Mannheim/Rhein-Neckar, 11. Juli 2015. (red/ms) Etwa zehn Prozent der Mannheimer sind Muslime. Aktuell sollen sie im heiligen Monat Ramadan fasten. Für Strenggläubige bedeutet das: Solange die Sonne scheint, wird weder gegessen noch getrunken. Welche Auswirkungen hat das auf Gastronomien mit überwiegend muslimischer Kundschaft?
Von Minh Schredle
Es ist Samstag, etwa gegen 18:00 Uhr, als ich eine Dönerbude in der Mannheimer Innenstadt betrete. Ich bin der einzige Kunde. Ein junger Mitarbeiter – der einzige der anwesend ist – kommt auf mich zu und sagt:
Sie haben Glück. Wir wollten gerade schließen.
Unter normalen Umständen sei es kaum denkbar, den Laden so früh dicht zu machen. Aber gerade würden nur wenige Kunden kommen – „die fasten gerade“, sagt er. Zum ersten Mal wird mir klar, welche wirtschaftlichen Auswirkungen der Ramadan auf Gastronomien mit überwiegend muslimischer Kundschaft haben muss.
Ich frage ihn, wie drastisch die Einnahmeeinbußen sind. Er sagt mir, das sei sehr unterschiedlich von Geschäft zu Geschäft:
Wir sind stark betroffen. Andere merken kaum etwas.
Ich bin verwundert und hake weiter nach. Er erklärt mir, dass sie ihren Laden früh schließen – über den Tag hinweg würden generell weniger Kunden kommen, das betreffe alle. Aber nach dem Sonnenuntergang gebe es häufig einen regelrechten Ansturm. Dann würde in wenigen Stunden fast so viel eingenommen wie sonst an einem ganzen Tag.
Sich von Lastern lösen
Mir kommt ein anderer Gedanke: Es hat schon im Schatten rund 35 Grad – wie lässt es sich dann aushalten, einen ganzen Arbeitstag vor einem Dönerspieß stehen, ohne einen einzigen Schluck zu trinken? Wie steht man den Hunger durch, wenn man die ganze Zeit mit Essen konfrontiert wird?
Das frage ich ihn. Im ersten Jahr in der Gastronomie sei es sehr hart gewesen. Aber je länger man das Fasten durchstehe, desto einfacher würde es. Und es sei wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung – denn man würde Disziplin lernen. Er schaut mir in die Augen und sagt:
Beim Fasten geht es um viel mehr, als auf Essen und Trinken zu verzichten. Im Ramadan soll man sich von schlechten Angewohnheiten und Lastern trennen. Viele versuchen zum Beispiel das Rauchen aufzugeben.
Der junge Mitarbeiter ist ganz offensichtlich froh, dass ich Interesse für seine Kultur zeige. Er ist freundlich, aufgeschlossen, gibt bereitwillig Auskunft – und respektiert es vollkommen, als ich ihm sage, keiner Konfession anzugehören.
Er erklärt mir, dass der Ramadan auch eine Zeit sei, in der man sein Bewusstsein für Armut und Missstände schärfen soll – „wenn man es selbst einmal erlebt hat, wie es ist, Hunger zu leiden, kann man leichter Mitgefühl für diejenigen entwickeln, die immer Hunger leiden müssen“.
Etwa zehn Prozent der Mannheimer sind Muslime – wie ernst nehmen sie das Fasten?
„Sehr ernst“, sagt er: „Aber trotzdem halten es nicht alle durch. Manchmal ist das einfach unmöglich, wegen der Arbeit oder aus gesundheitlichen Gründen. Daran gibt es auch nichts auszusetzen. Es genügt vollkommen, sein Bestes zu geben.“
Natürlich gebe es auch ein paar Muslime, die überhaupt nicht fasten würden. Das bedaure er – aber jedem solle selbst freistehen, wie streng er seinen Glauben praktizieren will: „Ein Zwang nutzt da überhaupt nichts. Die Bereitschaft muss von innen kommen.“
Komplett unterschiedliche Erfahrungen
Laut dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband e. V. stellt man bundesweit kaum Auswirkungen durch den Ramadan fest. Allerdings seien auch nur in seltenen Ausnahmefällen muslimische Gaststätten Mitglieder im Verein.
Also haben wir eine Straßenrecherche in der Mannheimer Innenstadt gestartet. Viele Erfahrungen bestätigen das, was auch der junge Mitarbeiter erzählt hat. Dann besuchen wir eine beliebte Steinofen-Bäckerei in den Quadraten, stellen die Frage nach dem Umsatzausfall – und bekommen eine Antwort, mit der wir nicht gerechnet hätten:
Wir merken überhaupt keine Auswirkungen durch den Ramadan, was unsere Einnahmen angeht,
antwortet uns die Norsemen Uzun in hervorragendem Hochdeutsch. Wir sind überrascht. „Etwa 60 Prozent unserer Kunden sind Deutsche, viele Studenten,“ erklärt sie. Über den Tag verteilt würden auch viele muslimische Kunden kommen, die das Essen mitnehmen, um es dann nach dem Sonnenuntergang zu sich zu nehmen.
Frau Uzun ist streng gläubig – trotzdem fastet sie selbst nicht. Zumindest nicht strikt. „Meine Gesundheit lässt das nicht zu,“ sagt sie: „Trotzdem bemühe ich, im Ramadan auf alles Unnötige zu verzichten.“
Vor dem Steinofen entwickelt sich eine gewaltige Hitze. In der gesamten Bäckerei ist es noch wärmer als im Freien – und hier hat es fast 40 Grad im Schatten. Nach wenigen Minuten sehne ich mich nach etwas zu trinken. Frau Uzun und ihre Mitarbeiter müssen ganze Arbeitstage in dieser Hitze aushalten.
Etwa gegen 22:00 Uhr hat die Steinofen-Bäckerei zwar noch offen. Aber niemand wird bedient. „Kunden müssen sich dann etwas gedulden,“ erklärt Frau Uzun. Denn dann brechen die Mitarbeiter das Fasten für etwa 20 Minuten:
Wir erwarten in diesem Fall Verständnis,
sagt Frau Uzun: „Meine Mitarbeiter arbeiten den ganzen Tag über hart. Sie essen nichts, sie trinken nichts. Da ist es nur menschlich, dass sie eine kurze Pause brauchen, um wieder zu Kräfen zu kommen. Auf Kunden, die das nicht verstehen können, können wir verzichten.“
Verständnis und Respekt. Diese beiden Fähigkeiten schätzt Frau Uzun hoch. Und sie beklagt, dass sie zunehmend verloren gehen. Unter Christen, unter Muslimen – unter Menschen. „Wichtig ist für mich nicht, welchen Glauben jemand vertritt. Ich bin überzeugte und gefestigte Muslimin – daran wird sich auch nie etwas ändern. Aber solange jemand Menschen und ihre Bemühungen wertschätzen kann, verdient er meinen Respekt.“
„Jeder braucht Zeit, sich zu besinnen“
Frau Uzun ist traditionsbewusst und modern. Sie trägt ihr Kopftuch, „weil ich es will“. Niemand habe sie dazu gedrängt. Viele Jahre lang habe sie darauf verzichtet. Doch das Kopftuch schütze sie. Sie fühle sich damit deutlich wohler in den Straßen. Ohne Kopftuch habe es immer wieder unangenehme Vorfälle gegeben. „Dämliche Anmach-Versuche,“ sagt sie: „Sogar Heiratsanträge von Männern, die mich gar nicht kennen.“
Immer mehr Menschen – „gerade die jungen“ – würden immer unverschämter werden und immer weniger Wert auf Anstand und Manieren legen – unabhängig von Religion und Herkunft. Auf den Straßen herrsche häufig ein „fürchterlich asozialer Umgangston“. Außerdem würden sie immer maßloser werden, immer verschwenderischer. Immer gieriger. Frau Uzun sagt dazu:
Gerade deswegen ist es so wichtig, sich immer wieder auf die eigenen Werte zu besinnen.
Man müsse bei jeder Gelegenheit überprüfen, ob man sich auch selbst an das hält, was man predigt. „Auch wenn die Welt hektischer wird – diese Zeit muss man sich nehmen“, sagt sie und lächelt. Es ist ein sehr ehrliches und aufrichtiges Lächeln. Ihre Augen glänzen: „Deswegen ist der Ramadan für mich als Muslimin so wichtig.“
Muslime in unserer Gesellschaft
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