Rhein-Neckar, 14. Mai 2018. (red/pro) Wenn Politiker aktuell in die Schlagzeilen kommen wollen, müssen sie nur irgendwas mit Flüchtling formulieren. Das reicht, um von links bis rechts mit Applaus oder Ablehnung belegt zu werden. Der Grund dafür sind selten die einzelnen Aussagen, sondern die Medien, die mittlerweile vollständig einem dauerhaften Empörungsreflex pawlowscher Prägung unterliegen, indem sie komplexe Themen simplifizieren.
Von Hardy Prothmann
FDP-Chef Christian Lindner hat aktuell die Bühne. Betrachtet man die „linke Presse“ hat er sich nicht nur fremdenfeindlich, sondern sogar menschenfeindlich geäußert (Frankfurter Rundschau: „Ätzend ausländerfeindlich“). Auslöser der Aufregung ist folgendes Zitat seiner Rede beim Bundesparteitag in Berlin an diesem Wochenende:
Man kann beim Bäcker in der Schlange nicht unterscheiden, wenn einer mit gebrochenem Deutsch ein Brötchen bestellt, ob das der hochqualifizierte Entwickler künstlicher Intelligenz aus Indien ist oder eigentlich ein sich bei uns illegal aufhaltender, höchstens geduldeter Ausländer. Damit die Gesellschaft befriedet ist, müssen die anderen, die in der Reihe stehen, damit sie nicht diesen einen schief anschauen und Angst vor ihm haben, müssen sich alle sicher sein, dass jeder, der sich bei uns aufhält, sich legal bei uns aufhält. Die Menschen müssen sich sicher sein, auch wenn jemand anders aussieht und noch nur gebrochen Deutsch spricht, dass es keine Zweifel an seiner Rechtschaffenheit gibt. Das ist die Aufgabe einer fordernden, liberalen rechtsstaatlichen Einwanderungspolitik.
Das Bild ist simpel und schon im ersten Satz falsch. Wer einigermaßen aufmerksam durch die Welt geht, kann einen (Computer-)Inder sehr wohl von einem Schwarzafrikaner, einem Südosteuropäer oder einem Araber oder Asiaten unterscheiden. Hinzu kommt, dass der möglicherweise nur geduldete sich nicht legal in Deutschland aufhaltende Ausländer, eher nicht in der Schlange beim Bäcker anzutreffen ist. Auch nicht in der Metzgerei oder beim Feinkosthändler, denn diese Menschen können sich – ganz simpel betrachtet – diese Preise überhaupt nicht leisten.
Hinzu kommt, ebenfalls ganz simpel, die Tatsache, dass die leitende Brötchenkultur der Deutschen von vielen Ausländern, insbesondere, wenn sie noch nicht lange in Deutschland leben, eher nicht gelebt wird. Das gilt übrigens auch für Franzosen oder Italiener.
Der zweite Satz der Äußerung ist auch versimpelt. Menschen sind schon immer skeptisch gegenüber dem Fremden und damit auch Fremden. Auch ein Punk in der Schlange oder eine Wasserstoffblondine mit Atombusen, Schleifchentöle auf dem Arm, Quetschhose und High Heels würde von einigen sicher „schief“ angeschaut werden und die ein oder andere Oma wird möglicherweise denken: „Fria häds des ned gegewwe.“ Und möglicherweise hat die alte Dame sogar Angst davor, dass die Enkelin auch „so“ werden könnte.
Der dritte Satz ist ebenfalls simpel und beschreibt allgemeine Ressentiments. Insbesondere linke Medien drehen Herrn Lindner daraus einen Strick und wollen anhand dieses simplen Satzes konstruieren, dass Herr Lindner diese Ressentiments teilt.
Das hat nichts mit Analyse zu tun und nichts mit Journalismus. Das ist simpler Zitatismus. Das ist nur simple Empörungspickerei eines Mediensystems, das mittlerweile an einen Hühnerstall erinnert – das Verhalten ist getrieben von simplen Übersprungshandlungen und Reflexen.
Das ist nun kein Phänomen der linken Medien – für konservative bis rechte Medien gilt das deckungsgleich kongruent.
Gut ist, was dem neuen Kacheljournalismus nützt. Was das ist? Na diese Kacheln, in die man ein Zitat quatscht und Themen auf genau eine Aussage simplifiziert, um dies dann auf Facebook oder Twitter zu posten. Das ist nicht nur bei Zeitungen sehr beliebt, sondern auch absolut gängig für öffentlich-rechtliche Sender.
Der Grund dafür ist auch simpel. Er beschreibt die zunehmende Verachtung der Menschen durch viele Journalisten. Man hält das Publikum für zu blöd, um sich mit komplexen Themen auseinanderzusetzen. Man glaubt, damit immer weniger Menschen zu erreichen. Also bietet man mutmaßlichen Simpeln simple Botschaften an, die möglichst emotional aufgeladen sind.
Leider bleibt dies nicht ohne Erfolg. Alle, die sich auf solch simple Botschaften einlassen, werden tatsächlich nach und nach selbst Simpel.
Eine inhaltliche Auseinandersetzung wird nicht mehr angestrebt. Die einfache Frage lautet: „Dafür oder dagegen?“ Oder: „Schuldig oder nicht schuldig?“ Wem das noch zu viel „fachsimpeln“ ist – es geht auch kürzer: „Nazi!“ oder „Goldstück!“ oder „Gutmensch!“ oder „Lügenpresse!“. Es darf sich jeder ein Totschlagwort aussuchen.
Diese Form von Vereinfachungsjournalismus ist mitverantwortlich – möglicherweise sogar in hohem Maße – für eine Spaltung der Gesellschaft, da nicht mehr ein Diskurs eingefordert wird, sondern ein schon totalitäres Glaubensbekenntnis: Wer nicht dafür ist, ist dagegen oder wer dagegen ist, ist dafür. In diese simple Formel kann man beliebig einsetzen, wozu man gerade einen Aufreger produzieren will.
Tatsächlich richtig ist, dass sich Herr Lindner sehr umfassend geäußert hat. Sein Eingangssatz zum Thema war: „Die Flüchtlings- und Einwanderungspolitik spaltet unsere Gesellschaft.“ (Wenn Sie sich aus erster Hand informieren wollen, finden Sie die Rede auf Youtube bei Phoenix, am 1:14:00 zum Thema und 1:18:30 das oben benannte Zitat.) Herr Lindner lässt sich sehr differenziert zum Thema ein – ob man seine Positionen teilt oder nicht, das kann sich jeder selbst aussuchen.
Fest steht, dass Herr Lindner eben nicht rechtspopulistisch aufgetreten ist, das Gegenteil ist richtig:
Überall, zu allen Zeiten haben Wanderungsbewegungen, hat Migration dafür gesorgt, dass Gesellschaften unter Spannung gesetzt worden sind. Die große Aufgabe der deutschen Politik im nächsten Jahrzehnt und darüber hinaus wird sein, Zuwanderung klug zu managen. Und dafür zu sorgen, dass unsere Gesellschaft, die multikulturell und multireligiös wird, befriedet bleibt. Die große Gefahr, liebe Freundinnen und Freunde, das sind Hass-Tiraden, wie wir sie gelesen haben von Karl Lagerfeld. Bei aller Kritik an der Flüchtlingspolitik von Frau Merkel, gegen diese Verrohung der Gesellschaft müssen wir uns als Liberale wenden. Die Befriedung dieses Großkonflikts, das ist die Schlüsselaufgabe der kommenden Jahre.
Schauen Sie sich die Passage an. Das dauert rund zehn Minuten. Sie werden feststellen, dass die simplen Erregungsreflexe von „linken Medien“ vollständig daneben gehen und durchaus als simple Lügenpresse bezeichnet werden können. Mit Qualitätsjournalismus und einer soliden Information der Öffentlichkeit hat das nichts zu tun.
Hüben wie drüben ist das Thema Flüchtlinge mittlerweile nichts weiter als ein Schlagzeilengenerator – inhaltliche Information bleibt weitestgehend auf der Strecke und das treibt, ganz simpel, die Spaltung der Gesellschaft voran.
Das Video beginnt bei der entsprechenden Passage: