminalitätsentwicklung in Mannheim. Schließlich sagt er:
Ich bin froh, dass ich Ihnen nicht die Kriminalitätszahlen aus Berlin vorstellen muss.
Das geschieht in der Regel zwei Mal im Jahr: Im März veröffentlicht das Polizeipräsidium für gewöhnlich eine offizielle und ausführliche Kriminalitätsstatistik zum Vorjahr. Im Spätherbst wird im Gegensatz weniger auf absolute Zahlen eingegangen, sondern mehr auf allgemeine Tendenzen und konkrete Lösungsstrategien.
Was geben die Zahlen her?
Wie kriminell geht es in Mannheim tatsächlich zu? Sind die Straßen noch sicher? Können sich Frauen abends noch alleine aus dem Haus trauen?
Um eines vorweg zu nehmen: Mannheim ist ganz sicher keine Hochburg der Kriminalität. Bundesweit liegt Mannheim nach Angaben der Polizei auf Platz 18 der Großstädte mit den meisten erfassten Straftaten im Verhältnis zur Bevölkerung.
Mithilfe von Häufigkeitszahlen lassen sich Vergleiche zwischen Regionen ziehen: Sie erfassen, wie viele von 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern statistisch betrachtet innerhalb von einem Jahr zum Opfer einer Straftat werden.
Anzahl sagt nichts über Schwere aus
Deutschlands “Spitzenreiter” ist Frankfurt am Main mit einer Häufigkeitszahl von 16.938 für das Jahr 2014 – also waren fast 17 Prozent der Bevölkerung von kriminellen Handlungen betroffen. In Berlin sieht das ähnlich aus: Hier liegt die statistische Wahrscheinlichkeit bei 15,9 Prozent.
Tendenziell geht es im Süden Deutschlands etwas ruhiger zu. Und tatsächlich gibt es in Baden-Württemberg gibt nur eine Großstadt, in der mehr Straftaten erfasst werden als in Mannheim: Freiburg im Breisgau mit einer Häufigkeitszahl von 12.392.
Mannheim lag 2014 bei 10.686 Straftaten pro 100.000 Einwohner – das ist im Vergleich zum Landesschnitt viel, aber auch nur geringfügig mehr als in Karlsruhe und Stuttgart (Häufigkeitszahlen von 10.320 und 10.190).
“Überwiegend positiv”
Die Häufigkeitszahlen stellen einen Indikator für die Kriminalität in einer Stadt dar – aber keinen besonders belastbaren Maßstab: Denn die Anzahl der Straftaten macht noch keine Aussage zu deren Schwere. Ein Totschlag wird als eine Straftat erfasst, ebenso wie ein gestohlenes Fahrrad.
Die Zahlen müssen also differenzierter betrachtet werden: Während in Mannheim die Gesamtzahl der Straftaten seit Jahren tendenziell zunimmt, ist die Schwerkriminalität eher rückläufig. Die Anzahl der Straftaten zwischen Januar und September 2015 hat im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um knapp acht Prozent zugenommen – Polizeipräsident Köber spricht dennoch von einer überwiegend positiven Gesamtentwicklung.
Doppelt so viele Taschendiebstähle
Nach Statistik sind gefährliche Körperverletzungen, Raubtaten und Gewalt auf offener Straße jeweils im einstelligen Prozentbereich zurückgegangen. Außerdem wurden gut 15 Prozent weniger Sachbeschädigungen an Fahrzeugen als im Vorjahr registriert:
Offenbar ist Spiegel-Abtreten aus der Mode gekommen. Hoffen wir mal, dass das so bleibt.
“Mehr als bedenklich” sei dagegen die Zunahme von Taschendiebstählen: Die Zahl der Vorfälle hat sich im Vergleich zum Vorjahr beinahe verdoppelt – deutlich mehr als 1.000 Delikte wurden erfasst. Weniger als 20 der Tatverdächtigen sind Asylbewerber.
Beim Straßenraub hat es eine Zunahme um knapp 15 Prozent gegeben. 133 Vorfälle wurden registriert. Von den knapp 60 Tatverdächtigen waren zwei Drittel “nichtdeutsch”.
Kapazitäten werden gezogen
Ansonsten gebe es “im Regelbetrieb wenig Auffälligkeiten”:
Die Mannheimer Polizei ist kräftemäßig für alle alltäglichen Aufgaben gewappnet. Für eine andauernde Krisenlage sind wir aber nicht gerüstet.
In diesem Zusammenhang ging Herr Köber ausführlich auf die Herausforderungen ein, die sich durch die Unterbringung von fast 9.000 Flüchtlingen in Mannheim, den Hauptbahnhof Mannheim als “Drehkreuz” und die Zentrale Registrierungstelle in Heidelberg ergeben. Etwa 15 bis 17 Prozent der Kapazitäten des Polizeipräsidiums würden dadurch gebunden werden – das fehle “nach einfacher Mathematik” an anderer Stelle.
Auch Minderheiten müssen ernst genommen werden
Herr Köber betonte in diesem Zusammenhang in aller Deutlichkeit:
Es gibt keine überbrodelnde Gewaltkriminalität durch Flüchtlinge. Das ist nur ein Gerücht.
Er wolle aber nicht verneinen, dass es auch Problemfälle gebe. Diese seien “ganz klar in der Minderheit” – aber trotzdem müsse man sie ernst nehmen.
“Papierdelikte” verschwenden Ressourcen
Bei den meisten erfassten “Vergehen” von Flüchtlingen handelt sich nach Angaben der Polizei um den illegalen Aufenthalt in Deutschland – “Papierdelikte”, wie Herr Köber sie bezeichnet. Dass auch diese Verstöße registriert werden müssen, stört ihn:
Wir müssen das als Polizei natürlich aufnehmen, leiten es an die Staatsanwaltschaft weiter, die stellt das Verfahren wegen Nichtigkeit ein und dann war’s das auch schon wieder.
Das führe nur zu einem gewaltigen bürokratischen Aufwand, der Ressourcen verschwende und die Arbeit ausbremse.
Herr Köber betont in diesem Zusammenhang mit Nachdruck, dass es selbstverständlich die Pflicht von Polizei und Staatsanwaltschaft sei, alle Verstöße zu registrieren – man dürfe allein aus rechtlicher Sicht nicht darauf verzichten. Daher liege es an der Politik, hier etwas an der Rechtslage zu verändern, um die staatlichen Behörden zu entlasten.
Rückgang der Sexualdelikte
Immer wieder kursieren Gerüchte von Vergewaltigungen und Sexualverbrechen durch Asylbewerber – diese sind fast immer verleumderisch.
Die Anzahl von Sexualstraftaten im Mannheimer Stadtgebiet ist mit gut 150 Vorfällen im Vergleich zum Vorjahr um mehr als sechs Prozent zurückgegangen. Die Anzahl von registrierten Vergewaltigungen ist sogar um 25 Prozent gesunken. Da es sich hier jedoch um Fallzahlen im niedrigeren zweistelligen Bereich handelt, verursachen auch kleine Schwankungen große prozentuale Veränderungen in der Statistik.
Der Mythos von Vergewaltigungen durch Asylbewerber
Die Zahl der registrierten Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die zwischen Januar und September von Flüchtlingen in Mannheim begangenen worden sind, lässt sich an einer Hand abzählen. Von der Polizei wurde keine einzige Vergewaltigung bestätigt.
“Natürlich gibt es immer ein hohes Dunkelfeld von Fällen, die nicht erfasst werden,” kommeniert Herr Köber. Aber:
Gerade hier schauen wir besonders genau hin.
Auch in Heidelberg gebe es keine außergewöhnlichen Auffälligkeiten. Und im Patrick Henry Village zeige die Polizei inzwischen dauerhafte Präsenz. Herr Köber sagt klar und unmissverständlich:
An den Zahlen für die vergangenen neun Monate ist de facto nichts Besonderes oder Beängstigendes festzustellen. Bislang gibt es in Mannheim kaum Schwerkriminalität unter Flüchtlingen.
Dennoch gebe es auch schwerwiegende Einzelfälle, die Anlass zur Sorge bereiten würden – hauptsächlich im Bereich der Eigentumsdelikte, Raubüberfälle und Straßenkriminalität. Außerdem seien über 100 Fälle von Rauschgiftkriminalität registriert worden – die meisten davon im Zusammenhang mit einer Großrazzia im Mai.
Probleme mit Diebstählen
Besonders besorglich sei laut Herrn Köber, dass viele Flüchtlinge offenbar “nicht den allergrößten Respekt vor fremden Eigentum hätten”. Insgesamt gab es zwischen Januar und September knapp 700 Tatverdächtige Asylbewerber. Fast 300 davon stehen im Verdacht, einen Diebstahl begangen zu haben. Dabei gebe es auch Extrembeispiele:
Es wurden auch schon Auto-Scheiben eingeschlagen, nur um eine Schachtel Kippen zu klauen.
In diesem Zusammenhang nennt Herr Köber eine Gruppe von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, die innerhalb weniger Wochen reihenweise Straftaten begangenen haben:
Wir haben viel Verständnis für Jugendliche, gerade wenn sie eine schwierige Vergangenheit hatten. Aber wenn jemand einem anderen ein Messer an den Hals hält, hört jeder Spaß auf.
Inzwischen wären diese Jugendlichen eigenständig weitergezogen – vermutlich nach Frankreich. Die Mannheimer Polizei habe sie durch ihr Vorgehen “vergrault”, sagt Herr Köber. Es seien “nur ein paar wenige Hardcores” gewesen. Aber:
Diese Jungs haben gereicht, um einen ganzen Stadtteil wuschig zu machen.
Gerade solche Fälle würden der Polizei mitunter die größten Sorgen bereiten – denn es sei sehr schwierig, sie zu resozialisieren:
Im Alter zwischen 16 und 20 sind Jugendliche und Heranwachsende ganz besonders auf Ansprechpartner angewiesen. Hier werden Weichen gestellt. Wenn Sie in dieser Phase niemanden haben, der sich um sie sorgt, wird es sehr problematisch, sie im Nachhinein von der schiefen Bahn zu holen.
Gelingende Integration werde die ganz große Herausforderung der Zukunft – vor allem für die Kommunen.
Regeln müssen vermittelt werden
Herr Köber gibt ein Beispiel: Die Zahl der Leistungserschleichungen sei um rund 17 Prozent angestiegen – insbesondere im Bereich “Schwarzfahren” habe es hier eine Zunahme gegeben. In vielen Fällen würden Asylbewerber kontrolliert, die gar nicht wüssten, dass sie einen Fahrschein brauchen:
Oft steht hinter einem Verstoß gar keine böswillige Absicht – trotzdem muss man auf diese Regelungen bestehen, weil ohne sie keine funktionierende Gesellschaft möglich ist.
Man müsse daher Wege finden, diese Regelungen angemessen zu vermitteln und zu erklären.
Was bringt die Zukunft?
Stadträtin Nuran Tayanc (Die Grünen) sagte im Anschluss an den Vortrag von Herrn Köber:
Was wird aus den Wohnungs-, Arbeit- und Zukunftsperspektiven? Auch das wird mittelfristig an uns hängen bleiben.
Erster Bürgermeister Christian Specht (CDU) forderte:
Mannheim muss unbedingt eine Obergrenze mitgeteilt bekommen, wie viele Menschen hier untergebracht werden soll – sonst kann die Stadt sich kaum darauf einstellen und nichts planen.
Stadtrat Roland Weiß (Mannheimer Liste) entgegnete:
Wir können über Obergrenzen reden, so viel wir wollen – die Menschen werden trotzdem kommen. Und wenn sie da sind, müssen wir sie unterbringen.
Daher müsse man sich eher Gedanken machen, wie man die Unterbringungssituation verbessern könne. Die Zustände auf dem Spinelli-Gelände seien beispielsweise beschämend. Damit tue man sich “überhaupt keinen Gefallen” – denn:
Alle Probleme, vor denen wir Angst haben, werden dadurch nur gefördert.
Polizeipräsident Köber nickte während diesen Worten stumm und nachdenklich – und ein bisschen ratlos.
Die entscheidende Frage ist nämlich: Wie sollen Unterbringungen in Hallen vermieden werden? Gibt es plausible Alternativen?
Im Gegenteil: Es stehen so wenige Räumlichkeiten zur Flüchtlingsunterbringung zur Verfügung, dass wahrscheinlicher wird, dass in den kommenden Wochen weitere Zeltlager aufgestellt werden müssen, als dass man auf Lagerhallen verzichten könnte.