Heidelberg/Rhein-Neckar, 14. November 2014. (red/ek) Im Rahmen der „Aktion-tu-was“ fand heute im Heidelberger Hauptbahnhof ein Aktionstag für Zivilcourage statt. An praktischen Beispielen konnte beobachtet werden wie in Konfliktsituationen eingegriffen werden kann, ohne sich selbst in unnötige Gefahr zu bringen.
Von Enrico Kober
Die Schule war wieder einmal eine Qual, das Bio-Referat ging total in die Hose. Jessy will nur noch nach Hause. Ihr Lehrer drückte ihr auch noch einen Aufsatz auf und gab ihr dafür ein dickes Bio-Buch mit. Gerade hat die Schülerin aus Klasse 8 den Bus betreten, geht es auch schon los. Leon aus der letzten Reihe ruft durch den ganzen Bus: „Dein Referat war ja der Hammer, ich hab mich kaputt gelacht.“
Leon kommt auf Jessy zu, baut sich vor ihr auf: „So richtig krass waren aber Deine Schweißflecken, einfach ekelhaft.“ Er schnüffelt an ihr: „Du stinkst wie die Sau, ich bring Dir mal ein Deo mit, wasch Dich mal!“ Niemand im Bus reagiert auf diese Demütigungen, alle schauen nur zu. Jenny bittet Leon sie in Ruhe zu lassen und hält mit verschränkten Armen das schwere Biologiebuch schützend vor sich.
Doch Leon kann es ihr entreißen und fordert Jessys neuen MP3-Player, sonst würde er ihr das Buch nicht zurückgeben. Als Jessy droht dies dem Lehrer zu sagen, schubst Leon Jessy gegen die Bustür und droht ihr mit Schlägen. So endet die typische Szene, nachgespielt vom Theater „Q-Rage“ aus Ludwigsburg. Als Bühne diente ein von der rnv GmbH zur Verfügung gestellter Linienbus, der mit Zuschauern, Schüler/innen der F+U Fachschule für Sozialpädagogik (F+U) voll besetzt war.
Zivilcourage im Rollenspiel lernen
Wie soll ich reagieren? Wann ist der Zeitpunkt einzugreifen? Was kann ich tun? Und wie kann ich dem Opfer helfen, ohne mich selbst in Gefahr zu bringen? Diese und weitere Fragen diskutierten die beiden Schauspieler anschließend mit dem Publikum. Um diesem die Möglichkeit zur Interaktion zu geben, wurde die Szene noch einmal vorgeführt. Diesmal waren die Zuschauer aufgefordert nach eigenem Ermessen einzuschreiten. Die nachgestellte Wirklichkeit sollte den Zuschauern die Möglichkeit geben Verhalten und Methoden zu testen, ohne sich dabei selbst in Gefahr zu bringen.
Die Vorführung war sehr nah an der Realität. Sie hätte aber gern etwas länger sein können, um mehr Raum für Gespräche zu haben.
Sagte uns eine Lehrerin der F+U, die ihre Schüler zum Aktionstag begleitete.
Gewaltpräventionsteam als Lockvögel
Eine weitere, alltägliche Szene wurde von Beamten des Gewaltpräventionsteams von der Bundespolizeiinspektion Weil am Rhein in der Bahnhofshalle nachgestellt: Ein Mann geht ohne ersichtlichen Grund auf eine Frau los. Erst beleidigt er sie, kurz darauf wird er handgreiflich. Diesmal jedoch ohne dass das Publikum – zufällig vorbeikommende Passanten – eingeweiht wurde. Hier sollte beobachtet werden wie Passanten auf diese Szene reagieren.
Würden sie nur wegsehen und achtlos vorbeigehen oder helfend eingreifen? Schnell war ein junger Mann zur Stelle. Zunächst stellte er sich zwischen den zivilgekleideten Polizisten und sein scheinbares Opfer. Durch Schubsen konnte er Täter und Opfer weiter voneinander trennen. Währenddessen machte er durch Rufe und Winken die unweit stehenden uniformierten Polizeibeamten auf den vermeintlich Gewalttätigen aufmerksam.
Die Polizeibeamten erklärten dem Helfer, dass es sich um ein Rollenspiel handelte und lösten die gestellte Situation auf. Er hatte richtig und angemessen reagiert. Herr Martin Boll, Leiter der Technischen Prävention am Polizeipräsidium Mannheim sagte:
Man muss kein Held sein, um Zivilcourage zu zeigen.
Wichtig sei allerdings sich möglich selbst nicht in Gefahr bringen. Oft reiche schon ein lautes Wort, um den Täter einzuschüchtern. Durch Zurufe wie: „Kommen Sie her, wir helfen Ihnen“, greift man ins Geschehen ein und macht auf das Opfer aufmerksam. Herr Boll betonte, dass es in der Praxis besonders wichtig sei sich um das Opfer zu kümmern:
Viele meinen es gut und widmen ihre ganze Aufmerksamkeit dem Täter. Dabei wird leider vergessen, sich dem Opfer zuzuwenden und Hilfe zu organisieren. Eine direkte Ansprache von Schaulustigen und Passanten kann hier sehr viel bringen. Holen Sie sie aus der Anonymität. Fordern Sie diese ganz gezielt auf, Polizei oder Rettungswagen zu rufen und dem Opfer zu helfen.
Grundsätzlich sollten Helfer diese sechs praktischen Regeln immer beachten:
- Gefahrlos handeln
- Mithilfe fordern
- Genau hinsehen
- Hilfe holen
- Opfer versorgen
- Als Zeuge helfen
Was aber, wenn Helfern Schäden entstehen? Bleibt man dann auf den Kosten für die zerissene Jacke, kaputte Jeans oder auch für einen Arztbesuch sitzen? „Nein“, sagt Polizeioberkommissar Hermann Jochim, vom Polzeirevier Heidelberg-Mitte: „Jeder, der Zivilcourage zeigt und anderen hilft, ist durch die gesetzliche Unfallkasse versichert. Aus meiner Berufserfahrung kann ich Ihnen aber sagen: Alle Personen, die ich in diesem Zusammenhang kennlernte, würden es ohne Ausnahme wieder tun.“
Polizei ist sehr zufrieden
Nach Ende des Aktionstags zog Herr Boll eine positive Bilanz:
Der Theaterbus ist sehr gut angekommen. In drei Vorführungen, die jeweils voll besetzt waren, konnten wir etwa 90 Personen praktische Beispiele zur Konfliktlösung anbieten. Mit dem Gewaltspräventionsteam in der Bahnhofshalle konnten wir mehrere hunderte Menschen sensibilisieren und mit ihnen ins Gespräch kommen. Wir sind sehr zufrieden.