Rhein-Neckar, 14. April 2016. (red/hs) Was steckt dahinter, was Deutschland, nein auch die Türkei und weitere Reste der Welt gerade so unglaublich aufregt? Sie wissen schon, na, die Affickäre halt. Unser Undercover-Reporter Helle Sema, Spezialist für alles, was Gonzo ist, klärt auf.
Von Helle Sema
Ganz Deutschland regt sich auf – die einen so, die anderen so. Die meisten aber feiern einen Helden, schimpfen auf einen Schurken und andere bashen die, die es ihrer Meinung nach gerade verdient haben.
Die Kunst des Kontexts
Worum es geht? Um die Kunst der Schmähs, die längst die Kunst des Krieges abgelöst hat, ist in Wirklichkeit die Kunst des Kontexts.
Nach unseren Recherchen könnte sich die Sache so zugetragen haben. Ein mittelmäßig erfolgreicher Entertainer, der aber mächtig viel Wind macht, will endlich den Durchbruch schaffen und allen zeigen, dass er den längsten was-auch-immer hat.
Meta 1
Gonzo-Journalist Helle Sema.
Das Opfer ist schnell ausgemacht – es muss böse sein, bekannt und mächtig. Ausländer ist das Opfer auch und dann noch aus einem anderen Kultur- und Religionskreis. Passt. Meta-Ebene 1 ist definiert. Ein böser, mächtig und unheimlicher Mensch erzeugt bei niemandem Mitleid – ist also ein Idealopfer.
Meta 2
Wie macht man nun den Bösewichtler so richtig fertig – alles, was mit Fäkalien und sexuellen Praktiken zu tun hat, eignet sich hervorragend. Ein kurzes knackiger Text voll auf die Zwölf wäre ideal. Doch, oh weh, damit kommt man in Schwierigkeiten, weil man zwar als Künstler ordentlich auf die Kacke hauen darf, aber je doller, desto eher ist eine Schmerzgrenze erreicht. Meta-Ebene 2 ist gefunden. Wenn man diese Grenzen grenzenlos überschreitet und dieses auch noch mehr als deutlich macht, dann erreicht das eine Dimension des Nie-da-gewesenen, die einem den Schein des Genialen verleiht. Sehr gut.
Jetzt ist das alles doch recht komplex und unterm Strich auch gefährlich, denn das mit den Grenzen ist zwar hippe Meta-Kacke, die so strange ist, dass es bestimmt vielen gefällt. Aber da gibt es noch diese Leute in langen Roben, die meist nicht so hipp denken und immer in dicken Büchern blättern und am Ende alles besser wissen.
Grübel, grübel, sagt sich da der mittelmäßig erfolgreiche Entertainer. Was tun? Am Geld soll es nicht scheitern – also bucht man sich einen Experten, einen der genau weiß, wo die Grenzen sind. Der ist schnell gefunden. Ein Fachmann, mit exzellentem Ruf. Einer, der schon viele beraten hat, die sich von grenzenlosen mittelmäßig erfolgreichen Sonstwens zutiefst beleidigt und geschmäht und überhaupt persönlichkeitsrechtverletzt gefühlt haben. Einer, der den allermeisten Genugtuung verschaffen konnte – bei hohen Strafen für die Übeltäter. Wenn man den nun fragen würde, wie man das macht, dass man grenzenlos die Grenzen überschreitet und das so meta, dass es doch wiederum erlaubt sein müsste…?
Meta 3
Der Fachmann ist schnell gefunden und ist begeistert – endlich mal eine Aufgabe, die eigentlich nur einer wie er lösen kann. Als fachlichster Fachmann der Fachwelt. Er, der Überflieger. Er, dessen Namen schon klar macht, dass er es immer todernst meint.
Zusammen konstruiert man die Grenzenlosigkeit und alle Folgen. Der Text, er muss bösartig sein, ehrverletzend und gerne auch rassistisch. Dieses Machwerk muss von solchem Übel sein, dass die Welt fassungslos ist. Das, so der Fachmann, ist der eine Teil des Plans. Der Ziege Kern muss so übel sein, dass man später behaupten kann, wer das tatsächlich ernst nimmt, muss sich fragen lassen, ob man auch nur ansatzweise glauben mag, was da vorgetragen wird. Klar, es klingt wie übelster Ausstoß – aber nüchtern betrachtet, ist es absurd. Und was absurd ist, ist nicht real und was nicht real ist, ist nicht vorsätzlich und damit nicht strafbar.
Meta 4
Das – und dieser Kunstgriff ist besonders hervorragend – bindet man noch nach der Schürzung des Knotens in einen Kontext ein, indem man klar macht, dass das, was man tut, niemals getan werden darf. Absurder geht es doch nicht mehr? Der Höhepunkt also.
Ja, und man kündigt auch alle Reaktionen an, die folgen werden. Man wird zensiert werden, man wird verklagt werden. Und hier kommt die finale Meta-Ebene: Die Metamorphose. Sollte der Partner mitspielen, also das Ofper, tauscht man die Rollen und das Opfer wird der Täter und der Täter das Opfer. Die überraschende Wendung.
„Wie geil ist das denn?“, jauchzt der mittelmäßig erfolgreiche Entertainer. Im platzt fast die Hose vor Erregung. Denn das hat noch niemals jemand gewagt. Das ist sensationell.
Meta 5
Weil der Fachmann ein Fachmann ist und mittlerweile Lust hat, die Grundgesetzlichkeiten, mit denen er im normalen Leben bereits ein Vermögen verdient hat, außer Kraft zu hebeln, zieht er die nächste Meta-Ebene ein. Denn das Opfer hat noch eine weitere Qualität – es kann sich versuchen zu wehren mit einer Regelung, die eigentlich niemand aus den allerbesten Fachleuten kennt. Und da das Opfer ja bekanntlich gerne mitspielt, wird diese Meta-Ebene auch noch eingezogen und damit würden auch noch ganz andere mitspielen müssen, die von ihrem Glück garantiert nichts wissen.
Heissa, heissa, heissa. Was für ein Urknall.
Meta 6
Irgendwas fehlt noch? Die letzte Meta-Ebene. Um aus dem Täter final ein echtes Opfer zu machen, muss das neue Opfer Opfer bringen, sich also aufopfern. A bisserl Schmerz gehört halt schon zum Erfolg. Wenn man sich also alle Freiheiten nimmt – dann muss einem die Freiheit genommen werden, um zu beweisen, dass es keine Freiheit gibt, was sofort zum Affekt des Rufs nach der totalen Freiheit führt. Genial. Man muss ausschlagen, wonach sich jeder sehnt. Was noch? Man muss bedroht und eingeschränkt werden. Und dann, was fehlt noch? Dann muss man es noch metaphysisch werden lassen und vom Glauben abfallen. Das ist nicht mehr genial, dass ist nicht mehr endgeil, das ist metageil.
Meta 7
Dann wedelt der Schwanz den Hund. Das ist die höchste Meta-Meister-Ebene. Das ist der Kon-Text, das völlig (kon) Verwobene (textus).
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P.S. So könnte sich das zugetragen haben. Möglicherweise nimmt die Sache aber noch weitere überraschende Wendungen – eine könnte sein, dass der Eindruck entsteht, dass der Fachmann, der so sehr für seine Kunden kämpft, am Ende als jemand dasteht, der sein Wissen zum Schutz seiner Kunden in Schmutz für Kunden transformiert hat, um anderen noch viel übler mitzuspielen. Wenn das rauskäme, dann könnten Leute meinen, dass das kein Held, sondern ein echter Schurke ist. Und andere könnten meinen, dass er in irgendeiner Weise missbräulich agiert haben könnte, was möglicherweise zum Verlust der Erwerbsfachkompetenz führt. Dann hätten der Zauberlehrling und sein nützlicher, mittelmäßig erfolgreicher Entertainer etwas übersehen: „Die Geister, die wir riefen, werden wir nun nicht mehr los.“ Keine Sorge. Am Ende wird der Zaubermeister, also der in der langen Robe, die Dinge wieder geraderücken. Möglicherweise bedeutet das aber für den ein oder anderen einen krummen Rücken.
Ach, fast vergessen. Die ganze Sache könnte am Ende nicht nur Geld, sondern auch Menschenleben kosten. Das gehört zur Krönung einer echten Tragödie dazu und ist nur ein lächerlicher Kollateralschaden, über den sich am Ende Spießer aufregen, die das mit den Meta-Ebenen nicht verstehen wollen. Menschen sterben sowieso – so what? Wenn aber der Held am Ende sterben würde, das wäre der Metolymp – nicht zu toppen. Er wäre dann ein echter Zwitter aus Meta und Märtyrer – ein Metayrer und möglicherweise der Gründer der neuen Religion der Fakemetaisten, was alle Fakes und Metas aller Vorzeiten zu einem vollkommenen Gonzo verschmelzen würde. Respekt.
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Gonzo-Journalismus ist die ultimative Weiterentwicklung von klassischem Journalismus. Gonzo berichtet, was hätte sein können, aber nicht sein hat müssen. Gonzo schafft sich zur Not die Berichterstattungssituation, über die dann exklusiv berichtet werden kann. Damit ist Gonzo der überlegendste Journalismus aller Zeiten. Helle Sema ist ein Meister des Gonzo.
