Rhein-Neckar/Südwesten, 14. Februar 2017. (red) Als “Raubzug” bezeichnete die AfD die Änderung des Abgeordnetengesetzes, das in der vergangenen Woche im Stuttgarter Landtag in atemberaubender Geschwindigkeit beschlossen worden ist. Insbesondere die Rückkehr zu einer staatlichen Rente erzürnte die Bürger anscheinend derart, dass ein Aussitzen keine Option für Grüne, CDU und SPD war. Heute gaben die Fraktionsvorsitzenden bekannt, dass man das Gesetz aussetzen wolle, um eine Expertenkommission einzusetzen. Der Vorgang ist ein Lehrstück für politische Instinktlosigkeit.
Kommentar: Hardy Prothmann
Ein Landtagsabgeordneter erhält aktuell 7.616 Euro monatlich als Diät. Dazu 1.679 Euro steuerfreien Zuschuss für eine private Altersvorsorge. Der Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim rechnet das zusammen und kommt auf 9.295 Euro “Gehalt” für einen Abgeordneten, was ihm von Abgeordneten als “falsche” Rechnung attestiert wird. Das eine seien die Diäten, das andere ein Zuschuss. Das kann man so sehen – aber ein Angestellter oder Selbstständiger erhält keinen “Zuschuss”, man zahlt aus dem, was man verdient. Wenn da überhaupt Geld übrig ist.
52.000 Euro vs. 91.392 Euro
Eine Fach- und Führungskraft kommt nach dem Portal “stepstone” in Deutschland im Durchschnitt auf 52.000 Jahresbrutto, also 4.333 Euro monatlich. Ein Elektroniker höchstens auf 2.746 Euro – für diesen Arbeit beginnt die durchschnittliche Gehaltstabelle bei 1.958 Euro brutto, aus der er auch seine private Vorsorge leisten muss. Zum Vergleich: 1.679 Euro erhält ein Abgeordneter als Zuschuss nur für diese Vorsorge. Das Jahresbrutto ist bezogen auf die Diät 91.392 Euro – ohne, wie betont wird, “13. Gehalt”.
Wer, wie Grüne, CDU und SPD erst durch die Rückkehr in die staatliche Pension seine Rente verdreifachen will und dann dem Volk was von “Wertschätzung eines Abgeordneten” erzählen will, hat, mit Verlaub, nicht mehr alle Latten am Zaun. Schon gar nicht, wenn wie 2008 die Diäten um ein Drittel erhöht worden sind – siehe Wertschätzung – und damit verbunden eine private Altersvorsorge eingeführt wurde, um die Abgeordneten Bürgern “gleichzustellen”. Naja, bis auf die “Zuschüsse”, die für viele Normalbürger allein für sich das Monatsbrutto ausmachen. Ein Polizist als Berufsanfänger beispielsweise hat 2.065,59 Euro brutto – und wird natürlich durch Abgeordnete für seine Arbeit “sehr geschätzt”.
Versuch, die Rente zu verdreifachen
Nach der neuen Regelung bekäme ein Abgeordneter, der durchschnittlich 13 Jahre im Amt ist, nicht 813 Euro als Rente aus dieser Zeit, sondern 2.475 Euro. Mal auf gut deutsch: Das ist ziemlich fett. So fett, dass anscheinend tausende erzürnte Bürger die Abgeordneten angeschrieben haben und dort nur die Angst umgeht – schließlich will man ja wieder gewählt werden. Und es gibt Alternativen, die man wählen kann und gegen diese Luxusrente gestimmt hat, die AfD und die FDP/DVP.
A propos Wertschätzung. Alle Abgeordneten, die im öffentlichen Dienst tätig waren, müssen seit 2016 ihre Ämter ruhen lassen – haben aber eine Rückkehrgarantie in ihre Jobs. Sie gehen also kein Risiko ein. Und die anderen? Soll man wirklich glauben, dass man auf eine Karriere in der Wirtschaft verzichtet und sich schlechter bezahlen lässt, weil man sich ja ach so überzeugt für die Demokratie einsetzen will? Wers glaubt, wird selig. Uns ist nicht bekannt, dass die Parteien Sorge haben müssten, Kandidaten zu finden. Gehälter über 5.000 Euro monatlich sind Spitzenverdienste – siehe oben den Durchschnittsverdienst von Führungskräften.
Weitere “Annehmlichkeiten”
Dazu kommt eine Bahncard im Wert von 400 Euro monatlich. Dazu kommen Sitzungsgelder. Dazu kommen Aufsichtsratsposten. Dazu können Vortragseinnahmen kommen. Und: Insbesondere die Angestellten und Selbständigen können in ihrem Job “dazu verdienen”, was auch viele tun. Auf die Diät gibts also nochmals ordentliche Aufschläge. Und wer sich clever anstellt, macht nach dem Ausscheiden in der Wirtschaft durchaus Karriere auf lukrativen Jobs. Abgeordnete wie der Grüne Karlsruher Alexander Salomon (30) beispielsweise, abgebrochener Jura-Student ohne Beruf, wäre vermutlich Jobber, aber niemals Bezieher von 7.616 Euro brutto pro Monat und der anderen Leistungen. Wer hier also dem Volk was vorjammert, Abgeordneter zu sein, wäre so etwas wie ein Risiko, der hält echt alle für dumm.
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Ok, mal mit Verständnis
Bis hierhin mal genug gebasht. Abgeordnete, die ihr Mandat ernst nehmen und sich voll reinhängen, haben durchaus Wochenarbeitszeiten, die jenseits der 60 Stunden liegen. Dazu kommt eine Fülle von Aufgaben, Berge von Informationen und natürlich ein mitunter knallharter politischer Kampf in der Öffentlichkeit. Dafür sollte man Abgeordnete schon gut bezahlen, sonst tut sich das wirklich keiner freiwillig an. Hinzu kommt die Verantwortung, der man sich öffentlich stellen muss. Aus unserer Sicht sind die aktuellen Bezüge und die Rentenregelung angemessen – die neue Regelung wäre es nicht.
Ein wenig wurde sich auch über die Erhöhung der Kostenpauschale von derzeit 1.548 Euro auf 2.160 Euro aufgeregt. Diese Aufregung kann man stecken lassen. Allerdings könnten diese “bis zu” Kosten spitz abgerechnet werden. Denn ein Abgeordneter an der Bergstraße mietet Büroräume günstiger als einer in Stuttgart oder Mannheim. Das das Land Kosten für die Infrastruktur übernimmt, geht in Ordnung.
Was wirklich hinter der Erhöhung der Mitarbeiterausgaben stecken könnte
Auch die Steigerung der Bezahlung für Mitarbeiter von derzeit bis zu 5409,43 Euro auf bis zu 10.438 Euro monatlich ist erst mal keine Aufregung wert. In der Regel werden durchschnittlich aktuell 4.900 Euro ausgegeben, meist teilen sich das zwei bis drei wissenschaftliche Mitarbeiter. Die Arbeitsfülle ist derart enorm, dass Abgeordnete diese Unterstützung benötigen, um ordentlich handlungsfähig zu sein. Auch die quasi Verdopplung ist nicht per se unsinnig – die Welt wird komplexer, die Aufgabenfülle auch und somit kann es einen entsprechenden Bedarf an Zuarbeit geben.
Die entscheidende Frage, die noch unserem Kenntnisstand aber bislang kein Medium gestellt hat: Uns sind keine Klagen bekannt, dass Abgeordnete etwa seit Jahren eine deutlich höhere Unterstützung fordern, weil sie sonst nicht mit der Arbeit fertig werden könnten. Und die Durchschnittszahl zeigt, dass der mögliche Rahmen gar nicht ausgenutzt wird. Wieso also diese wirklich drastische Erhöhung? Was ist der praktische Grund?
Nun: Man kann dann mehr politische Arbeit vor Ort machen – und so die Wiederwahl sichern. Insbesondere die etablierten Parteien sind da sehr viel firmer als die neue Opposition der AfD, deren Vertreter es vor Ort durch massive Widerstände eh viel schwerer haben mit öffentlichen Auftritten. Bezogen auf die nächste Wahl bekommen zwar alle Abgeordneten dieselben Möglichkeiten, nur können die etablierten Parteien diese vermutlich sehr viel effizienter nutzen.
Und es gibt eine weitere Perspektive, die noch überhaupt nicht bedacht worden ist. Weitere wissenschaftliche Mitarbeiter könnten die Abgeordneten deutlich entlasten. Sie recherchieren, bereiten Themen in Dossiers auf, schreiben Pressemitteilungen, bereiten Reden und Argumente vor. Währenddessen kann sich der deutlich entlastete Abgeordnete besser um die “politischen Inhalte” kümmern – er kann sich aber auch möglicherweise besser um seine “Nebenverdienste” kümmern, also die eigene Rechtsanwalts- oder Steuerbürokanzlei oder sonstige Tätigkeiten und erhält damit Freiraum, um sein privatwirtschaftliches Salär durch den Zeitgewinn ordentlich zu steigern.
Frisst die Gier am Ende das Hirn?
Wenn schon Diskussion, dann über alles
Darüber wollen Grüne, CDU, SPD und FDP nicht mehr diskutieren – warum eigentlich nicht? Weil man einen strittigen Punkt unter “Einsicht” als strittigen Punkt erkannt hat, wird das andere durchgewunken? Es fehlen Millionen Euro für Infrastrukturmaßnahmen und hier werden zählbar rund 10 Millionen Euro Mehrkosten pro Jahr einfach so durchgewunken? Ohne jegliche öffentliche Transparenz und Debatte? Es braucht gerade mal von Dienstag bis Freitag vergangener Woche, um diesen Husarenstreich durchzuziehen. Warum brauchen andere Angelegenheiten wie die Body-Cam, Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen oder Brückenneubauten Monate und Jahre zur Entscheidung?
Wenn man schon eine Expertenkommission einsetzt, sollte man diese brachiale Erhöhung von möglichen Ausgaben ebenfalls begutachten und bewerten lassen. Vielleicht ist sie sinnvoll, vielleicht auch nicht. Interessant wäre mal zu wissen, wie die Fraktionen diese Zahlen berechnet haben, denn dazu gibt es auch keine öffentlich und transparent nachvollziehbaren Zahlen. Unterm Strich ist das vielleicht der viel größere Skandal. Denn die Rente muss man erleben – die andere Kohle fließt aktuell im Hier und Jetzt.
Die Turbo-Entscheidung zur Rentenanpassung, die aktuell in Turbo-Geschwindigkeit wieder zurückgenommen worden ist, zeigt aber auch eins – die Angst der etablierten Parteien mit Blick auf die Bundestagswahl und die Sorge, was bei der nächsten Landtagswahl passiert. Die AfD hat zwar inhaltlich nicht viel zu bieten, aber die Vorlage, dass die etablierten Parteien sich im “Kartell” die Taschen vollmachen, die hat man gerne mitgenommen und liegt damit gar nicht so falsch. Dem Bruttonormalbürger jedenfalls hat es die Sprache verschlagen. Und Winfried Kretschmann will von allem laut dpa nichts gewusst haben. Das fällt unter die Nummer: Hier werden Sie nicht gehört, sondern auf den Arm genommen.
Und mal ehrlich zum Vergleich: Hätten wir die Mittel nur eines Abgeordneten, also 7.616 Euro, plus 1.679 Euro Rentenzuschlag, plus 2.160 Euro Kostenpauschale, plus 10.438 Euro für Mitarbeiter, also die Summe von sagenhaften 21.893 Euro pro Monat (ohne “Nebenverdienste”) – wir würden es so dermaßen krachen lassen, was unseren Journalismus angeht. Wir sind weit von diesem Monatsbeitrag entfernt, nehmen unsere Kontrollfunktion trotzdem war und müssen täglich beweisen, dass wir einen guten Job machen. Sie können uns dabei unterstützen – siehe Kasten.
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