Mannheim, 14. November 2011. (red) Der 9. November 2011 ist der 73. Jahrestag der Reichspogromnacht. Zu diesem Anlass wurde vom AK Justiz und Geschichte des Nationalsozialismus in Kooperation mit dem AK gegen Rechts, den Mannheimer Schülern gegen Rechts, den Falken, der Grünen Jugend und natürlich mit dem Ortsgeber, dem Karl-Friedrich-Gymnasium Mannheim, ein Zeitzeugengespräch mit Walter Wassermann organisiert. Wassermann hat den Pogrom als jüdischer Junge selbst erlebt.
Der Raum ist voll, die Stimmung aufgeregt.
Doch schon mit dem ersten Wort von Walter Wassermann legt sich das. Walter Wassermann redet nicht erklärend, nicht lehrend. Er erzählt eine Geschichte des Lebens, seines Lebens, die für einen jungen Menschen wie mich durchaus unrealistisch wirken kann.
Die Schilderung klingt wie die Erzählung eines Albtraums. Doch sie ist und bleibt die wahre und erlebte Geschichte eines jüdischen Jungen und der vielen anderen, die von den Nazis gnadenlos verfolgt worden sind.
Die Geschichte von Herrn Wassermann ist die der Deutschen – also auch meine.
Es ist die erlebte Geschichte von Walter Wassermann und vielen anderen Betroffenen. Und es ist die Geschichte der Deutschen, die für dieses Leid verantwortlich sind.
Man kann sie aus dem Leben nicht wegstreichen oder wegdenken. Sie hinterlassen etwas in dem Menschen.
Zeitzeugen wie Herr Wassermann werden immer seltener. Schon jetzt kann man die Erfahrungen und Erlebnisse aus erster Hand nur von der damaligen Jugend erfahren. Die Betroffenen sterben aus und mit ihnen auch das Thema und die geschichtlichen Aufklärung.
„Ich bin Jude und dazu stehe ich. Ich bin aber kein bekennender Jude. Dazu fehlt mir seit Auschwitz der Glaube.“ Mit diesen Worten beantwortete Walter Wassermann klar und deutlich die Frage nach der eigenen Gott-Glaubigkeit des heute 87-Jährigen.
Walter Wassermann erreicht, wofür er gekommen ist. Im Dialog mit Veronika Wallis-Violet, Mitglied der Hauptveranstaltungsorganisation, seine Erlebnisse und Erfahrungen bezüglich der Pogromnacht und der Leiden des Nationalsozialismus an Jugendliche und Erwachsene weiter zu geben.
73 Jahre nach der besagten Pogromnacht, die den Beginn der bevorstehenden „Ausrottung“ der europäischen Juden, der Sinti und Roma und anderen markierte, entstehen immer wieder neue rechte Gruppen. Nicht nur am „Rande“ der Gesellschaft.
Wie in vergangenen Zeiten werden Versammlungen organisiert, selbstbewusst der Arm gehoben, Schüler werden mit sogenannten „Schul-CD’s“ angeworben, auf denen Bands gezielt neonazistische Propaganda machen.
Was sagt Herr Wassermann zu solchen Entwicklungen?
„Ich kann das nicht begreifen. Die haben das doch alles gar nicht miterlebt, wie können die überhaupt auf die Idee kommen zu leugnen, was ich und viele anderen Juden miterlebt haben? Wie können sie von einer Ideologie überzeugt sein, deren schreckliche Folgen sie sich nicht mal vorstellen können?“
Man kann und darf die Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus von 1933-1945 nicht aus dem Gedächtnis und Bewusstsein der heutigen Menschen streichen. Nicht, weil man nicht über die Vergangenheit stehen kann und die Zukunft dadurch aufhält. Das war mir schon vor diesem Abend klar – aber meine Meinung festigt sich durch Herrn Wassermanns Geschichte.
Auch nicht, um das Thema totzureden, bis sich niemand mehr dafür interessiert. Sondern, um aus diesem „dunklen Abschnitt“ Deutschland mehr Licht zu bringen und um das„Verbotene“ zum täglichen Umgang zu machen, sodass Aufklärung gängig ist und das Schweigen gebrochen wird. Es ist ein abgeschlossenes Thema, das jedoch immer wieder zur Aufklärungsarbeit genutzt werden kann und sollte.
Vergangenheit als Aufklärung für die Zukunft.
Und somit ist die einzige Verbindung zwischen mir und Walter Wassermann die gleichgesetzte Überzeugung. Die Überzeugung einerseits, dass das Thema und deren Betroffenen zu würdigen, zu ehren und nicht zu vergessen sind.
Und andererseits die Überzeugung, die Walter Wassermann bis Ende seines Lebens ausführen wird, jedoch ebenfalls von uns, den jungen Menschen übernommen werden muss, nämlich, dass durch die Vergangenheit und durch die Erfahrung aufgeklärt werden kann und muss.
Klar, jeder sollte eigene Erfahrungen machen, sich ausweiten können, ausprobieren können wie er sich danach fühlt. Klar, von Älteren lässt man sich nicht gerne was sagen, denn am eignenen Leibe lernt man immer noch am besten.
Jedoch ist es wichtig, solch zerstörerischen und katastrophale Auswirkungen auf die Menschheit zu verhindern. Vor allem dann, wenn man bereits als ein Land erlebt hat, inwieweit sich eine derartige Ideologie ausweiten, verbeiten und vernichten kann.
Es liegt also nicht in unserer gemeinsamen Verantwortung uns zu schämen und der Unannehmlichkeit wegen, darüber zu schweigen.
Sondern es liegt ins unserer gemeinsamen Verantwortung, im Bewusstsein an die Vergangenheit, nach vorn, in die Zukunft zu schauen, darüber zu reden und uns bewusst zu sein, dass wir, ob wir wollen oder nicht, Erben dieser Geschichte sind, Herr Wassermann und auch ich.